Frankfurt – „Infektionen bestimmen wesentlich die Morbidität der Patienten mit rheumatologischen Erkrankungen“ – aber sie lasen sich vermeiden. Wie, dazu gab Prof. Dr. Christian Kneitz auf dem Rheumatologenkongress in Frankfurt praktische Empfehlungen [1].
Ein Negativbeispiel
Der Rheumatologe vom Klinikum Südstadt Rockstock veranschaulichte dies am Fall einer 75 Jahre alten Patientin mit rheumatoider Arthritis (RA).
Mit schwerer Lobärpneumonie, hohem Fieber, respiratorischer Partialinsuffizienz, Sepsis mit Nachweis von Pneumokokken in der Blutkultur: CRP 175 mmol/l, PCT 25 mmol/l, Kreatinin 256 mmol/l stellte sich die Patientin in der Rostocker Notaufnahme vor. „Eine beginnende Niereninsuffizienz wurde ebenfalls diagnostiziert, es handelte sich um eine schwerkranke Frau“, berichtete Kneitz.
2006 war bei der Frau eine aggressiv verlaufende RA festgestellt worden. Behandelt wurde sie mit MTX, Leflunomid und Kombinationen verschiedener Biologika. Zuletzt erhielt die Patientin eine Monotherapie mit TNF-Blockern. Aufgrund der persistierenden Krankheitsaktivität wurden immer wieder Steroidstöße gegeben und zwar Prednisolon bis 30 mg. Initial meist um 0,5 mg/kg, zur Schmerzlinderung erhielt sie Opiate.
Eine langwierige Rehabilitation war notwendig, lange Zeit kam die Patientin nicht mehr auf die Beine. „Bei der Wiedervorstellung nach einem Jahr bei uns in der Klinik war die Patientin noch immer nicht gegen Pneumokokken geimpft, weil das ihrem behandelnden Arzt als nicht sinnvoll erschien, die TNF-Blockertherapie war beendet, die Patientin erhielt Prednisolon und wies noch immer geschwollene Gelenke auf. Und genau so sollte es nicht laufen!“, stellte Kneitz klar. „Die Frage ist doch: Weshalb ist diese Patientin überhaupt erkrankt? Wo hätte man regulierend eingreifen können?“
Infektionsrisiko je nach Rheuma-Form erhöht
Generell, so Kneitz, ist das Infektionsrisiko bei rheumatologischen Erkrankungen erhöht: „Für Patienten mit rheumatoider Arthritis ist das Infektionsrisiko um 50 Prozent erhöht, das spezielle Risiko an Pneumonie zu erkranken ist um 70 Prozent erhöht.“ Bei anderen rheumatologischen Erkrankungen ist das noch ausgeprägter: Beim systemischen Lupus Erythymatodes (SLE) ist das Infektionsrisiko erheblich höher, wie eine Auswertung von Versicherungsdaten 2000 bis 2006 zeigt: Für SLE-Patienten liegt die Inzidenzrate bei 10,38, für Patienten mit Lupusnephritis bei 22,67.
Dass Infektionen Störungen der Immunantwort begünstigen weist eine ältere Arbeit mit SLE-Patienten nach. Und bei Patienten, die an Dermatomyositis oder Polymyositis leiden, ist die Mortalität erhöht, wie eine Studie aus 2010 zeigt. „Das Vorliegen einer Dermato-Polymyositis ist ein erheblicher Risikofaktor für eine schwere Infektion. Wir wissen: Das Infektionsrisiko bei rheumatologischen Patienten ist erhöht, es ist mäßig erhöht bei Patienten mit entzündlichen Gelenkerkrankungen, es ist signifikant erhöht bei Kollagenosen, vor allem bei Lupus Erythematodes und die Vaskulitiden liegen je nach Intensität der Therapie so in etwa zwischendrin“, fasste Kneitz zusammen.
Begleiterkrankungen und Alter spielen eine große Rolle
Sowohl das Alter, als auch Komorbiditäten und die Aktivität der Grunderkrankung erhöhen das Infektionsrisiko bei RA, wie eine Studie an über 1.200 Patienten zeigt. Hinzu kommt: Infektionen im Alter sind häufiger und verlaufen schwerer. Im Alter ist das Risiko an einer Pneumonie zu erkranken um das Dreifache erhöht, für Harnwegsinfektionen sogar um das 20-fache. Tuberkuloseerkrankungen sind insgesamt selten, im Alter aber relativ häufig.
„Überwiegend haben wir es bei unseren rheumatologischen Patienten mit bakteriellen Infektionen zu tun“, so Kneitz. Eher selten lösen Viren im Alter Infektionen aus, eine Ausnahme ist Herpes zoster. Zu den klinischen Besonderheiten von Infektionen im Alter gehört auch, dass weniger typische Symptome als bei Jüngeren auftreten (z.B. seltener Fieber), häufiger sind hingegen Apathie und Vigilanzminderung.
