Medikationsplan: Ab Oktober haben Patienten mit drei oder mehr Medikamenten ein Anrecht darauf – Optimal- oder Minimallösung?

Christian Beneker

Interessenkonflikte

31. August 2016

Ab Oktober soll jeder Patient in Deutschland, der 3 oder mehr Medikamente verordnet bekommen hat, das Recht auf einen Medikationsplan haben [1]. Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Bundesärztekammer (BÄK) und Deutscher Apothekerverband haben hierzu eine entsprechende Rahmenvereinbarung getroffen. Allerdings sei mit der Anzahl der verschiedenen Medikamente noch nicht das Risiko eines Patienten abgebildet, wie Prof. Dr. Ferdinand Gerlach, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin an der medizinischen Fakultät der Universität Frankfurt, gegenüber Medscape anmerkt. Vor allem die Hochrisikopatienten profitierten nicht automatisch. Für Gerlach „ist der Medikationplan ein Fortschritt aber kein erreichtes Ziel“. 

Der Plan verzeichnet der Wirkstoff, den Handelsnamen, die Stärke, die Form, die Einheit, die Einnahmezeiten, besondere Hinweise und den Grund für die Medikation. Er umfasst neben den verordneten Medikamenten auch solche, die der Patient etwa als OTC-Präparat in der Apotheke gekauft hat.

 
Der Medikationplan ist ein Fortschritt aber kein erreichtes Ziel. Prof. Dr. Ferdinand Gerlach
 

Zwar ist das Recht auf einen Medikationsplan im E-Health-Gesetz festgeschrieben, aber vom „E", also der elektronischen Form, ist der Plan noch weit entfernt. Er wird deshalb vorerst nur in Papierform vorliegen. Mitte 2018, wenn Krankenhäuser über die Telematikinfrastruktur verbunden sein werden, soll auch der Medikationsplan online verfügbar sein.

Bis zu 16 Medikamente gleichzeitig

Arzt der Wahl für die Erstellung und Aktualisierung des Medikamentenplans sollte nach Ansicht des Deutschen Hausärzteverbandes der Hausarzt sein. Sie „koordinieren die Versorgung und überprüfen die Medikation“, so Vincent Jörres, Sprecher des Deutschen Hausärzteverbandes zu Medscape. „Nur sie verfügen hierfür über die notwendigen medizinischen Daten, einschließlich der Diagnosen. Dies kann nicht im Vorbeigehen geschehen, sondern bedarf neben der Dokumentationsleistung, auch der ausführlichen Beratung und Erläuterung der Medikation.“

Dass der Plan längst überfällig ist, steht außer Frage. „Unsere kleine Studie in 18 Hausarztpraxen mit 169 im Durchschnitt 74-jährigen Patienten, die durchschnittlich 8 Medikamente gleichzeitig nahmen, ergab, dass bei 96 Prozent der Patienten die tatsächlich eingenommenen Medikamente nicht mit der Medikation übereinstimmte, die dem Hausarzt bekannt war“, berichtet Gerlach.

Zudem passieren immer wieder Fehler beim Verschreiben: Bei einem Viertel wurden die Interaktionen der bis zu 16 Medikamente pro Patient nicht beachtet. Bei einem weiteren Viertel wurde falsch dosiert und bei 15 Prozent die Gegenanzeigen nicht beachtet. Mindestens die Hälfte dieser Fehler seien vermeidbar, meint Gerlach. Dazu kommt in der Hausarztpraxis mangelnde Adhärenz: Die Patienten senken oder erhöhen die Dosierung, verändern die Einnahmeintervalle oder nehmen kurzerhand die Medikamente des Ehepartners ein.

Der Medikationsplan könnte die Risiken durch Verschreibungsfehler und mangelnde Adhärenz verringern. Allerdings ist er keine Universallösung. Der Hausarzt „muss unterscheiden ob Patienten ein hohes oder ein nur niedriges Risiko für medikationsbedingte Ereignisse, zum Beispiel infolge von Wechselwirkungen oder unerwünschten Arzneimittelwirkungen haben“, erklärt Gerlach.

 
Unsere kleine Studie ergab, dass bei 96 Prozent der Patienten die tatsächlich eingenommenen Medikamente nicht mit der Medikation übereinstimmte, die dem Hausarzt bekannt war. Prof. Dr. Ferdinand Gerlach
 

Es gehe beim Risiko nicht nur um die Anzahl von Präparaten, die ein Patient nimmt, „sondern auch darum, welche Grunderkrankungen er hat und welche Medikamente er zusammen einnimmt, die unter Umständen eine erhöhte Sturzneigung oder gefährliche Blutungen zur Folge haben können“. Die Folgen sind erheblich: Aktivität und Teilhabe am Alltag sinken – und damit auch die Lebensqualität. Dafür steigt z.B. die Gefahr der Heimunterbringung nach Stürzen.

Brown-Bag-Review als Ergänzung zum Medikationsplan

Je höher das Risiko des Patienten, umso mehr muss man zusätzlich zum Medikationsplan weitere Maßnahmen ergreifen, z.B. einen sogenannten Brown-Bag-Review, fordert Gerlach. Der Patient bringt dazu alle Medikamente, die er einnimmt, in einer Tüte mit zum Hausarzt. Die Praxismitarbeiterinnen können die Präparate erfassen und formal auf Kontraindikationen und Wechselwirkungen prüfen, indem sie sie in eine entsprechende Software eingeben. „Allerdings verfügen derzeit nur wenige Praxen über diese Software“, räumt Gerlach ein.

Sobald die elektronische Form des Medikationsplans vorliegt, dürfte auch diese Prüfung leichter fallen. „Der jetzige Plan ist die absolute Minimallösung“, sagt denn auch Gerlach. „Die Praxen haben längst EDV und Drucker etwa für Rezepte. Sie könnten auch längst einen elektronischen Medikationsplan verarbeiten. Dass dies technisch häufig immer noch nicht funktioniert, ist ein Armutszeugnis. Die jetzige Papierlösung kann deshalb nur ein erster Schritt sein.“

Hedwig Francois-Kettner, Vorsitzende des Aktionsbündnisses Patientensicherheit, sieht auch, dass zunächst vor allem die Ärzte von einer elektronischen Form profitieren würden. Für die Patienten begrüßte Francois-Kettner den Papierplan: „Die Patienten in Deutschland sind nicht sehr souverän. Darum ist ein Papierplan zur Übung sehr praktisch. So werden sie erkennen, dass der Plan auch für sie selber Nutzen hat.“

 

REFERENZEN:

1. Online-Informationen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), 15. Juli 2016

 

Kommentar

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