Rom — Es klingt, als ob sich das Planungs-Komitee des Kongresses der European Society of Cardiology (ESC) von Jahr zu Jahr immer weiter selbst übertreffen möchte. Nachdem vor kurzem Sessions unter dem Namen „Meet the Legends“ eingeführt worden waren – für Kardio-Größen, die man in einfachen „Meet the Experts“ Sessions für nicht genug gewürdigt hielt – wird dies in diesem Jahr noch getoppt. „Meet the Pontiff“ heißt es diesmal – und tatsächlich hat die ESC vergangene Woche angekündigt, dass Papst Franziskus am Mittwoch ein Grußwort sprechen wird. Für viele Teilnehmer vielleicht ein besonderer Grund, auch diesen letzten verkürzten Tag des Kongresses noch mitzunehmen.
ESC Highlights: der Start am Samstag
Auch wenn die populären Hot Line Sessions erst am Sonntag beginnen, hat auch der Samstag schon einiges Interessantes zu bieten: von Fortbildungs-Sitzungen und Symposien über Poster und „Rapid-Fire Oral Abstracts“, Debatten und „Mini-Quiz-Sessions“ bis hin zu Sitzungen über die 2015er ESC Leitlinien.
In Debatten während des Kongresses werden führende Experten auf den jeweiligen Gebieten – in Manier der Gladiatoren – für ihre Positionen kämpfen. Etwa darüber, ob PCSK9-Inhibitoren oder Angiotensin Rezeptor-Neprilysin Inhibitoren (ARNI) in ihren klinischen Fachgebieten stärker eingesetzt werden sollten.
So wird z.B. in der Samstag-Debatte ein Studienleiter der PARADIGM Studie sich einem angesehenen Kollegen stellen, um darüber zu diskutieren, ob ACE-Hemmer durch LCZ696 (Sacubtril/Valsartan, Entresto®) in der Firstline-Therapie der Herzinsuffizienz ersetzt werden sollten. Am Montag werden 2 weitere Experten, einer von ihnen aus der Studienleitung der internationalen FOURIER Studie, sich darüber auseinandersetzen, ob PCSK9 Inhibitoren schon für den Alltagseinsatz reif sind.
Sonntag, 28. August
Die Hot Line Sessions, die alle im großen Auditorium der „Fiera di Roma“ stattfinden, beginnt mit der Präsentation der DANISH Studie, ein randomisierter Vergleich eines ICD (Implantable Cardioverter Defibrillator) mit oder ohne CRT (Cardiac Resynchronization Therapy) bei geplant 1.000 Patienten mit nicht ischämischer Herzinsuffizienz im NYHA-Stadium 2-3 und einer linksventrikulären Auswurffraktion (LVEF) von 35% oder weniger. Primärer Endpunkt der Studie ist die Gesamtmortalität nach 5 Jahren.
In der gleichen Session präsentiert wird CHART-1, eine randomisierte Studie, in der die Injektion von mesenchymalen kardiopoietischen Zellen aus dem Knochenmark gegen eine Scheinprozedur getestet wurde. Sie fand an mehr als 30 europäischen Zentren statt und soll rund 240 Patienten mit Herzinsuffizienz im NYHA Stadium 2 bis 4 und einer LVEF bis maximal 35% einschließen, bei denen sich die Herzinsuffizienz unter medikamentöser Therapie verschlechtert hatte.
Präsentiert werden auch noch eine Zelltherapie-Studie mit dem Titel „Safety and efficacy of intravenous infusion of ischemia tolerant allogeneic mesenchymal stem cells in patients with non-ischemic cardiomyopathy" sowie 2 Studien, in denen es um das Telemonitoring zweier implantierbarer Geräte geht: REM-HF und die vorzeitig beendete MORE-CARE Studie.
In einer „Scores and Outcomes“ Register-Sitzung am Nachmittag geht es unter anderem um eine Langzeit-Studie mit geplant 1.250 Patienten, die invasiv auf eine Koronarerkrankung, zerebrovaskuläre Erkrankung oder eine periphere vaskuläre Erkrankung getestet werden. Unter dem Namen CASABLANCA prüft die Studie, ob die Beurteilung von neuen kardialen und renalen Biomarkern (besonders von hochsensitivem Troponin und Cystatin-C) während der Katheterisierung kardiale oder renale Probleme im darauffolgenden Jahr vorhersagen kann.
In der ersten „Preventive Strategies" Hot Line Sitzung am späten Nachmittag wird die ANTARCTIC Studie präsentiert – ein Vergleich von Prasugrel (Effient®/Efient®; Eli Lilly/Daiichi Sankyo) – einmal in einer mittels eines Standard Plättchenfunktions-Tests angepassten Dosis versus einer konventionellen Prasugrel Dosierung. Dies bei Patienten mit einem per Koronarintervention (PCI) behandelten ST- oder Nicht-ST-Hebungsinfarkt. An der Studie sollen 880 Patienten im Alter von mindestens 75 Jahren teilnehmen. Endpunkte sind eine Kombination verschiedener kardiovaskulärer Ereignisse, dringende Revaskularisierungen, Stentthrombosen und Blutungsereignisse über ein Jahr.