Zum altersbedingt erhöhten Infektionsrisiko trägt auch die Immunseneszenz bei, die Alterung des Immunsystems. Sie bewirkt eine Abschwächung der Immunantwort (verminderte Reaktion auf Impfungen), eine verminderte Phagozytose, eine verminderte Reagibilität auf Zytokine, mehr Autoantikörper, weniger spezifische Antikörper gegen Erreger und eine Verschiebung von Th1 zu Th2. Als Begleiterkrankungen sind Leukopenien, Demenz, Diabetes mellitus und chronische Lungenerkrankungen prädisponierende Faktoren.
Verzögerte Diagnosestellung, zu selten eine konsequente Therapie und eine manchmal eingeschränkte Compliance der Patienten tragen ihren Teil zu einer nicht ausreichenden Behandlung bei, so Kneitz: „Bei älteren Patienten kommen viele Aspekte zusammen, sie sind ein echtes Risikokollektiv für schwere Infektionen.“ Er fuhr fort: „Wenn es uns nicht gelingt die Grunderkrankung in den Griff zu bekommen, dann stellt das einen weiteren Risikofaktor für das Auftreten schwerer Infektionen dar. Eine effektive Basistherapie ist deshalb die bestmögliche Infektionsprävention. Wir sollten deshalb nicht zögern, unsere Patienten optimal zu behandeln.“
Die Rolle von Steroiden und TNF-Blockern für die Infektionsentwicklung
Speziell bei Patienten mit Kollagenosen werden immer wieder die Steroide erhöht. Keine gute Entscheidung, so Kneitz. Dass Steroide das Infektionsrisiko bei RA dosisabhängig erhöhen, zeigt eine retrospektive Kohortenstudie aus 2008. Bei älteren RA-Patienten steigern offenbar auch schon niedrig dosierte Steroide (5 mg) das Infektionsrisiko. „Selbst bei einer Prednisolon-Dosis von fünf Milligramm steigt bei älteren Patienten – also ab 70 Jahren – das Risiko für schwere Infektionen. Nach drei Monaten steigt das Risiko um 30 Prozent, nach sechs Monaten um 46 Prozent und nach drei Jahren um hundert Prozent“, berichtete Kneitz.
Auch Biologika erhöhen das Infektionsrisiko bei RA im Vergleich zu DMARDs um 30%, wie eine Arbeit aus 2015 zeigt. „Bleiben wir unter der empfohlenen Dosis können wir das Risiko reduzieren – vorausgesetzt das ist mit der Aktivität der Grunderkrankung zu vereinbaren.“
Im geschilderten Fallbeispiel muss die Patientin antibiotisch behandelt werden, z.B. mit Amoxicillin/Clavulansäure. Während der akuten Erkrankung sollte die Prednisolon-Erhaltungstherapie von 10 mg nicht verringert werden und in der Regel sollte die TNF-Blockertherapie ausgesetzt werden.
Zweifel daran, ob mit einer TNF-Blockertherapie beim Auftreten einer Sepsis immer pausiert werden sollte, schürt allerdings eine Studie aus 2015, die Daten des RABBIT-Registers ausgewertet hatte. Untersucht wurde, wie der Verlauf einer Sepsis unter Biologika ist. Das Risiko eine Sepsis zu entwickeln war in RABBIT mit Alter und Vorliegen einer chronischen Nierenerkrankung korreliert.
„Bemerkenswert war aber, dass die Patienten, die nach einer Biologikatherapie eine schwere Sepsis entwickelten, ein geringeres Mortalitätsrisiko (OR: 0,56) aufwiesen als diejenigen, die unter einer Basistherapie standen“, berichtete Kneitz. Das Risiko an einer Sepsis zu sterben war zudem assoziiert mit höherem Lebensalter, der Anwendung von Glukokortikosteroiden in höherer Dosis und Herzversagen. Die Studienautoren folgern: Biologika und ein guter funktioneller Status verringern das Sterberisiko, ein Aussetzen der bDMARD-Therapie hebe diesen positiven Effekt auf.
„Das sind sehr interessante Daten die zeigen, dass wir von der Pathophysiologie der Sepsis noch immer zu wenig verstehen. Wir sollten dennoch nicht bei Patienten, die eine Sepsis erleiden die Biologika-Therapie fortsetzen, dazu sind diese Daten noch zu schwach“, so Kneitz. Es könne sich aber um erste Hinweise handeln, dass mit einer TNF-Blockertherapie bei Auftreten einer Sepsis nicht unbedingt pausiert werden muss.
Die 75-jährige RA-Patientin erhielt auch eine Opioidtherapie. Dass auch Opioide wie Methadon, Hydromorphon und Oxycodon das Infektionsrisiko bei RA erhöhen, zeigt eine Arbeit aus 2015 mit 1.790 Patienten. Die Infektionsinzidenz unter Opioid-Einnahme lag bei 1,39. Das Risiko nimmt bei Opioiden mit langer Wirksamkeit zu.
