Berlin – Es brodelt in der Medikamentenküche: Auf dem Gebiet der Rheuma-Therapeutika sind nach einer „Dürreperiode“ gerade einige neue Wirkstoffe in der Entwicklung oder stehen vor der Zulassung. „Trotz großer Erfolge in der Medikation ist bei seltenen rheumatischen Erkrankungen das Therapiespektrum immer noch eingeschränkt und vorhandene Medikamente lindern das Leiden der Patienten langfristig nicht immer so, wie wir uns das wünschen“, sagte Prof. Dr. Ulf Müller-Ladner, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh). Auf der Vorab-Pressekonferenz zum gerade laufenden Rheumakongress stellte er die neuen „Hoffnungsträger“ vor.

© DGRh/ Prof. Dr. Ulf Müller-Ladner
Bei aller Freude über die gegenwärtige Entwicklung auf dem Gebiet der Therapeutika wies der Ärztliche Direktor der Abteilung für Rheumatologie und Klinische Immunologie an der Kerckhoff-Klinik Bad Nauheim aber auch auf ein immer noch bestehendes Problem hin: Die meisten Verordnungen, selbst von lange etablierten Rheuma-Medikamenten, sind für seltene Rheuma-Formen off-label.
An seltenen entzündlichen rheumatischen Erkrankungen wie Vaskulitiden und Kollagenosen leiden etwa 136.000 Patienten in Deutschland. Eigentlich gar nicht so wenig im Vergleich mit der häufigsten entzündlichen Rheumaform, der rheumatoiden Arthritis (RA) mit – laut Müller-Ladner – „ca. 1 Million Erkrankten.“ Allerdings verteilen sie sich auf zahlreiche teils sehr unterschiedliche Krankheitsbilder. Allein bei den Vaskulitiden sind es 15 bis 20. „Pharmafirmen scheuen leider meist den hohen Aufwand und die Schwierigkeiten einer Zulassungserweiterung von bewährten und sinnvollen Medikamenten für Erkrankungen mit verhältnismäßig wenigen Patienten“, so Müller-Ladner gegenüber Medscape.
Janukinase-Hemmer: Tofacitinib und Baricitinib vor der EU-Zulassung
Januskinase-Hemmer –die zu den sogenannten small molecules gehören – greifen intrazellulär in die Signalkaskade der Entzündungsreaktion ein. Medikamente, die nach diesem noch relativ neuen Therapieprinzip wirken, können oral verabreicht werden.
Die Januskinase-Hemmer Baricitinib und das bereits in einigen Ländern außerhalb der EU für die RA zugelassene Tofacitinib stehen in den Startlöchern. Für Deutschland wird die Zulassung 2017 erwartet. 2013 hatte die EMA Tofacitinib zunächst die Zulassungsempfehlung verweigert, da sie bei damaliger Datenlage noch nicht von einem günstigen Risiko-Nutzen-Verhältnis (bei RA) überzeugt war. Tofacitinib könnte in topisch applizierter Form beispielsweise auch beim Sjögren-Syndrom zum Einsatz kommen.
Monoklonale Antikörper und Rezeptorantagonisten
Biologika haben vor einigen Jahren die Rheumatherapie revolutioniert. Rheumatologen verordnen sie, wenn Basistherapeutika das Fortschreiten der Erkrankung nicht stoppen können oder vom Patienten nicht vertragen werden. Ein Angriffspunkt der Biologika ist u.a. IL-6 bzw. der IL-6-Rezeptor. Bereits eingesetzt wird Tocilizumab bei RA. Nun zeigen erste Studien, dass der gegen den IL-6-Rezeptor gerichtete Antikörper auch bei Vaskulitiden der großen Blutgefäße wie der Riesenzellarteriitis und der Takayasu-Arteriitis eine Alternative zur üblicherweise verordneten Glucocorticoid-Therapie oder anderen immunsuppressiven Therapien sein kann.
Daneben befinden sich aktuell 4 weitere Antikörper in der klinischen Entwicklung, die die IL-6-Signalübertragung blockieren. Ihre Effizienz scheint mit der von Tocilizumab und TNF-alpha-Blockern vergleichbar zu sein. Rheumatologen hoffen, dass die neuen Antikörper auch für Vaskulitiden und Kollagenosen zugelassen werden.
Gegen die alpha-Untereinheit des GMCSF(Granulozyten-Makrophagen-Wachstumsfaktor)-Rezeptors gerichtet ist der Antikörper Mavrilimumab. Bei RA-Patienten hat er bereits zu signifikanten Besserungen der Symptome geführt. Sollte sich diese Gruppe von Antikörpern in weiteren Studien bewähren, könnten sie möglicherweise auch bei Vaskulitiden eine Behandlungsalternative sein.