Ebenfalls auf der Agenda steht die SAVE Studie, ein randomisierter offener Vergleich der CAP (Continuous positive Airway Pressure) Therapie versus Standardtherapie bei geplant 2.500 Patienten mit mittelschwerer bis schwerer obstruktiver Schlafapnoe und gesicherter koronarer oder zerebrovaskulärer Erkrankung. Bei den Patienten werden Ereignisse wie kardiovaskulärer Tod, nicht-tödlicher Herzinfarkt, nicht-tödlicher Schlaganfall, Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz, instabile Angina pectoris oder Transient Ischämische Attacken (TIA) dokumentiert. Es nehmen weltweit Zentren teil, von Australien über China, Indien, Spanien und Brasilien.
In der gleichen Hot Line Session geplant sind die NIPPON Studie – „Optimal dual antiplatelet treatment duration following drug eluting stent [Nobori, Terumo] with bioabsorbable polymer and abluminal coating“ – und die NACIAM Studie zum „Early use of N-acetylcysteine with glyceryl trinitrate in ST-segment elevation myocardial infarction patients undergoing primary percutaneous coronary intervention.“
Montag, 29. August
Der Montagmorgen beginnt mit der „ Atrial Fibrillation" Register-Sitzung und mit einer prospektiven Analyse des ORBIT-AF II Registers, in dem Patienten mit neu diagnostiziertem Vorhofflimmern eingeschlossen sind, die vor kurzem die Therapie mit einem direkten oralen Antikaoagulans (DOAK) begonnen haben. Es werden noch weitere Teilnehmer aufgenommen, das Ziel sind 15.000 Patienten und das endgültige Ergebnis im primären Endpunkt (schwere Blutungsereignisse) soll Anfang 2018 vorliegen. Die ORBIT-AF-II Präsentation in Rom steht unter dem Titel „Association of Inappropriate Dosing of Non-Vitamin K Oral Anticoagulants and Risk of Adverse Events“.
In der „Prevention and Lipids“ Hot Line danach wird mit OPTICARE eine randomisierte Bewertung von umfassenden Schulungs- und Verhaltens-Interventionsprogrammen nach Abschluss eines kardialen Standard-Reha-Programms gegen die Reha allein vorgestellt. In der 3-armigen Studie werden 2 experimentelle Interventionen getestet, eine fokussiert auf eine Serie telefon-basierter Coaching-Sessions, die nach der Standard-Reha beginnen, die andere schließt ein Sportprogramm ein und geht mit einer Beurteilung von Lebensstil- und Risikofaktoren einher, an die die Intervention angepasst wird.
In der gleichen Sitzung: die randomisierte ESCAPE Studie mit Alirocumab (Praluent®, Sanofi/ Regeneron) versus Placebo, die prüft, welchen Effekt der PCSK9-Hemmer auf die Zahl der LDL Apherese-Sitzungen in einer 12-Wochenperiode bei Erwachsenen mit heterozygoter familiärer Hypercholesterinämie hat. An der Studie waren 62 Patienten in 13 Zentren in Deutschland und den USA beteiligt.
Und schließlich stehen noch auf dem Programm: eine Studie die laut Titel den „Effect of long-term exposure to lower LDL-C, lower SBP, or both on the risk of cardiovascular disease“ vergleicht; und die Studie HIJ-PROPER umschrieben mit „LDL-cholesterol targeting with pitavastatin and ezetimib for patients with acute coronary syndrome and dyslipidemia“ und schließlich noch eine weitere randomisierte Studie zur Apherese, aber diesmal bei Patienten mit „refraktärer Angina und erhöhtem Lipoprotein(a).“
Zu den Debatten des Tages gehört ein Pro und Kontra darüber, ob eine Antiplättchen-Therapie alles ist, was man braucht, bei der Transkatheter Aortenklappen Implantation (TAVI), oder ob noch eine Rolle für die Antikoagulanzien bleibt. Ein prominenter interventioneller Kardiologe aus der Studienleitung des OBSERVANT Registers und der BRAVO-3 Studie wird dabei für die Antiplättchen-Therapie allein sprechen, sein Gegenpart wird ein nicht weniger prominenter Name aus dem ADVANCE und NOTION Studienteam sein.
Die „Coronary artery disease and imaging“ Hot Line Sitzung am späten Nachmittag beginnt mit der noch laufenden internationalen CONriSERVE Studie, die den direkten Zugang zur kardialen Katheterisierung zur selektiven PCI – entsprechend der Resultate einer koronaren CT Angiografie (CTA) vergleicht. Die Studie hat etwa 1.500 Patienten mit Verdacht auf stabile Koronarerkrankung eingeschlossen und verfolgt sie ein Jahr lang im Hinblick auf MACE (Major Adverse Cardiac Events) primär und MACE plus schwere Blutungen als sekundären Endpunkt.
