Rom – Die neuen Leitlinien der European Society of Cardiology (ESC) zu Diagnose und Behandlung der akuten und chronischen Herzinsuffizienz sind kurz vor dem Jahreskongress der Gesellschaft in Rom publiziert worden – und gehörten zu den „heißen“ Themen des Kongresses [1;2]. Dies nicht nur, weil sie topaktuell sind, sondern auch, da einige der Neuerungen in der 2016er Version nicht die ungeteilte Zustimmung aller Experten finden.
Geändert hat sich z.B. der Therapie-Algorithmus. Dass dies passieren würde, war klar. Schließlich hatte vor 2 Jahren die damals ebenfalls beim ESC-Kongress in Barcelona vorgestellte PARADIGM-HF Studie für einigen Wirbel gesorgt. Hatte sie doch mit fast 8.500 Patienten belegt, dass der duale Wirkstoff Sacubitril/Valsartan (Entresto®, Novartis) – auch als ARNI (Angiotensin Receptor / Neprilysin Inhibitor) bezeichnet – dem ACE-Hemmer Enalapril in der Behandlung von Patienten mit systolischer Herzinsuffizienz und reduzierter Ejektionsfraktion überlegen ist. Die kardiovaskuläre Mortalität war signifikant um 20% niedriger, die Gesamtsterberate ebenfalls signifikant um 16%. Die Rate von Klinikbehandlungen wegen Verschlechterung der Herzinsuffizienz war um 21% reduziert.
Die drei Säulen bleiben ACE-Hemmer, Betablocker und MRA
Keine Frage also, dass der ARNI Aufnahme in den Therapie-Algorithmus der neuen Leitlinien finden würde. Doch an welcher Stelle? Die Leitlinien-Autoren, unter ihnen der deutsche Kardiologe Prof. Dr. Stefan Anker aus Göttingen, der die pharmakologischen Aspekte der neuen Leitlinie in Rom präsentierte, entschieden sich für eine Position sehr weit unten: „ACE-Hemmer, Betablocker – und wenn die Patienten weiterhin symptomatisch bleiben – auch ein Mineralkortikoid-Rezeptor-Antagonist (MRA) bleiben die Stützen der Behandlung von Patienten mit HFrEF (Heart Failure with reduced Ejection Fraction)“, betonte Anker vor dem Auditorium.
Alle 3 Wirkstoffklassen – ACE-Hemmer, Betablocker und MRA – haben in der neuen Leitlinie weiterhin eine Klasse 1A-Empfehlung. Diuretika sollten zusätzlich, in niedrigst möglicher Dosis, gegeben werden, um Symptome der Stauung und Volumenüberlastung zu beherrschen.
Der ARNI kommt laut Leitlinie erst ins Spiel, wenn die Patienten auch nach der 3-fach-Therapie mit ACE-Hemmer, Betablocker und MRA noch symptomatisch sind und weiterhin eine LVEF (linksventrikuläre Ejektionsfraktion) unter 35% haben. Für diese Patienten nennt die Leitlinie dann 3 Optionen, die sich gegenseitig nicht ausschließen, sondern auch additiv anwendbar sind:
Der ARNI kann den ACE-Hemmer ersetzen.,
Ivabradin wird empfohlen für Patienten, deren Herzfrequenz hoch ist (ab 70 bpm) und die im Sinusrhythmus sind.
Die kardiale Resynchronisationstherapie (CRT) kommt infrage, wenn Sinusrhythmus besteht und ein kompletter Linksschenkelblock (LSB mit QRS-Dauer ≥ 130 ms) vorliegt.
Die Positionierung des ARNI in der hinteren Reihe, trotz der in einer großen Studie belegten prognostischen Überlegenheit über den ACE-Hemmer, begründen die Leitlinien-Autoren vor allem mit den noch limitierten Langzeit-und Sicherheitsdaten zum Wirkstoff.
