Lizenz zum Fliegen – trotz Insulin-Behandlung: Studie analysiert britisches Protokoll für Piloten mit Diabetes

Sonja Böhm

Interessenkonflikte

15. September 2016

München – Berufspilot trotz insulin-behandeltem Diabetes? In Großbritannien ist dies seit dem Jahr 2012 möglich. Dort können auch Piloten unter einer Insulin-Behandlung und mit einem sogenannten „Class 1 Medical Certificate“ eine Lizenz zum Fliegen – in diesem Fall für Frachtflugzeuge – erhalten. Eine nun beim Kongress der European Assoziation for the Study of Diabetes (EASD) in München vorgestellte Studie hat analysiert, wie sicher dieses Vorgehen ist [1].

Die Studie haben Ärzte des Royal Surrey County Hospital, Guildford, Surrey, und Mitarbeiter der zuständigen Flugbehörde UK Civil Aviation Authority (CAA), Gatwick Airport, UK, gemeinsam unternommen. Die Briten waren im Jahr 2012 (nach Kanada) die zweite Nation, die solche  „Commercial Pilot Licences“ (CPLs) auch für Menschen mit Insulin-Behandlung ausstellte – und inzwischen gibt es dort die weltweit größte Kohorte und die meisten Erfahrungen mit Insulin-behandelten Piloten.

Blutzuckerwerte während der Flüge analysiert

Das Vorgehen dort: Zunächst wird in einem umfassenden Protokoll, das von Ärzten und Flug-Experten gemeinsam entwickelt wurde, evaluiert, ob die insulin-behandelten Piloten ihren Beruf auch ausüben können, berichtete Dr. Julia Hine vom Royal Surrey County Hospital bei ihrem Vortrag in München. Basis ist eine klinische Untersuchung. Die Piloten dürfen keine signifikanten Diabeteskomplikationen wie Retino- oder Nephropathien haben, ihr Diabetes muss gut kontrolliert und ihr Blutdruck im Normalbereich ( < 140/90 mmHg) liegen und sie dürfen natürlich keine Hypoglykämie-Wahrnehmungsstörung haben.

Außerdem müssen sie compliant mit den Vorgaben des Protokolls sein. Das heißt: Erhalten sie die Lizenz, gehört es zu den strikten Vorgaben der Piloten, dass sie regelmäßige Blutzucker-Messungen – sowohl vor als auch während der Flüge – vornehmen. In der in München präsentierten Studie sind die Daten dieser Messungen nun analysiert worden. 

Ausgewertet wurden dabei neben allgemeinen Daten wie Alter, Diabetes-Dauer und -Behandlung, Komorbiditäten und den HbA1c-Werten, auch alle Messwerte des Glukose-Monitorings vor und während der Flüge. Diese Messwerte wurden (laut Protokollvorgabe) 3 Kategorien zugeteilt.

  • Als „grüner Bereich“ galten Blutzuckerwerte zwischen 5 und 15 mmol/l (90-270 mg/dl),

  • als „gelber“ Bereich solche zwischen 72 und 90 mg/dl (4-5 mmol/l) und 270 -360 mg/dl (15-20 mmol/l) – hier müssen die Piloten Maßnahmen ergreifen, um ihren Blutzucker wieder in den Normbereich zu bekommen und diese weiter regelmäßig messen, und

  • als „rot“ gilt ein Bereich unter 72 oder über 360 mg/dl – in diesen Fällen müssen alle Aufgaben sofort an den Co-Piloten übertragen werden.

Derzeit haben in Großbritannien insgesamt 26 Männer in einem mittleren Alter von 41 Jahren ein Class 1 medical certificate, berichtete Hine. 85% sind Typ-1-Diabetiker mit einer durchschnittlichen  Diabetesdauer von 8 Jahren, die übrigen haben einen insulin-behandelten Typ-2-Diabetes. Es handelt sich ausnahmslos um Piloten, bei denen die Erkrankung erst aufgetreten ist, nachdem sie ihre Pilotenlizenz erworben hatten. Das CAA-Protokoll ermöglicht es ihnen, ihren Beruf weiter auszuüben.

Auf Nachfrage in der Diskussion erläuterte die britische Ärztin gemeinsam mit ihrem Co- Autor Dr. Stuart Mitchell, UK CAA Medical Department, Aviation House, Gatwick Airport, dass allerdings für Jugendliche, die Pilot werden wollen, auch in Großbritannien ein Typ-1-Diabetes noch ein Ausschlusskriterium darstellt. „Aber vielleicht können unsere Daten dazu beitragen, dass sich dies ändert“, meinte sie.

Nur 0,2 Prozent aller Messungen im „roten“ Bereich

Bei den 26 britischen Piloten mit der CAA-Sonderlizenz beträgt derzeit die mittlere Beobachtungsdauer 19,5 Monate. Insgesamt haben die Wissenschaftler 8.897 Blutzucker-Messwerte aus 4.900 Flugstunden ausgewertet. Die Piloten empfanden die Blutzuckermessungen im Cockpit als „machbar“ – und die Ergebnisse der Messungen seien zuverlässig, hieß es.

Für Kurz- und Mittelstreckenflüge (Dauer unter 6 Stunden) waren 96% von 7.829 Messwerten im „grünen“ Bereich. Bei Langstreckenflügen traf dies auf 97% von 1.068 Messwerten zu. Nur insgesamt 19 (0,2%) aller Messungen waren im „roten” Bereich – und bislang gab es laut Hine keine Berichte, dass ein Pilot aufgrund zu hoher oder zu niedriger Blutzuckerwerte nicht mehr flugtauglich gewesen wäre. In ihren HbA1c-Werten waren die Piloten während der Beobachtungsdauer relativ stabil (53,1-54,8 mmol/mol).

Die Zahl der Insulin-behandelten Piloten, die sich erfolgreich für eine Commercial Pilots’ Licence in Großbritannien beworben haben, sei zwar klein, steige aber seit Jahren, berichtete die Ärztin. Das britische Programm könne Vorbild für andere Länder sein. Seit April 2015 nimmt auch Irland teil. Hine: „Bislang hat sich gezeigt, dass das CAA Protokoll im Cockpit sehr gut funktioniert – es wurde über keiner Sicherheitsbedenken berichtet – und auch nicht über Entgleisungen der Diabeteskontrolle.”

Mit der steigenden Zahl von Piloten-Lizenzen für Insulin-behandelte Diabetiker sollen die  Auswertungen und Analysen auch in Zukunft fortgesetzt werden, kündigte sie an. Auch andere europäische Länder hätten Interesse an dem Programm gezeigt. Hine betonte aber auch, wie wichtig es ist, dass die Piloten strikt compliant mit dem Protokoll sind. Denn lange Flug- und damit Arbeitszeiten, Zeitverschiebungen und unregelmäßige Ess- und Schlafenszeiten erschweren oft die Diabeteskontrolle.

Mit den regelmäßigen vorgeschriebenen Testungen sollen Blutzuckerschwankungen möglichst früh entdeckt werden, damit ihnen rechtzeitig entgegen gewirkt werden kann. Ist eine Messung arbeitsbedingt einmal nicht zum festgesetzten Zeitpunkt möglich, schreibt das Protokoll z.B. vor, dass Kohlenhydrate aufgenommen und dann innerhalb der nächsten 30 Minuten getestet werden muss.

 

REFERENZEN:

1. European Association for the Study of Diabetes (EASD) Congress, 12. bis 16. September 2016, München

 

Kommentar

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