Frankfurt – Eine möglichst frühe Behandlung ist bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen wichtig, da im Ultraschall bereits nach 3 Wochen Schäden an den Knorpeln und nach 6 Wochen erste Schäden an den Knochen erkannt werden können. Im Idealfall stellen sich Patienten mit einer Entzündung in mindestens 2 Gelenken innerhalb der ersten 6 Wochen nach Symptombeginn einem internistischen Rheumatologen vor.
Doch vom Idealfall ist man in Deutschland noch weit entfernt: „Wir tun gut daran, weiterhin zu thematisieren und zu kritisieren, dass neue Patienten zu lange auf einen Termin warten müssen“, betonte Prof. Dr. Christof Specker vom Sankt Josef-Krankenhaus am Universitätsklinikum Essen auf dem 44. Kongress der Deutschen Rheumatologischen Gesellschaft (DGRh) in Frankfurt [1].
Ob und inwieweit spezielle Früharthritis-Sprechstunden die Wartezeiten verkürzen und damit die Patientenversorgung verbessern können, darüber diskutierten Experten auf dem Kongress.
Wartezeit auf einen Termin im Schnitt zwei bis vier Monate
Wie viele Früharthritis-Sprechstunden es in Rheumazentren überhaupt gibt, wollten Specker und seine Kollegen wissen und starteten dazu im Frühjahr dieses Jahres eine Online-Umfrage. Von 87 erfassten Einrichtungen (63 Praxen und 24 Klinikambulanzen) wiesen 19 (13 Praxen, 6 Kliniken), Früharthritis-Sprechstunden auf. 44,9% der teilnehmenden Einrichtungen vergaben zusätzlich „schnelle Termine“ und 31% hielten spezielle Termine für akute Patienten frei. Im Schnitt mussten Patienten dort 2 bis 4 Monate auf einen Termin warten.
In 13 der 19 Einrichtungen wurden bisherige Befunde vorab erfragt, meist über ein spezielles Anmeldefax. In den meisten der 19 Einrichtungen (12 von 19) wurden Patienten mit entzündlichem Rheuma direkt in die Routineversorgung aufgenommen, bei nicht-entzündlichem Befund erhielt der überweisende Arzt einen Bericht. Bei 5 von 19 Einrichtungen wurde nur „gescreent“, ob eine entzündlich-rheumatische Erkrankung vorlag und dann ein (vorgezogener) Routinetermin vergeben.
Als Eingangskriterien galten bei 16 von 19 Einrichtungen das Vorhandensein von pathologischen Blutwerten (erhöhtes CRP; RF positiv), bei 13 von 19 Beschwerden von kurzer Dauer (z.B. max. 6 bis 8 Wochen). Die Früharthritis-Sprechstunde wurde von 5 Einrichtungen einmal pro Woche angeboten, von 11 Einrichtungen mehr als einmal pro Woche und von 3 Einrichtungen 3 Mal pro Woche.
Das Patientenaufkommen in der Sprechstunde war unterschiedlich: Von bis zu 5 Patienten berichteten 13 Einrichtungen, von 5 bis10 Patienten berichteten 5 Einrichtungen, eine Einrichtung gab über 10 Patienten an. Die Untersuchungsdauer variierte von bis zu 10 Minuten (1 Einrichtung), zwischen 10 und 15 min (4 Einrichtungen), mehr als 15 Minuten (12 Einrichtungen) und „keine feste Zeit“ (2 Einrichtungen).
Befragt, wie hoch der Anteil von Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen in ihrer Frühsprechstunde ist, gaben 3 Einrichtungen 10 bis 20% an, eine Einrichtung 20 bis 30%, 7 Einrichtungen > 30% bis < 50% und 8 Einrichtungen > 50%.
