Ausdauersport bremst tatsächlich die Alterung von Zellen und Organen – und ist effektiver als Krafttraining

Julia Rommelfanger

Interessenkonflikte

9. September 2016

Regelmäßiger Ausdauersport kann die Alterungsprozesse in Zellen und Organen stärker verlangsamen als Krafttraining. Das haben erstmals der Kardiologe Dr. Christian Werner und seine Kollegen vom Universitätsklinikum des Saarlands in Homburg/Saar in einer – bislang unveröffentlichten – prospektiven randomisierten kontrollierten 6-monatigen Trainingsstudie mit 124 Teilnehmern gezeigt [1].

Dr. Christian Werner

„Moderate und regelmäßige Ausdauerbewegung bremst den Alterungsprozess der Zellen im Gefäßsystem und erhöht so den Schutz vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen”, erklärt Werner. „Joggen und Intervalltraining sind dabei dem Krafttraining anscheinend deutlich überlegen. Allerdings verbessern alle Trainingsformen die körperliche Fitness.”

Hält Ausdauersport das Altern auf?

Bisher, erklärt Werner, habe es keine prospektiven randomisierten kontrollierten Studien zu diesem Zusammenhang gegeben. Sein Team wollte herausfinden, warum sich Sport günstig auf das Herz-Kreislauf-System auswirkt und hat in vorherigen Studien die Reduktion von oxidativem Stress, die Erhöhung von Gefäßvorläuferstammzellen und die Aktivierung gefäßschützender Enzyme (eNOS) als wichtige Regulatoren dafür nachweisen können – alles Faktoren, die auch bei der Zellalterung eine wichtige Rolle spielen, erklärt Werner gegenüber Medscape.

Seit mehreren Jahren untersuchen Werner und seine Kollegen die Regulation der Zellalterung durch körperliche Aktivität bei Mäusen und haben eine Heraufregulierung der Telomerase nach dem Lauftraining bemerkt. „Die aktuelle Studie sollte nun zeigen, ob diese Trainingseffekte auch in der Normalbevölkerung sichtbar sein können”, erklärt Werner.

 
Moderate und regelmäßige Ausdauerbewegung bremst den Alterungsprozess der Zellen im Gefäßsystem und erhöht so den Schutz vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Dr. Christian Werner
 

Sein Team hat nicht-sportliche gesunde Probanden (30 bis 60 Jahre alt) in 3 unterschiedlichen Gruppen (Ausdauer-, Intervall- und Krafttraining, jeweils 3 x 45 Minuten/Woche) trainieren lassen. Eine Kontrollgruppe trainierte nicht.

Die Ausdauergruppe absolvierte aerobes Laufen bei 50 bis 60% der maximalen Herzfrequenz, die Intervallgruppe intensives Intervalltraining nach der 4 x 4-Methode (4 mal 4 Minuten langes Training) bei 70 bis 80% der maximalen Herzfrequenz und die Krafttrainingsgruppe ein Zirkeltraining an 8 Kraftgeräten, anhand eines auf die individuelle Kraft zugeschnittenen Trainingsplans.

Gemessen haben die Forscher die Aktivität des Enzyms Telomerase sowie die Telomer-erhaltenden und schützenden Proteine (TRF2, POT1, Ku70) in den Blutzellen der Probanden vor dem ersten Training und nach der 6-monatigen Interventionsphase. Telomere, einsträngige Enden der Chromosomen, schützen die DNA und verkürzen sich bei jeder Zellteilung während des Alterns. Die Telomerase wirkt dieser Verkürzung entgegen.

Das Forscherteam in Homburg isolierte mit einem speziellen Puffer aus den Blutzellen der Probanden die Telomerase. Dieser setzten sie künstliches Telomer-Material zu und ließen es für 30 Minuten im Reagenzglas durch die Telomerase verlängern. Je aktiver dabei die Telomerase in der Probe war, desto mehr Telomerfragmente verlängerte sie im Reagenzglas.

Die hergestellte Telomer-DNA vervielfachten die Forscher mittels Real-time PCR und bestimmten so deren Menge. Davon konnten sie dann auf die ursprünglich in der Blutprobe vorliegende Telomerase-Aktivität eines Probanden rückschließen. Das sei „kein Test, den man in einem Routinelabor für klinische Chemie oder als Schnelltest in einer Arztpraxis machen kann“, betont Werner.

Prof. Dr. Ingo Froböse

Neuer Biomarker für die Prävention

In der Kontroll- und in der Krafttrainingsgruppe war keine Auswirkung auf die Aktivität der Telomerase zu erkennen. In beiden Ausdauergruppen habe sie sich dagegen „ungefähr verdoppelt“, sagt Werner. „Die Telomerase ist anscheinend besonders empfänglich für die Effekte von Ausdauertraining. Damit haben wir einen Biomarker, der es ermöglicht, Trainingsempfehlungen für gesunde Menschen und für Herzkranke abzuleiten”, so sein Fazit.

