Wie gesund ist Deutschland? RKI publiziert Kurzbericht mit den wichtigsten Entwicklungen

Susanne Rytina

Interessenkonflikte

7. September 2016

Die alternde Gesellschaft und gesundheitliche Ungleichheiten aufgrund der sozialen Lage prägen mehr denn je die Gesundheit in Deutschland. Dies sind wesentliche Ergebnisse des 500 Seiten umfassenden Berichts des Robert Koch-Instituts (RKI) zur „Gesundheit in Deutschland 2015“.

Nun hat die Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring eine kurze Zusammenfassung für Menschen mit begrenztem Zeitpensum herausgebracht – „Gesundheit in Deutschland – die wichtigsten Entwicklungen“: eine Fundgrube an aktuellen Daten mit den wichtigsten Entwicklungen zur Gesundheit in Deutschland auf der Basis von zahlreichen repräsentativen Quer- und Längsschnitt-Studien [1].

Diese werden am RKI im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit erstellt, um kontinuierlich Entwicklungen im Krankheitsgeschehen sowie Gesundheits- und Risikoverhalten in Deutschland zu beobachten – als Arbeitsgrundlage für Wissenschaftler, Politiker sowie für verschiedene Akteure im Gesundheitswesen. Die letzten Berichte erschienen 2006 und 1998.

Die Zusammenstellung der statistischen, demografischen, psychosozialen und medizinischen Daten basiert auf den in den letzten 20 Jahren durch das RKI durchgeführten Studien, an denen rund 200 Wissenschaftler beteiligt waren, sowie auf epidemiologische Register und Daten der Sozialversicherungsträger. Im Einzelnen sind dies:  

  • die Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS),

  • die Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS),

  • die Studie zur Gesundheit in Deutschland aktuell (GEDA), deren Ergebnisse in Zusammenarbeit im europäischen Kontext in den „European Health Interview Survey (EHIS)“ integriert wird,

  • die Studien zur Überwachung des Infektionsgeschehens in Deutschland wie Masern HIV, Tuberkulose und Influenza.

Rückgang von Herzinfarkt und Schlaganfall, Zunahme von Diabetes mellitus

Die Gesundheitsberichterstattung (GBE) des Bundes gibt Aufschluss über die wichtigsten Trends bei Erkrankungen. Die positive Nachricht aus dem Bereich Krankheitsentwicklung: Die Zahl der Neuerkrankungen bei Herzinfarkt und auch bei Schlaganfall ist gesunken. Auch die Sterblichkeit an koronarer Herzkrankheit (KHK) und Schlaganfall ist deutlich zurückgegangen – dank rückläufiger Trends beim Rauchen und vermutlich auch aufgrund von Erfolgen bei der Prävention.

Dennoch: 7% der Frauen und 10% der Männer haben eine KHK; 2,4% der Frauen und 2,6% der Männer hatten im Laufe ihres Lebens einen Schlaganfall. Im Gesamtbild sind Herz- und Kreislauf-Erkrankungen nach wie vor die häufigste Todesursache. Dies stellt laut RKI weiter hohe Anforderungen an Prävention und Gesundheitsversorgung, da Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Vergleich zu allen anderen Krankheitsgruppen die höchsten Kosten verursachen.

Grund zur Besorgnis sieht das RKI in der zunehmenden Verbreitung von Diabeteserkrankungen, die inzwischen fast jeden 10. Erwachsenen betreffen. Schon seit Ende der 90er Jahre steigen hier die Zahlen. Ein Drittel des Anstiegs lässt sich auf die allgemeine Altersentwicklung zurückführen – eine größere Häufigkeit zeigt sich im Nordosten, eine geringe Rate im Südwesten. Die zurückgehenden Folgekomplikationen wie Erblindungen und Amputationen dürften auf die Einführung der Disease-Management-Programme und die Umsetzung der Nationalen Versorgungsleitlinie zurückzuführen sein.

Rückläufige Krebssterblichkeit

Die zweithäufigste Todesursache in Deutschland ist Krebs. Im Jahr 2013 starben rund 102.000 Frauen und 122.000 Männer an einer Krebserkrankung. Werden jedoch die Veränderungen in der Altersstruktur berücksichtigt, ist die Krebssterblichkeit seit Mitte der 90er-Jahre rückläufig. Dies wird auch auf Fortschritte der Therapie für einige Krebsarten und auch auf die frühzeitigere Entdeckung der Tumore zurückgeführt.

