Kinder und Jugendliche von 2 bis 18 Jahren sollten höchstens 6 Teelöffel zugesetzten Zucker am Tag konsumieren. So lautet eine neue Empfehlung der American Heart Association (AHA) [1]. Bei unter 2-jährigen Kindern sollte völlig auf zugesetzten Zucker, sei es in Fertiglebensmitteln oder im selbst gekochten Tee, verzichtet werden. Die neue Empfehlung soll Heranwachsende vor einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen durch Fettleibigkeit, erhöhten Blutdruck, Dyslipidämie, Leberverfettung und Insulinresistenz schützen.
„Die kardiovaskulären Erkrankungen zugrunde liegende Atherosklerose beginnt zunehmender Evidenz zufolge bereits im Kindesalter. Assoziationen zwischen zugesetztem Zucker und erhöhtem kardiovaskulärem Risiko bestehen bereits bei einem Zuckerverzehr, der weit unter dem derzeitigen Konsumniveau von Kindern liegt“, schreiben die US-Experten um die Pädiaterin und Ernährungswissenschaftlerin Prof. Dr. Miriam B. Vos von der Emory University School of Medicine in Atlanta, USA.

Prof. Dr. Baptist Gallwitz
Pragmatisch und leicht umsetzbar
„Es ist ein sinnvoller Schritt in die richtige Richtung“, kommentiert Prof. Dr. Baptist Gallwitz, Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), die US-Empfehlung gegenüber Medscape. „Die empfohlene Beschränkung auf maximal sechs Teelöffel am Tag ist pragmatisch und leicht umzusetzen, insbesondere, da sie für alle Altersstufen am dem 2. Lebensjahr gleich bleibt.“
Bisherige Ernährungsempfehlungen, etwa der Deutschen Gesellschaft für Ernährung oder auch die Dietary Guidelines for Americans, raten, maximal 10% des von Alter, Geschlecht und körperlicher Aktivität abhängigen Tageskalorienbedarfs durch Zucker zu decken.
Die von den US-Kardiologen empfohlenen 6 Teelöffel Zucker am Tag entsprechen ca. 25 Gramm oder 100 kcal. Das typische amerikanische Kind verzehre mit ca. 80 Gramm am Tag bislang mehr als das Dreifache dieser empfohlenen Menge, berichten sie. Mit dem Alter nehme der Zuckerkonsum zu und sei in der Pubertät am höchsten.
Als zugesetzte Zucker gelten dem Statement zufolge alle Zuckerarten – neben Haushaltszucker auch Fruchtzucker oder Honig –, die bei der Herstellung von Lebensmitteln oder Getränken zugesetzt werden, bei Tisch ins Essen oder in Getränke getan werden oder separat gegessen werden.
Kein zugesetzter Zucker für unter Zwei-Jährige
Für Kinder unter 2 Jahren empfiehlt das Expertenpanel, auf zugesetzten Zucker vollständig zu verzichten. Der Kalorienbedarf von Kindern in dieser Altersgruppe sei niedriger als bei älteren Kindern und Erwachsenen, so dass wenig Raum bleibe für Lebensmittel und Getränke mit zugesetztem Zucker, die sonst keine wertvollen Inhaltsstoffe böten.
Außerdem, so die Experten, entwickelten sich Geschmacksvorlieben schon früh im Leben. Beschränke man die Aufnahme von zugesetztem Zucker bei Babys und Kleinkindern, könnte dies dazu beitragen, dass sie eine lebenslange Präferenz für gesündere Nahrungsmittel entwickeln.
Warnung speziell vor gezuckerten Getränken
Um langfristig das kardiovaskuläre Risiko zu senken, empfehlen die AHA-Autoren ganz allgemein, den Verzehr von zugesetztem Zucker bei Kindern zu reduzieren. Insbesondere warnen sie aber vor dem Konsum von mit Zucker gesüßten Getränken, da diese stärker zur Entstehung von Adipositas beitragen können als Zucker in festen Lebensmitteln.
Sie zitieren dazu eine Studie, in der bei jungen Erwachsenen über 4 Wochen der Effekt von Limonade im Vergleich zu Jelly Beans mit gleicher Kalorienzahl untersucht wurde. Während es mit der Limonade zu einer Gewichtszunahme kam, galt dies für die Jelly Beans nicht. Längerfristige Beobachtungsstudien bei Kindern und Jugendlichen kamen zu ähnlichen Ergebnissen: Zucker in festen Nahrungsmitteln hatte einen weniger negativen Effekt auf Adipositas-Parameter wie BMI und Taillenumfang als zugesetzter Zucker in Getränken.