Prof. Dr. Ingo Froböse, Leiter des Instituts für Bewegungstherapie und bewegungsorientierte Prävention und Rehabilitation an der Deutschen Sporthochschule (DSHS) Köln, bezeichnet die Arbeit von Werner als „schönen Anfang”. Seiner Ansicht nach fehle jedoch neben dem Fokus auf die Quantität, sprich, der Lebensverlängerung durch Ausdauertraining, der Aspekt der Lebensqualität.

„Es ist schön, dass man das Altern durch Training nach hinten schieben kann – das hat aber nichts mit der Lebensqualität im Alter zu tun“, erklärt er im Gespräch mit Medscape. Die Qualität hänge entscheidend vom Zustand der Muskulatur im Alter ab. Und der lasse sich durch Kraft- und nicht durch Ausdauertraining verbessern. Beim Krafttraining, bedauert Froböse, befürchten insbesondere Herzspezialisten oft die kardiale Belastung und raten ihren Patienten von Muskeltraining ab.

Warum Ausdauertraining, nicht aber Krafttraining, Auswirkungen auf die Zellalterung zeigt, kann Werner nicht mit Gewissheit sagen. „Meine Hypothese wäre, dass trotz gleichem Trainingsvolumen hämodynamische Unterschiede zwischen den Trainingsformen bestehen, die das erklären“, bemerkt er gegenüber Medscape.

Durch Unterschiede in Blutdruck und Herzfrequenz etwa unterscheide sich auch der Scherstress, der auf die Gefäßinnenwände einwirke. Dieser wiederum sei „eng an die Aktivität des gefäßerweiternden und -schützenden Enzyms eNOS gekoppelt. Aus vielen Studien wissen wir, dass eNOS und Telomerase in Gefäßzellen eng verbrüdert sind“, so sein Erklärungsversuch.

Krafttraining keinesfalls vernachlässigen

 
Die Telomerase ist anscheinend besonders empfänglich für die Effekte von Ausdauertraining. Damit haben wir einen Biomarker, der es ermöglicht, Trainingsempfehlungen … abzuleiten. Dr. Christian Werner
 

Froböse vermutet, dass die Art und Dosierung des Krafttrainings eventuell ein Grund für dessen fehlenden Effekt auf die Zellalterung gewesen sein könnte. Im Gesundheitssport, sagt er, werde mit leichtem Gewicht und einer großen Anzahl an Wiederholungen, ca. 15 bis 20, vornehmlich lokale Kraftausdauer trainiert, jeweils unter Beteiligung von weniger als 1/7 bis 1/6 der Gesamtmuskelmasse.

Da diese Art von Krafttraining nur lokal und nicht systemisch wirke, seien wahrscheinlich auch keine Auswirkungen auf die Telomerase-Aktivität zu erwarten. Beim Muskelaufbautraining, das etwa im Alter besonders für die Stärkung der Rückenmuskulatur sinnvoll sei, werden dagegen höhere Reize gesetzt, worauf die Telomerase eventuell stärker ansprechen könnte, vermutet Froböse.  

Beide Experten plädieren dafür, das Krafttraining keinesfalls zu vernachlässigen oder gar komplett aus dem Bewegungsprogramm zu streichen. Krafttraining, sagt Werner, solle „ergänzend zu Ausdauertraining durchgeführt werden, nicht aber als Ersatz dafür“. Froböse fürchtet, dass Krafttraining insbesondere durch solche Erkenntnisse noch stärker als bisher schon geschehen in den Hintergrund gerückt wird. „Beides sollte als gleichwertig betrachtet werden und gehört zusammen, um Lebensquantität und Qualität zu verbessern.“

Die Deutsche Herzstiftung hat die bisher noch unveröffentlichte Arbeit von Werner und seinen Kollegen mit dem Wilhelm P. Winterstein-Preis für herausragende Forschungsarbeiten zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen ausgezeichnet. „Die Studie liefert ein wichtiges Messverfahren zur genauen Bestimmung, wie effektiv eine bestimmte Trainingsform auf die Zellalterung wirkt und so  den Schutz vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöht. Ein großer Gewinn für die Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen“, sagt Prof. Dr. Thomas Meinertz, Vorstandvorsitzender der Deutschen Herzstiftung.

Für die Zukunft, sagt Werner, wäre es praktisch die aktuell noch komplizierten Messungen der Zellalterung zu vereinfachen, sodass sie in der Breite genutzt werden können, „um Trainingseffekte schnell zu messen und die Menschen zum Sport zu animieren”.

 

REFERENZEN:

1. Deutsche Herzstiftung: Pressemitteilung, 9. August 2016

 

Kommentar

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