Gleich danach wird die PACIFIC Studie präsentiert zu einem ähnlichen Thema. Sie hat einige nicht invasive Techniken bei 210 Patienten mit Verdacht auf eine Koronararterienerkrankung (CAD) geprüft - dies im Vergleich zur Herzkatheter-Untersuchung mit gleichzeitiger Messung der fraktionellen Flussreserve. Bei den nicht invasiven Techniken handelt es sich um koronare CTA, SPECT, die myokardiale Perfusionmessung, die quantitative Positronen Emissions Tomographie (PET) und Hybrid-Evaluierungen von CTA/SPECT Perfusion und CTA/PET.
Zum gleichen Thema die randomisierte CE-MARC 2 Studie. Im Vergleich: Ein Management bei Verdacht auf CAD, das auf kardiale Magnet Resonanz (CMR) mit 3 Tesla basiert versus SPECT versus den NICE-Kriterien zum Einsatz der CT Calcium Scores, SPECT, oder Kontrast-Angiographie in Abhängigkeit von der Prätest-CAD-Wahrscheinlichkeit. Der primäre Endpunkt sind „unnötige invasive Koronar-Angiographien" innerhalb eines Jahres.
In der Sitzung wird noch eine Beobachtungsstudie der DOCTOR Serien vorgestellt mit dem Titel: "Does optical coherence tomography optimize results of stenting?" sowie AMERICA, ein Vergleich von "systematic [Doppler ultrasound] detection and management of multivascular involvement of atherothrombosis in coronary patients vs conservative management“.
Dienstag, 30. August
In der Generalversammlung um 10 Uhr können ESC-Mitglieder dabei sein, wenn der derzeitige ESC-Präsident Prof. Fausto J Pinto, Lissabon University Medical School, Portugal, den Stab an seinen Nachfolger Prof. Jeroen J. Bax, Leiden Universität, Niederlande, weiter gibt. Nach einer Rede des neuen Präsidenten folgt dann die „Coronary artery disease and stenting" Hot Line Sitzung mit der Präsentation von PRAGUE-18. Die Studie hat 1.226 Patienten randomisiert, die eine PCI wegen eines STEMI erhielten und ergänzend mit Prasugrel oder Ticagrelor (Brilique/Brilinta AstraZeneca) behandelt wurden. Der primäre Endpunkt ist eine Kombination von kardiovaskulären Ereignissen, schweren Blutungen oder Target Vessel Revaskularisierungen (TVR) nach 7 Tagen.
Auch auf dem Programm: NorStent beschrieben als „Comparison of long term effects of new generation DES vs contemporary BMS on mortality, morbidity, revascularization, and quality of life“; die BASKET-SAVAGE Studie über „Drug-eluting vs bare metal stents in saphenous vein grafts,“ die vorzeitig beendet wurde; der BBK2 Vergleich von „Culotte versus T-stenting for treatment of coronary bifurcation lesions“ in dem der Stenosegrad nach 9 Monaten erfasst wurde sowie eine Studie mit der Frage „Können Patienten mit akutem Koronarsyndrom verursacht durch Plaque-Erosion mit einer anti-thrombotischen Therapie ohne Stenting behandelt werden?“
Die spätere 2. „Preventive strategies“ Hot Line Sitzung beginnt mit ENSURE-AF – eine Studie, die den Factor Xa Inhibitor Edoxaban (Lixiana/Savaysa, Daiichi-Sankyo) versus Enoxaparin gefolgt von Warfarin bei Patienten mit Vorhofflimmern und geplanter elektrischer Kardioversion getestet hat. Rund 2.200 Patienten wurden randomisiert in 284 Zentren in den USA, Europa, Russland, Ukraine und Israel.
In der offenen ANNEXA-4 Studie ist das Factor Xa-Inhibitor Antidot Andexanet alfa (Portola Pharmaceuticals) bei Patienten mit akuten größeren Blutungen unter oralen oder parenteralen Factor Xa Hemmstoffen, einschließlich Enoxaparin und Edoxaban, Apixaban (Eliquis, Bristol-Myers Squibb) und Rivaroxaban (Xarelto, Janssen) getestet worden. Mit einer geplanten Rekrutierung von 270 Teilnehmern wird sie allerdings für den primären Endpunkt (Stopp der Blutung in den ersten 24 Stunden nach Gabe des Antidots) erst in etwa 6 Jahren beendet sein.
Und schließlich gibt es in dieser Sitzung noch die REVERSE II Studie, eine multi-nationale „Validation of the ,men continue and HERDOO2‘ [clinical decision] rule to identify low risk unprovoked venous thromboembolism patients who can discontinue anticoagulants“ und schließlich die YEARS Studie, überschrieben mit „Safety and efficiency of a simplified diagnostic management algorithm for 3.500 patients with clinically suspected acute pulmonary embolism“.
Dieser Artikel wurden von Sonja Böhm aus http://www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
REFERENZEN:
1. European Society of Cardiology (ESC) Congress, 27. bis 31. August 2016, Rom (Italien)
Medscape Nachrichten © 2016 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Von Gladiatorenkämpfen bis zum Papst – Rom erwartet 30.000 Besucher zum europäischen Kardiologenkongress - Medscape - 25. Aug 2016.
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