Impfen und schlummernde Infektionen abklären
Sollte bei Biologika-Gabe auf Tuberkulose gescreent werden? Generell gilt: Keine Biologika-Therapie bei aktiver TB. Für Patienten unter Biologikatherapie gelten folgende Empfehlungen: Für Anakinra und Rituximab wird das Risiko als vernachlässigbar eingestuft, ein TB-Screening wird nicht gefordert. Unter Abatacept besteht wohl keine Risikoerhöhung, ein Screening wird vom Hersteller aber empfohlen. Für Tocilizumab ist das Risiko vermutlich gering, ein Screening wird empfohlen. Unter Tofacinib wird das Risiko als deutlich erhöht eingestuft, ein Screening ist erforderlich. Unter Secukinumab ist das Risiko vermutlich nur gering erhöht, eine INH-Prophylaxe ist bei latenter TB „in Betracht zu ziehen“, ein Screening ist erforderlich. Für Ustekinumab gilt die gleiche Empfehlung wie für Tofacinib: Ein Screening ist erforderlich.
Nach wie vor ein Problem ist eine mögliche Aktivierung des Hepatitis-B-Virus. „Das hat damit zu tun, dass sich ein Glukokortikoid-sensitives Element im Genom des Virus befindet“, so Kneitz. „Man muss sich ein bisschen Gedanken über die einzelnen Konstellationen machen“, so der Experte. Eine Anti-Hbs Positivität zeigt an, dass ein Patient geimpft ist – „so sollte der Impfstatus bei uns allen sein“, meint Kneitz. Damit besteht kein Risiko einer Progredienz unter Biologika. Bei einer abgelaufenen Hepatitis-B-Impfung findet man Antikörper gegen Anti Hbc zusätzlich zu den Hbs-Antikörpern. Eine Immunität ist zu vermuten, ein kleines Risiko bleibt.
Findet man nur Anti-Hbc-Antikörper und keine Hbs-Antikörper, handelt es sich um Risikopatienten die man ein wenig im Auge haben sollte, vor allem wenn Cyclophosphamid oder Rituximab – also stark immunsupprimierende Therapien – eingesetzt werden. Bei der Hbs-Antigen-Positivität oder dem Nachweis von HBV-DNA muss man hingegen aufpassen: „Immunsuppressiva sind dann grundsätzlich kontraindiziert und Sie müssen eventuell eine virostatische Therapie durchführen, wenn Sie solche Patienten immunsupprimieren wollen“, riet Kneitz.
Vernachlässigt wird noch immer die Impfung gegen Influenza und Pneumokokken. Kneitz: „Es gibt keinen Grund nicht zu impfen.“ Doch eine Auswertung von Daten an über 300 Patienten zeigt, dass die Pneumokokken-Impfung zwar häufig empfohlen, aber selten durchgeführt wird. „Bei der Influenza-Impfung sieht es zwar etwas besser aus, aber auch das ist nicht ausreichend“, sagte Kneitz. Und fügt: „Impfen ist die beste Prophylaxe um Infektionen zu verhüten.“
Fazit:
Fazit: Das Infektionsrisiko älterer rheumatologischer Patienten ist erhöht. Dabei spielen Steroide, Komorbiditäten und das Alter eine entscheidende Rolle. Steroide sollten in der niedrigsten möglichen Dosis und über den kürzesten Zeitraum gegeben werden. „Gerade der ältere Patient ist der Patient, der für eine Steroidtherapie am wenigsten geeignet ist“, betonte Kneitz. „Wir sollten das Risiko eingehen, eine Intensivierung der Behandlung vorzunehmen, um dann unter einer optimalen Basistherapie die Steroide reduzieren zu können. Das führt netto zu einer Verminderung des Infektionsrisikos.“
Zur sicheren Einschätzung des individuellen Infektionsrisikos gehört eine genaue Anamnese unter Einschluss des Impfstatus, die Erfassung vorbestehender Infektionen und eine ausführliche Aufklärung des Patienten.
Hätte sich also die Infektion der Patientin im geschilderten Beispiel verhindern lassen? Kneitz ist davon überzeugt. Laut Impfausweis wurde die Patientin weder gegen Influenza noch gegen Pneumokokken geimpft. Sie bekam Steroide, anstatt die Basistherapie optimal anzupassen. Zur Schmerzlinderung wurden Opiate verabreicht. „Solche Fälle sind keine Einzelfälle. Doch wir haben es in der Hand, es anders zu machen. An einigen Stellen können wir regulierend eingreifen“, schloss Kneitz.
REFERENZEN:
Gewusst wie – Neue Impf-Empfehlungen für Patienten mit rheumatischen Erkrankungen
Doppelt hält besser: Reiseschutz mit zweifacher Hepatitis-A-Impfung bei Rheumatoider Arthritis
Kortikosteroide bei Rheuma: „Es lohnt, um jedes Gramm zu kämpfen.“
Rheumatoide Arthritis: Risiko-Score ermöglicht Identifikation von infektionsgefährdeten Patienten
Medscape Nachrichten © 2016 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Das Infektionsrisiko bei Rheuma begrenzen: gute Basistherapie, Steroide limitieren und den Impfstatus klären - Medscape - 8. Sep 2016.
Kommentar