„Unsere Studie zeigt, dass schon eine kurze Begutachtung von 10 bis 15 Minuten durch einen erfahrenen Rheumatologen in den allermeisten Fällen eine korrekte Diagnose zulässt“, bilanzierte Specker. Für die RA lag die Trefferquote bei 93%. „Über die Früharthritis-Sprechstunden wurden 43 Prozent der Patienten mit rheumatoider Arthritis (RA) innerhalb von drei Monaten diagnostiziert.“ Vor Einrichtung der Frühsprechstunden erreichten nur 16,6% der RA-Patienten einen Rheumatologen innerhalb von 3 Monaten.
Es zeigte sich auch, dass Patienten ohne Zuweisung sich signifikant früher präsentieren als solche mit hausärztlicher Überweisung. „Durch einen erleichterten Zugang zum Rheumatologen konnten wir die Wartezeiten verkürzen und eine frühzeitigere Diagnosestellung erreichen“, so Specker. „Trotz begrenzter Untersuchungszeit ist die Patientenzufriedenheit gestiegen“, berichtete Specker weiter. „Die Sprechstunde ist mittlerweile ein integraler Bestandteil der teilnehmenden Praxen.“
Modell einer Frühsprechstunde an der Uniklinik Düsseldorf
Das Modell der Früharthritis-Sprechstunde am Universitätsklinikum Düsseldorf stellte Dr. Oliver Sander, Leiter der Rheumaambulanz an der Poliklinik für Rheumatologie vor. Die Run-in-Ambulanz ist für ein Versorgungsgebiet > 1.000.000 Einwohner ausgelegt, eingerichtet wurde sie im September 2010.
„Ein wichtiger Aspekt war: Wir wollten eine Arthritis möglichst früh diagnostizieren und nicht erst nach Jahren“, so Sander und nannte als weitere Ziele geringere Wartezeiten und weniger Bürokratie für Erstvorstellungen, weniger Faxanmeldungen und Anrufe und die Vergütung der Sichtung.
Die Run-in-Ambulanz hat an einem festen Wochentag von 10 bis 17 Uhr geöffnet, eine Untersuchungsdauer von 15 Minuten pro Patient ist vorgesehen. Patienten müssen eine Überweisung des Hausarztes mitbringen. „Unsere Zielgruppe sind Patienten mit Verdacht auf entzündlich-rheumatische (Gelenk)-Erkrankungen, Patienten also, die bislang noch nicht bei einem Rheumatologen waren“, erklärte Sander. Empfang, Anmeldung, Kerndokumentation, Erfassung von Komorbiditäten und Medikation werden von Assistenz und medizinischem Dokumentar bewerkstelligt, der Arzt führt die Untersuchung durch und komplettiert Anamnese und Bericht.
In den 5 Jahren ihres Bestehens wurden 1.592 Patienten in der Run-in-Ambulanz behandelt, davon wiesen 388 Patienten – also über 20% – entzündliche Erkrankungen auf, den Löwenanteil davon machten Patienten mit RA und Spondyloarthritis aus, gefolgt von Polymyalgia rheumatica, undifferenzierter Arthritis, Kollagenosen und Vakulitiden.
„Im ersten Jahr des Bestehens hatten wir 170 Patienten, das hat sich pro Jahr auf 350 bis 380 Patienten eingependelt. Sander wertet die Run-in-Ambulanz als Erfolgsmodell: „Im Vergleich zur Regelversorgung ist bei uns die Krankheitsdauer bei Erstvorstellung halbiert, wir haben einen sehr großen Prozentsatz von Patienten mit kurzer Krankheitsdauer.“ 90% der Patienten mit rheumatoider Arthritis sind weniger als 1 Jahr erkrankt, 80% weniger als 6 Monate und 62% weniger als 3 Monate. Für Patienten mit axiale Spondyloarthritis sehen die Zahlen zur Krankheitsdauer bei Erstvorstellung so aus: 64% < 1 Jahr, 48% < 6 Monate, 34% < 3 Monate. „Frühbehandelte Patienten sind deutlich besser zu therapieren, die Remissionsraten sind unter diesen Patienten deutlich höher“, betonte Sander.