Praktische Tipps: 36 Stunden Therapiepause, BNP taugt als Biomarker nicht mehr
Anker hatte noch einige praktische Tipps für den Einsatz von Sacubitril/Valsartan parat: So sei darauf zu achten, ein Zeitfenster von mindestens 36 Stunden zwischen dem Absetzen des ACE-Hemmers und dem Start des ARNI einzuhalten. Dies um das Risiko für ein Angioödem (eine gefürchtete Nebenwirkung dieser Therapie) nicht zu sehr zu erhöhen. Eine weitere mögliche Nebenwirkung des ARNI sind symptomatische Hypotonien. Darauf zu achten sei auch, dass die BNP-Werte als Biomarker unter der ARNI-Therapie nicht mehr aussagekräftig seien, informierte der deutsche Kardiologe. NT-pro-BNP könne aber weiterhin verwendet werden.
Und noch ein praktischer Ratschlag des Experten: Er werde öfter gefragt, mit was man die Behandlung beginnen solle – mit dem ACE-Hemmer oder dem Betablocker. Seine Empfehlung: Es spreche nichts dagegen, mit beiden Wirkstoffgruppen gleichzeitig direkt bei HFrEF-Diagnose zu starten und diese allmählich bis zur empfohlenen Dosis aufzutitrieren. Zum Angiotensin-Rezeptor-Blocker (ARB) wird in der Leitlinie nur geraten, wenn der ACE-Hemmer nicht gegeben werden kann. Von der Kombination von Sartan und ACE-Hemmer wird abgeraten.
Neue Klassifikation: Es gibt nun auch eine „mid range“ Herzinsuffizienz
Weitere Neuerungen der Herzinsuffizienz-Leitlinie: Es wird eine neue Klassifikation eingeführt. Neben der HFrEF, also der Herzinsuffizienz mit reduzierter, und derjenigen mit erhaltener Ejektionsfraktion (HFpEF) gibt es nun auch die HFmrEF (Herzinsuffizienz mit einer „mid-range“ Ejektionsfraktion zwischen 40 und 49%). Die Leitlinien-Autoren erhoffen sich davon, die „Forschung zu den zugrunde liegenden Charakteristika, die Pathophysiologie und die Behandlung dieser Patientenpopulation zu stimulieren“. Denn evidenz-basierte etablierte Diagnose- und Therapieempfehlungen gibt es nach wie vor eigentlich nur für die HFrEF.
Insgesamt, so erinnerte Prof. Dr. Adriaan Voors, Groningen, der den diagnostischen Teil vorstellte, benötigt die Diagnose der Herzinsuffizienz immer beides: Die entsprechende Symptomatik und den Nachweis struktureller bzw. funktioneller Abnormalitäten im Echokardiogramm. „Keine Symptome, keine Herzinsuffizienz“, betonte er.
Bei der HFpEF, also erhaltener Auswurffraktion, sei der Nachweis funktioneller und struktureller Veränderungen allerdings oft sehr schwierig, räumte er ein. Es fehlten Daten und Kriterien. Laborparameter wie (NTpro)-BNP können allein keine Diagnose bestätigen, bestimmte Cut-off-Werte (BNP > 35 pg/ml und/oder NT-proBNP > 125 pg/ml) sind aber ein weiteres Diagnosekriterium, so Voors und erlauben – falls sie nicht erhöht sind – den Ausschluss einer Herzinsuffizienz.
Prävention stärker betont, „To-do“ und „Not to-do“-Listen
Die neue Leitlinie betont zudem die Möglichkeiten, die Entstehung einer Herzinsuffizienz zu verzögern und verweist hier ausdrücklich auf das Potenzial von ACE-Hemmern, Betablockern und Statinen.
Und es gibt am Ende der Leitlinien noch einen Absatz mit „To-do“ und „Not to-do“-Empfehlungen. Darunter z.B. die Warnungen Verapamil und Diltiazem bei diesen Patienten nicht einzusetzen und einen Angiotensin-Rezeptorblocker (ARB) oder einen Renin-Inhibitor nicht mit einem ACE-Hemmer plus MRA zu kombinieren – wegen des erhöhten Risikos für eine Verschlechterung der Nierenfunktion und für eine Hyperkalämie. Auch sollte auf NSAR und COX-2-Hemmer verzichtet werden, weil es unter Therapie zu einer Verschlechterung der Herzinsuffizienz und einem erhöhten Risiko für deswegen notwendige Klinikeinweisungen kommen kann.
REFERENZEN:
Medscape Nachrichten © 2016 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Neue ESC-Leitlinie zur Herzinsuffizienz: ARNI muss sich im Therapie-Algorithmus erst noch nach oben arbeiten - Medscape - 30. Aug 2016.
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