Eine weitgehend konstante Erkrankungsrate zeigt sich bei den Männern in den letzten 10 Jahren. Ein leichter Anstieg bei den Frauen ist vor allem durch Brustkrebs bedingt. „Durch die Einführung des Mammografie-Screenings konnten vermehrt Tumore im Frühstadium entdeckt werden, so dass die Erkrankungsrate zunächst angestiegen ist“, so die Erklärung des RKI.

Fehltage am häufigsten durch Rückenschmerzen

Muskel-Skelett-Erkrankungen gehören in Deutschland zu den häufigsten chronischen Erkrankungen – am häufigsten Arthrose, Osteoporose und rheumatoide Arthritis, die alle natürlich vermehrt mit zunehmendem Alter auftreten. Chronische Rückenschmerzen, an denen ein Viertel der Frauen und 17% der Männer in Deutschland leiden, haben schon jüngere Menschen im Erwerbsleben. Sie verursachen die häufigsten Fehltage bei der Arbeit und sind die häufigste Diagnose in Vorsorge oder Reha-Einrichtungen und der zweithäufigste Grund für gesundheitliche Frühberentung.

Mit zunehmendem Lebensalter erhöht sich (auch nicht überraschend) die Wahrscheinlichkeit der Multimorbidität. In Deutschland gelten 76% der Frauen und 68% der Männer in den Altersgruppen der 65- bis 74-Jährigen als multimorbide, in der Gruppe der 75- bis 79-Jährigen steigt der Anteil auf 82% bei Frauen und 74% bei Männern. Etwa ein Drittel der über 65-Jährigen nimmt 5 und mehr Arzneimittel regelmäßig ein. Die Polypharmazie geht mit einem erhöhten Risiko unerwünschter Neben- und Wechselwirkungen einher – eine weitere Herausforderung für Ärzte.

Zunehmende Relevanz psychischer Störungen

Eine zunehmende Bedeutung erhalten psychische Belastungen und Störungen. Mit Blick auf die Datenlage ist laut RKI für psychische Störungen in Deutschland eine widersprüchliche Entwicklung zu beobachten. Obwohl Bevölkerungsstudien keine Hinweise für eine Zunahme von Diagnosen wie Angststörungen und Depressionen ergeben, werden sie zunehmend relevanter für die Gesellschaft und das Gesundheitssystem.

So hat die Zahl der Fehltage und Frühberentungen aufgrund psychischer Störungen in den letzten 20 Jahren deutlich zugenommen. Psychische Belastungen und Störungen zählen mit steigender Tendenz zu den häufigsten Ursachen krankheitsbedingter Fehlzeiten am Arbeitsplatz. Die Zahl der Frühberentungen geht zwar insgesamt zurückgeht, doch die Zahl der Frührenten aufgrund von psychischen Störungen steigt. Als Gründe werden Veränderungen in der Arbeitswelt, vor allem auch die Enttabuisierung psychischer Krankheitsbilder und die damit verbundene verbesserte Diagnostik diskutiert.

Häufig sind solche Störungen mit Depressionen, Alkohol- oder Drogen-Abhängigkeit assoziiert. Dabei hat der soziale Status einen entscheidenden Einfluss auf die depressive Symptomatik: 16% der Frauen mit niedrigem Sozialstatus haben eine depressive Störung, Frauen mit mittlerem und hohem Status dagegen nur zu 10 bzw. 5%. Unter den Männern mit niedrigem Sozialstatus beträgt die Rate 11% – im Vergleich zu 5% bei denen mit mittlerem und 4% bei denjenigen mit hohem Status.

