Studie bei familiärer Hypercholesterinämie: PCSK9-Hemmer könnte vielleicht vielen Patienten die Lipidapherese ersparen

Simone Reisdorf

Interessenkonflikte

6. September 2016

Rom – Ein beachtlicher Anteil von Patienten mit heterozygoter familiärer Hypercholesterinämie (HeFH), die eine Lipidapherese erhalten, könnte diese aufwändige Therapie womöglich in Zukunft erspart werden. Darauf deutet ODYSSEY ESCAPE hin, eine kleine Studie mit dem PCSK9-Hemmer Alirocumab (Praluent®). Der Wirkstoff konnte das LDL-Cholesterin der meisten Patienten ebenso stark senken wie sonst die Apherese.

Die von Sanofi und Regeneron unterstützte doppelblind-randomisierte, placebokontrollierte Studie lief an insgesamt 14 Zentren in Deutschland und den USA. Sie wurde beim ESC-Kongress in Rom von Prof. Dr. Patrick M. Moriarty, Leiter der Klinischen Pharmakologie am Universitätsklinikum von Kansas City, USA, vorgestellt [1]. Er berichtete: „Die Zahl der notwendigen Apherese-Termine konnte in Woche 7 bis 18 im Alirocumab-Arm im Vergleich zum Kontroll-Arm um drei Viertel reduziert werden.“ Die subkutane Injektion von Alirocumab war damit im primären Endpunkt der Studie der Vergleichstherapie mit Placebo signifikant überlegen (p < 0,0001).

Prof. Dr. Eric Bruckert, Direktor der Abteilung Endokrinologie und Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen am Pitié-Salpêtrière-Hospital in Paris, kommentierte die Studie während des Symposiums: „Die Studie liefert wichtige Informationen für Patienten mit einer schweren Erkrankung und ungedecktem klinischem Bedarf und sie zeigt, dass die LDL-Cholesterin-Apherese hier vermieden oder zumindest verringert werden kann. Bei wie vielen Patienten dies tatsächlich der Fall sein wird, muss sich aber erst noch in der klinischen Praxis zeigen.“

Zur Methodik der Studie merkte er kritisch an, dass sich die Praxis der Lipidapherese in den beiden Teilnehmerländern deutlich unterscheidet: „In Deutschland erfolgt die Behandlung meist einmal pro Woche, in den USA eher zweiwöchentlich.“ Das könne die Auswertung erschweren, da sich der primäre klinische Endpunkt gerade auf die Häufigkeit der Apherese bezog.

Zudem wurde nur etwa jeder zweite Patient in ODYSSEY ESCAPE mit einem Statin als Basis der Lipidsenkung behandelt, und wenn, dann nicht immer in der vollen Dosis. Es sei aber in der Publikation nicht angegeben, wie viele Patienten an einer Statin-Intoleranz litten und wie diese genau definiert war.

Apherese abgesetzt, wenn LDL-Cholesterin um 30 Prozent reduziert

 
Die Zahl der notwendigen Apherese-Termine konnte in Woche 7 bis 18 im Alirocumab-Arm im Vergleich zum Kontrollarm um drei Viertel reduziert werden. Prof. Dr. Patrick M. Moriarty
 

Zum Studiendesign: 62 HeFH-Patienten waren in ODYSSEY ESCAPE eingeschlossen; die allermeisten von ihnen hatten Familienangehörige mit koronarer Herzkrankheit. Auch unter Medikamententherapie hatten die Studienteilnehmer noch stark erhöhte LDL-Cholesterinwerte von durchschnittlich 175 mg/dl (4,5 mmol/l; Alirocumab-Gruppe) bzw. 192 mg/dl (5 mmol/l; Kontroll-Gruppe). Deshalb erhielten sie bereits regelmäßig jede Woche oder jede zweite Woche eine Lipidapherese.

41 Patienten wurden nun auf eine Zusatzbehandlung mit einer 2-wöchentlichen s.c. Injektion von 150 mg Alirocumab randomisiert. Weitere 21 Patienten erhielten 2-wöchentlich Placebo-Injektionen. In den ersten 6 Wochen gingen alle Patienten wie gewohnt weiter zur Lipidapherese.

Ab Woche 7 bis Woche 18 wurde die Fortführung der Lipidapherese jeweils vom erreichten LDL-Cholesterinspiegel abhängig gemacht: Lag er um mindestens 30% unter dem Basiswert, fiel die Blutwäsche aus. Den Cut-off von 30% wählten die Forscher, weil auch die modernen Lipidaphereseverfahren den LDL-Cholesterinspiegel über das Behandlungsintervall um durchschnittlich etwa 30% senken. In einer anschließenden offenen Extensionsphase von Woche 18 bis 26 bekamen alle Studienteilnehmer Alirocumab.

Sekundäre Endpunkte: Zwei Drittel kamen ohne Apherese aus

Der mittlere LDL-Spiegel der Patienten, jeweils vor der Apherese gemessen, sank unter Alirocumab von 175 mg/dl (4,5 mmol/l) zu Studienbeginn auf 90 mg/dl (2,3 mmol/l) in Woche 6 und betrug 110 mg/dl (2,9 mmol/) in Woche 18. Im Kontrollarm dagegen blieb der Wert mit anfangs 192 mg/dl (5 mmol/l) und später 185 bzw. 191 mg/dl (4,8 bzw. 4,9 mmol/l) weitgehend unverändert.