Für 2017 ist geplant, dass Medizinstudierende mit Wahlfach Rheumatologie Anamnese, Untersuchung, Vorstellung und Brief übernehmen, der Rheumatologe für Supervision und Abnahme zuständig ist. „Bei Erfolg könne das auch ein Lehrmodul für Niedergelassene und Assistenten sein“, meinte Sander.
Das RheumaNetzwerk Osthessen (RNO) – aus der Not entstanden
Wie sich eine Mangelsituation kompensieren lässt, zeigte Dr. Peter M. Kern. Universitätsmedizin Marburg, Campus Fulda, anhand des Rheumanetzes Osthessen (RNO) für die Region Fulda auf. Ziel des RNO ist die rheumatologische Netzwerkversorgung in Mangelgebieten durch Internisten, unter Führung internistischer Rheumatologen für einen Einzugsbereich von 800.000 Menschen. „Berücksichtigt man die Prävalenz rheumatischer Erkrankungen ist mit 20.000 Patienten zu rechnen. Die Versorgung von 20.000 Patienten mit zwei Sitzen – das kann nicht gut gehen. Wir bräuchten fünf bis zehn Rheumatologen in unserer Region um die Versorgung sicher zu stellen“, berichtete Kern.
Um die Versorgung Rheumakranker in der Hand der Inneren Medizin sicherzustellen, kam deshalb nur infrage, mit vorhandenen Strukturen also internistischen Praxen zusammenzuarbeiten. Bei den teilnehmenden Praxen (Stützpunktpraxen, SPP) handelte es sich ausschließlich um Fachpraxen für Innere Medizin, die Praxisinhaber mussten an Ausbildungskursen Rheumatologie teilnehmen, auch die MFAs dieser Praxen wurden geschult. Eine finanzielle Unterstützung des Projekts durch die Landesärztekammer oder die KV gab es nicht.
Offizieller Start des RNO war am 1. April 2013. Das RNO setzt sich aus 19 internistischen Kollegen in 10 Praxen und 13 medizinischen Fachangestellten (MFA) unter Führung von 2 Rheumatologen zusammen. Wie Kern erklärte, ist die jeweilige Stützpunktpraxis für Primärkontakt und Patientenselektion zuständig, für Therapiedurchführung, Therapieanpassungen und Therapiekontrollen. Den beiden Rheumatologen obliegen die Diagnosestellung, die Therapieentscheidung, das Management von Therapie- und Krankheitskomplikationen und die Behandlung von Kollagenosen und Vaskulitiden.
„Die Zusammenarbeit sieht so aus, dass wir Rheumatologen über Telefon und E-Mail jeden einzelnen Beratungsfall der Praxen kontinuierlich betreuen. Wir sind immer mit dabei und treffen die wesentlichen Entscheidungen.“ Kern schätzt, dass er bislang in das Projekt RNO 1.000 Euro investiert hat. Momentan werden über das Netzwerk 2.000 Patienten versorgt.
Was aus Notwendigkeit und Idealismus entstanden ist, wird jetzt auch honoriert: Ab 1. Oktober 2016 startet ein IV-Vertrag mit der AOK. Für SPP sind Screeningpauschale (75 Euro), Einschreibepauschale (20 Euro) und Betreuungspauschale (40 Euro) vereinbart, für den Rheumatologen Diagnosesicherung (25 Euro) und bei Bedarf (z.B. Vaskulitiden, Kollagenosen) eine Betreuungspauschale (25 Euro).
Auf Befürchtungen, mit dem RNO einem „Rheumatologen light“ Vorschub zu leisten, entgegnet Kern, dass es bei dem Ansatz um eine Lösung für ein Mangelgebiet handele und fügt hinzu: „Internisten mit rheumatologischer Fortbildung sind immer noch geeigneter als ein Hausarzt ohne rheumatologische Fortbildung.“
REFERENZEN:
Medscape Nachrichten © 2016 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Früharthritis-Sprechstunden sichern eine frühzeitige Diagnose – und verkürzen die Krankheitsdauer signifikant - Medscape - 13. Sep 2016.
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