„Kohlenhydrate, die in fester Form verzehrt werden, sind – wie Studien zeigen – sättigender als diejenigen in flüssiger Form, wodurch danach weniger gegessen wird“, erklären die Autoren.
Viele Erfrischungsgetränke in deutschen Supermärkten völlig überzuckert
„Erschreckend“ seien in diesem Zusammenhang die Ergebnisse einer jüngst von der Verbraucherschutzorganisation foodwatch veröffentlichten Marktstudie, erklärt Gallwitz. Demnach sind mehr als die Hälfte der in deutschen Supermärkten verkauften Erfrischungsgetränke mit viel zu viel Zucker versetzt. Im Schnitt enthalten sie pro Glas (ca. 250 ml) mehr als 6 Stück Würfelzucker.
foodwatch hat 463 der in den 3 größten deutschen Supermärkten angebotenen Limonaden, Energydrinks, Saftschorlen, Eistees und Fruchtsaftgetränke auf Zuckergehalt und Süßstoffe getestet. Als überzuckert galt, was einen Anteil von mehr als 5% Zucker je 100 Milliliter Flüssigkeit aufwies. Dieser Wert bemisst sich an der jüngst beschlossenen Softdrink-Steuer in Großbritannien. Dort müssen Hersteller ab 2018 eine gestaffelte Abgabe zahlen, sofern Getränke diese 5%-Grenze erreichen bzw. überschreiten.
„Kinder sollten nicht mehr als eine Portion (240 ml) gezuckerte Getränke pro Woche trinken, doch im Moment trinken sie jede Woche ihr Alter an Süßgetränkportionen“, so Vos. Und Gallwitz betont: „Wenn es um die Flüssigkeitsaufnahme geht, sind Wasser und ungesüßte Tees die beste Option.“
Sind Süßungsmittel eine Alternative – oder Fruchtsaft?
Doch was tun, wenn der Nachwuchs partout nicht zu den gesünderen Trinkoptionen greifen mag? Sind mit Süßstoff gesüßte Getränke eine Alternative? Die US-Experten halten sich hier zurück und geben zum Einsatz von Süßungsmitteln wie Aspartam, Saccharin oder Sucralose in der Ernährung von Kindern keine Empfehlung heraus. Der Mangel an Forschungsdaten habe weder eine Empfehlung für noch gegen den Konsum von Süßstoffen erlaubt, begründen sie dies.
Diabetesexperte Gallwitz betont dagegen: „Die Süßung von Lebensmitteln und Getränken mit Süßungsmitteln ist für Kinder nicht empfehlenswert. Zum einen wissen wir aus Studien, dass Süßstoffe im Vergleich zu Zucker meist nicht vor Gewichtszunahme schützen bzw. nicht zu einer Gewichtsabnahme beitragen. Zum anderen kann die Süße aus Süßungsmitteln die spätere Vorliebe für Süßes bei Kindern ebenso bahnen wie die Süße aus Zucker.“
Ein Fragezeichen lassen die US-Experten auch hinter den 100%-igen Fruchtsäften stehen. Bislang reiche die Evidenz nicht aus, um zu beantworten, ob der Zucker aus 100%-igem Fruchtsaft die gleichen biologischen und kardiovaskulären Effekte bei Kindern habe wie der zugesetzte Zucker in Erfrischungsgetränke. Für den Diabetologen Gallwitz ist jedoch klar: „Es zählt der Zuckergehalt. Man kann gezuckerte Limo nicht durch Fruchtsaft ersetzen.“ Eine erst kürzlich im British Medical Journal erschienene Untersuchung aus Großbritannien bestätigt dies, wie Medscape berichtete.
Empfehlungen wie die nun von der AHA herausgegebenen seien ein Schritt in die richtige Richtung, so Gallwitz abschließend. Doch um wirklich etwas zu bewegen und den Zuckerkonsum in der Bevölkerung herabzusetzen, seien Veränderungen auf politischer Ebene notwendig. „Wir befürworten deshalb ganz klar die steuerliche Mehrbelastung von sehr zuckerhaltigen Getränken und Lebensmitteln – ähnlich dem Vorbild in Großbritannien. Im Gegenzug könnten gesunde, zuckerfreie Getränke entlastet werden, um Anreize für die Industrie zu schaffen.“
REFERENZEN:
Medscape Nachrichten © 2016 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Sechs Teelöffel pro Tag: US-Kardiologen fordern Zucker-Limit für Kinder – Limo und Co. besonders bedenklich - Medscape - 6. Sep 2016.
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