Im Median benötigten die Alirocumab-Patienten in Woche 7 bis 18 keine einzige Apherese mehr; die Kontrollpatienten mussten im Median 83% der geplanten Apherese-Termine tatsächlich wahrnehmen. Insgesamt waren es 63,4% der Alirocumab- versus 0% der Placebo-Patienten, die in Woche 7 bis 18 gar keine Lipidapherese mehr brauchten. Eine Reduktion der Blutwäsche-Termine um mindestens 50% erzielten 92,7% der Studienteilnehmer unter Alirocumab (einschließlich der vollständig apheresefreien Patienten), aber nur 14,3% unter Placebo.

Für „Treat to target“ noch zu wenig?

Bruckert verglich den potenziellen Nutzen der Lipidapherese und der Behandlung mit einem PCSK9-Hemmstoff wie Alirocumab: Mit der Apherese werden nach vorliegenden Studiendaten zwar akute Verringerungen des LDL-Cholesterins um etwa 50 bis 75% direkt nach der Behandlung erzielt, im Mittel wird der LDL-Spiegel aber nur um etwa 30% gesenkt, bestätigte der Experte. Der PCSK9-Hemmer Alirocumab dagegen habe in den Zulassungsstudien eine dauerhafte Absenkung meist um 50 bis 60% erbracht.

Zugleich stellte Bruckert aber klar, dass dies für etliche Studienteilnehmer – insbesondere in der Sekundärprävention – bei den hohen Ausgangsleveln wohl noch nicht genug war, um ihr Behandlungsziel von zumeist unter 70 mg/dl (< 2,6 mmol/l) zu erreichen. Er bemängelte, dass der Anteil der Patienten beider Gruppen, die im Zielbereich landeten, in der Studie nicht benannt wurde.

Pleiotrope (Nutz-)Effekte eher unter Lipidapherese zu erwarten

Ein Pluspunkt der Lipidapherese sind laut Bruckert „ihre zahlreichen und starken pleiotropen Effekte, von denen viele, wenn auch nicht alle, vorteilhaft sind. Von den PCSK9-Antikörpern erwarten wir diese starken pleiotropen Effekte eher nicht.“ Diese Effekte seien in diversen Studien erläutert worden.

Dazu gehört etwa die Reduktion von Lipoprotein(a), die allerdings in gewissem Maße auch bei den PCSK9-Hemmern nachgewiesen wurde. Außerdem ist die Lipidapherese laut Bruckert mit einer Stabilisierung, oftmals gar mit einer gewissen Regression der atherosklerotischen Plaques verbunden; dies müsse für die PSCK9-Inhibitoren erst noch gezeigt werden. Und auch die mögliche Reduktion der Zahl an Herz-Kreislauf-Ereignissen unter Alirocumab wird derzeit erst noch in der ODYSSEY OUTCOMES-Studie untersucht. Für die Lipidapherese wurde zumindest schon in nicht-interventionellen Studien ein verbessertes kardiovaskuläres Outcome gezeigt, so der Experte.

Als weitere pleiotrope Effekte, die nur bei der Lipidapherese zu beobachten sind, nannte Bruckert unter anderem „die Förderung des Blutflusses durch die Verminderung von Fibrinogen; die Hemmung von Thrombose durch Reduktion von Fibrinogen, Plasminogen, Antithrombin III und Plättchenfaktor 4 sowie antientzündliche Wirkungen.“

Verträglichkeit in beiden Studienarmen vergleichbar

Andererseits verwies Bruckert auf die bekannten unerwünschten Wirkungen der Apherese wie Blutdruckabfall, Eisenmangel und Fatigue, Probleme mit dem venösen Zugang sowie hämorrhagische oder allergische Reaktionen. Alirocumab zeige bislang wenig Nebenwirkungen; man müsse hier aber noch die ausstehenden Daten großer Studien abwarten.

 
Könnten wir die Zahl der Apherese-Termine reduzieren, würde auch das schon beeindruckende Einsparungen bringen. Prof. Dr. Patrick M. Moriarty
 

In ODYSSEY ESCAPE war die Therapiesicherheit in beiden Gruppen weitgehend ähnlich: Etwa 3 Viertel der Patienten jeder Gruppe (jeweils 76%) berichteten über irgendein unerwünschtes Ereignis; jeweils knapp 10% erlitten ein schwerwiegendes unerwünschtes Ereignis im zeitlichen Zusammenhang mit der Behandlung (treatment-emergent serious adverse event, TE-SAE). TE-SAE mit Todesfolge gab es nicht, wie Studienleiter Moriarty betonte.

Und was ist mit den Kosten?

Wichtige Nachteile der Lipidapherese sind laut Bruckert die große Belastung der Patienten sowie die hohen Kosten. Diese ließen sich deutlich reduzieren, wenn man unter Alirocumab-Therapie auf die Apherese vollständig verzichten könne. Die 2-wöchentliche subkutane Dosis mit je 150 mg Alirocumab kostet derzeit in Deutschland nach etwa 8.930 Euro pro Jahr.

„Könnten wir die Zahl der Apherese-Termine reduzieren, würde auch das schon beeindruckende Einsparungen bringen“, erklärte Moriarty in der Diskussionsrunde. „Wenn die Apherese an sich etwa 50.000 bis 75.000 Dollar jährlich kostet, wäre schon eine Halbierung der Termine ein großer Vorteil für die Gesundheitssysteme – und auch für die Patienten selbst.“

 

REFERENZEN:

1. European Society of Cardiology (ESC) Congress, 28. bis 31. August 2016, Rom (Italien)

 

Kommentar

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