Bereits seit einigen Jahren gehört der anti-CD20-Antikörper Rituximab fest zum Therapierepertoire bei RA. Nun wurde er auch für ANCA(antineutrophile zytoplasmatische Antikörper)-assoziierte Vaskulitiden zugelassen. Und auch für die Systemische Sklerose (Sklerodermie), für die bis jetzt ein zuverlässig wirkendes Basistherapeutikum fehlt, wird er in Studien erprobt.
Für Psoriasisarthritis und ankylosierende Spondylitis wurde kürzlich der erste Anti-IL-17-Antikörper, Secukinumab, zugelassen. IL-17 spielt bei Entzündungsvorgängen eine ähnlich wichtige Rolle wie TNF, insbesondere bei Entzündungen an der Wirbelsäule und den Sehnenansätzen. Ein weiterer IL-17-Antikörper, Ixekizumab wurde in diesem Jahr von der EMA für die Behandlung von Psoriasis zugelassen. Mehrere Studien mit Lupus-Patienten laufen gerade, ebenso für den B-Zell-Hemmer Atacicept.
Etablierte Medikamente auf neuen Wegen
Dabei sind Rheumatologen auch bei den seltenen Rheumaformen nicht zwingend auf neue Medikamente angewiesen: „Methothrexat tritt bei den Vaskulitiden gerade den gleichen Siegeszug an wie schon bei der rheumatoiden Arthritis. Das Problem ist auch hier, dass wir es off-label einsetzen müssen“, erläuterte Müller-Ladner. Er nannte ein weiteres Beispiel: Mykophenolat-Mofetil, das bei Transplantationen zur Dämpfung der Immunreaktion angewendet wird, zeigt etwa auch bei Patienten mit Riesenzellarteriitis eine gute Wirksamkeit. „Hier bräuchten wir dringend eine Zulassung“, so Müller-Ladner.
Eigenbluttherapie: keinesfalls – Rauchstopp: unbedingt
Auch wenn die neuen Entwicklungen auf dem Gebiet der Therapeutika sehr vielversprechend sind – gerade bei chronischen Erkrankungen suchen Patienten oft nach alternativen Behandlungsoptionen oder Empfehlungen für einen Lebensstil, der sich positiv auf ihre Erkrankung auswirkt. „Ich habe nichts dagegen, wenn meine Patienten zum Heilpraktiker gehen, aber ich möchte es wissen“, sagte Müller-Ladner. Denn dann könne er sie auf die Gefahren aufmerksam machen, die von Behandlungen ausgingen, die das Immunsystem stimulieren, wie etwa die Eigenbluttherapie. Diese könne bei Patienten mit einem ohnehin schon überaktiven Immunsystem die Erkrankung massiv verschlimmern, so der Rheumatologe.
Patienten haben aber durchaus selbst die Möglichkeit, ihre Erkrankung positiv zu beeinflussen. Der negative Einfluss des Rauchens ist für die RA klar belegt. Für andere entzündliche Rheumaformen fehlt der eindeutige Nachweis zwar noch: „Es gibt Hinweise auf einen Zusammenhang, aber es fehlt an Daten“, sagte Prof. Dr. Erika Gromnica-Ihle, Präsidentin der Deutschen Rheuma-Liga. Mittlerweile ist aber der Mechanismus bekannt, auf dem Rauchen Autoimmunprozesse fördert. Der blaue Dunst führt zur Citrullierung von Proteinen. Diese veränderten Eiweiße werden vom Organismus als fremd angesehen und (Auto-)Antikörper gebildet. „Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen sollte daher dringend vom Rauchen abgeraten werden“, resümierte Gromnica-Ihle.
REFERENZEN:
Morbus Bechterew: Orale JAK-Inhibition mit Tofacitinib zeigt erste vielversprechende Ergebnisse
„Small Molecules“ ganz groß: Januskinase-Hemmer & Co bereichern die Rheumatherapie
Mit einem Bein im Gefängnis? Am Off-Label-Use kommt in der Rheumatologie niemand vorbei
Kinderwunsch bei Rheuma: Kein Hindernis bei den meisten Patientinnen
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Diesen Artikel so zitieren: Die „Dürreperiode“ ist vorbei: Neue Wirkstoffe gegen seltene Rheumaformen - Medscape - 1. Sep 2016.
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