Das RKI betont auch die Notwendigkeit, bei Kindern die psychische Widerstandsfähigkeit zu stärken, um die Vulnerabilität für psychische Krankheiten zu senken. Wie wichtig die Stärkung von Schutzfaktoren wie soziale und familiäre Ressourcen und ein stabiles Umfeld ist, zeigt die KiGGS-Studie: Bei einem Fünftel aller Kindern und Jugendlichen finden sich Anhaltspunkte für psychische Probleme und Auffälligkeiten für eine psychische Störung. Am häufigsten fallen sie durch aggressives und dissoziales Verhalten, Probleme mit Gleichaltrigen, Ängstlichkeit und Depressivität sowie Unaufmerksamkeit und motorische Unruhe auf – Jungen mit 23% häufiger als Mädchen (17%) und Kinder und Jugendliche aus Familien mit niedrigem Sozialstatus mit 33% mehr als 3-mal so oft wie solche aus Familien mit hohem Sozialstatus(10%).

Eine der häufigsten diagnostizierten Verhaltensstörungen im Kindesalter ist ADHS. Die Daten der KiGGS-Studie zeigen, dass laut Auskunft ihrer Eltern 5% der Kinder und Jugendlichen in Deutschland im Alter von 3 bis 17 Jahren die Diagnose ADHS erhalten haben – Jungen mit 8% häufiger als Mädchen mit 2%. Kinder und Jugendliche sind damit eine wichtige Zielgruppe für die Prävention, um zu erreichen, dass psychische Probleme weniger oft chronisch verlaufen oder abgemildert werden.

Die Gesundheit des noch ungeborenen Kindes wird natürlich vor allem erheblich beeinflusst durch das Verhalten der schwangeren Mutter: Rund 21% der Schwangeren sind schon zu Beginn ihrer Schwangerschaft übergewichtig, 14% sind adipös, 4% entwickeln einen Gestationsdiabetes. Etwa 62% der Geburten sind Spontangeburten. Der Anteil der Kaiserschnittgeburten (32%) hat sich seit 1994 fast verdoppelt, stagniert mittlerweile und ist regional sehr unterschiedlich. Das durchschnittliche Alter der Mutter bei der Geburt des ersten Kindes ist im Verlauf der vergangenen Jahre auf 29,5 Jahre angestiegen.

Lebensstil: Übergewicht und Alkohol

Übergewicht per se ist häufig mit einer Gesundheitsgefährdung verbunden: In Deutschland ist jede zweite Frau (53%) und 2 Drittel der Männer (67%) übergewichtig. Als adipös gelten 24% der Frauen und 23% der Männer. Etwa jeder Dritte im Alter von 18 bis 79 Jahren Deutschland hat eine arterielle Hypertonie – rund 20 Millionen Erwachsene.

Ein weiterer wichtiger Risikofaktor: Alkoholkonsum. Schätzungen zufolge sterben in Deutschland pro Jahr zwischen 42.000 und 74.000 Menschen an den Folgen des Alkoholkonsums. Etwa ein Viertel dieser Todesfälle ist dabei allein auf den Alkohol, die übrigen 3 Viertel auf den kombinierten Konsum von Alkohol und Tabak zurückzuführen. Das durchschnittliche Sterbealter liegt bei alkoholbedingten Krankheiten mit rund 61 Jahren knapp 17 Jahre unter dem durchschnittlichen Sterbealter. Obwohl die Verbrauchszahlen seit 1980 kontinuierlich sinken, nimmt Deutschland mit einem Pro-Kopf-Konsum von 9,7 Litern Reinalkohol einen negativen internationalen Spitzenwert ein.

Um Risikofaktoren zu verringern, spielt die Prävention eine immer wichtigere Rolle – die Bundesregierung hat im Juni 2015 ein Präventionsgesetz verabschiedet. Darin ist auch eine Erhöhung der Ausgaben für Prävention und Gesundheitsförderung durch die Krankenkassen vorgesehen - auch um die gesundheitliche Ungleichheit zu verringern. Menschen mit niedrigerem Sozialstatus nehmen Präventionsangebote seltener in Anspruch als Personen mit höherem Statuts, leiden häufiger an chronischen Krankheiten, Beschwerden oder Behinderungen und schätzen ihre eigene Gesundheit schlechter ein. Dieser Zusammenhang stellt sich vielfach als sozialer Gradient dar, der in allen Altersstufen sichtbar ist: Je niedriger der soziale Status, desto mehr Gesundheitsprobleme und Krankheitsrisiken.

 

REFERENZEN:

1. Robert Koch-Institut und DESTATIS: Gesundheit in Deutschland – die wichtigsten Entwicklungen

 

Kommentar

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