
Prof. Dr. Michael Böhm
Rom – Beim HeartFailure Kongress im Juni 2016 sind sie erstmals vorgestellt worden, beim europäischen Kardiologenkongress 2016 in Rom im August waren sie ein vieldiskutiertes Thema: die neuen Leitlinien der ESC (European Society of Cardiology) zu Diagnose und Therapie der Herzinsuffizienz. Was sind die wichtigsten Neuerungen, welche Konsequenzen haben sie für die Praxis?
Prof. Dr. Michael Böhm, Direktor der Klinik für Innere Medizin III, Kardiologie, Angiologie und Internistische Intensivmedizin am Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar, einer der führenden Herzinsuffizienz-Experten Deutschlands, hat die neuen Leitlinien anlässlich des ESC-Kongresses für Medscape kommentiert.
Medscape: Was sind die für die Praxis wichtigsten Neuerungen in der Heart Failure Guideline der ESC 2016?
Prof. Dr. Böhm: Die wichtigste Neuerung ist die Einführung des dualen Wirkstoffes Sacubitril/Valsartan (Entresto®, Novartis) in die neuen Leitlinien – dies mit einer Klasse 1B Empfehlung.
Die 1 gab es dafür, dass es sich bei der Vergleichsstudie gegen Enalapril, der PARADIGM-HF Studie, um eine ausreichend gepowerte Studie handelte (Anmerkung der Redaktion: mit rund 8.500 Teilnehmern), die die Überlegenheit von Sacubitril/Valsartan gegenüber ACE-Hemmern klar stellte (Red.: kardiovaskuläre Mortalität um 20%, Gesamtsterberate um 16% und Klinikbehandlungen wegen Verschlechterung der Herzinsuffizienz um 21% jeweils signifikant reduziert).
Die Klasse B Empfehlung entstand, weil es sich nur um eine Studie handelt, die dazu vorliegt.
Außerdem wurde in die aktuelle Leitlinie eine neue Klassifizierung aufgenommen: die Herzinsuffizienz bei mäßiggradig eingeschränkter Ejektionsfraktion (HFmrEF = Herzinsuffizienz mit einer „mid-range“ Ejektionsfraktion zwischen 40 und 49%). Diese hat wohl für Studien, nicht aber für die Praxis zurzeit Bedeutung.
Medscape: Das auch als ARNI (Angiotensin Receptor / Neprilysin Inhibitor) bezeichnete Sacubitril/Valsartan wurde in der Leitlinie – für manche überraschend – trotz der in der PARADIGM-HF Studie nachgewiesenen Mortalitätssenkung im Vergleich zum Enalapril im Therapie-Algorithmus ziemlich weit unten platziert.
In der Leitlinie heißt es: ACE-Hemmer, Betablocker und Mineralkortikoid-Rezeptor-Antagonisten (MRA) bleiben die Säulen der Firstline-Therapie bei Herzinsuffizienz. Nur wenn die Patienten auch unter dieser Therapie noch symptomatisch sind, ist der Austausch des ACE-Hemmers gegen Sacubitril/Valsartan eine mögliche Alternative.
Was ist die Rationale für diese Positionierung – gerade vor dem Hintergrund der PARADIGM-HF Studie, deren primärer Endpunkt ja die Mortalitätssenkung und nicht die Symptombesserung war?
Prof. Dr. Böhm: In der PARADIGM-HF Studie wurden die Patienten ja entweder mit einem ACE-Hemmer oder AT1-Antagonisten vorbehandelt oder, wenn dies nicht der Fall war, auf jeden Fall einer Präexposition mit einem solchen Wirkstoff in ausreichender Dosis zugeführt. Dementsprechend stellt nun auch die Leitlinie den ACE-Hemmer vor Sacubitril/Valsartan. Und dies hat auch vor der Hintergrundtherapie mit Betablockern und MRAs stattzufinden.
In der Praxis wird es sicher so sein, dass auch Sacubitril/Valsartan bei der Erstlinientherapie Verwendung finden wird. Hier ist allerdings auf den Blutdruck zu achten. Das war auch der Grund, warum man in der Studie eine Vorexpositionsphase durchgeführt hat.
Mit dem Ausdruck „symptomatische Herzinsuffizienz“ für die Indikation will man sicherstellen, dass die Patienten tatsächlich eine signifikante Herzinsuffizienz haben.
Und es ist außerdem ja so, dass sich auch die Symptome unter Sacubitril/Valsartan bessern. Das wurde durch die deutliche Abnahme des KCCQ Scores belegt. Dieser erfasst auch die funktionelle Kapazität, das heißt die Symptomatologie der Patienten.
Medscape: Wie beurteilen Sie persönlich diese Positionierung?
Prof. Dr. Böhm: Ich halte diese Positionierung in der Leitlinie für richtig und gerechtfertigt.
Medscape: Was würden Sie persönlich Ärzten raten, was den Einsatz von Sacubitril/Valsartan angeht?
Prof. Dr. Böhm: Mein persönlicher Rat lautet: Alle Patienten sollten umgestellt werden. Es gibt keine Subgruppe, die besonders profitiert. Im Prinzip geht dies bei allen Patienten, die eine signifikante Herzinsuffizienz haben.
Zu achten ist dabei auf den Blutdruck und auf die üblichen Ausschlusskriterien, etwa eine Glomeruläre Filtrationsrate (GFR) kleiner 30%. Erwähnenswert ist allerdings, dass die Abnahme der GFR unter Sacubitril/Valsartan geringer ausgeprägt war als unter einem ACE-Hemmstoff.
REFERENZEN:
Medscape © 2016 WebMD, LLC
Die dargestellte Meinung entspricht der des Autors und spiegelt nicht unbedingt die Ansichten von WebMD oder Medscape wider.
Diesen Artikel so zitieren: Aktualisierte ESC-Leitlinie zur Herzinsuffizienz: Was bedeutet die Einordnung von Sacubitril/Valsartan für die Praxis? - Medscape - 12. Sep 2016.
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