Die grüne Gesundheitsministerin in Nordrhein-Westfalen Barbara Steffens fordert als Konsequenz aus den Todesfällen in Brüggen, das Heilpraktikergesetz zu überarbeiten. „Obwohl Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker ähnlich weitreichende Kompetenzen wie Ärztinnen und Ärzte haben, enthält das Gesetz keine Vorgaben, welches Grundwissen und welche Grundkompetenzen Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker haben müssen“, teilt sie auf Anfrage mit. „Weil komplementäre und naturheilkundliche Behandlungsansätze von vielen Menschen gewollt und im Grundsatz sinnvoll sind, halte ich es für dringend geboten, dass der Bund hier endlich tätig wird.“
Auch Dr. Jutta Hübner, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Prävention und integrative Onkologie bei der Deutschen Krebsgesellschaft, fordert nach den Vorkommnissen in Brüggen den Gesetzgeber. „Wir müssen endlich gesetzlich festlegen, dass nicht zugelassene Substanzen auch nicht am Menschen erprobt werden dürfen", fordert Hübner. Mit der Einwilligung des Patienten dürfe zurzeit noch „alles Mögliche“ verabreicht werden. Leider sei es bisher immer „Konsens aller Parteien gewesen, an der bestehenden Gesetzeslage nichts zu ändern“.
Ermittlungsverfahren gegen Heilpraktiker Klaus R.
Der in Brüggen am Niederrhein nahe der holländischen Grenze tätige Heilpraktiker Klaus R. hatte in seinem alternativen Krebszentrum Patienten mit einem nicht zugelassenen Präparat behandelt. Die Staatsanwaltschaft Krefeld ermittelt wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung in mehreren Fällen gegen ihn. Aufgekommen war der Verdacht gegen Klaus R. „nach einem Rechtshilfeersuchen aus Holland“, wie Staatsanwalt Axel Stahl von der Staatsanwaltschaft Krefeld sagt. In Holland sind 3 Patienten gestorben, die sich zuvor von R. haben behandeln lassen.
Im Ermittlungsverfahren gegen den Heilpraktiker Klaus R. erhärten die bisherigen Ermittlungen den Verdacht, dass der Beschuldigte im Zeitraum vom 25.07. bis zum 27.07.2016 in seiner Praxis in Brüggen 5 Krebspatienten mit dem Präparat 3-Bromopyruvat (3-BP) behandelt hat. „Von diesen verstarben drei binnen weniger Tage; die beiden weiteren Patienten begaben sich aufgrund lebensbedrohlicher Beschwerden in ärztliche Behandlung ", erklärt die Staatsanwaltschaft in einer Mitteilung, die Medscape vorliegt. Betroffen sind 1 belgischer Staatsbürger und 4 holländische.
Zugleich wurde der Heilpraktiker von der Leiterin des Gesundheitsamtes Viersen, Martina Kruß, angezeigt. „Wir haben einen Hinweis aus einem Krankenhaus in Mönchengladbach erhalten“, sagt der Sprecher des Kreises Viersen, Benedikt Giesbers, zu Medscape. Als es nach der Vergabe des Präparates bei den Patienten zu Komplikationen kam, habe der Heilpraktiker nicht den Notarzt gerufen, sondern Vitamine verabreicht. Deshalb die Anzeige von Kruß.
Die holländische, belgische und deutsche Polizei hat sich unterdessen in einer gemeinsamen Warnmeldung an die Öffentlichkeit gewandt: „Sowohl die hiesigen als auch die niederländischen Behörden machen sich Sorgen über medizinische Komplikationen bei weiteren Patienten dieser Klinik. Wurden auch Sie dort behandelt? Nehmen Sie Kontakt auf!"
Klaus R. betreibt seine Praxis seit August 2014. Beschwerden habe es bisher nicht gegeben, teilt der Kreis Viersen mit. Inzwischen hat er Klaus R. verboten, im Landkreis weiterzuarbeiten und empfahl der Stadt Krefeld, ihm die Erlaubnisurkunde zu entziehen.
Erlaubt, aber nicht zugelassen
Heilpraktiker R. hat seine Patienten mit 3-Bromopyruvat behandelt. Das Präparat „3-Bromopyruvat (3BP) ist ein Abkömmling der Brenztraubensäure oder Pyruvat. Pyruvat hemmt das Enzym Hexokinase II, das den ersten Schritt der Glykolyse, also den Abbau von Glukose katalysiert“, so die Deutsche Krebsgesellschaft auf Anfrage. „Besonders die aggressiven Tumoren beziehen ihre Energie aus dem raschen Abbau von Glukose, der auch ohne Sauerstoffzufuhr möglich ist. 3BP gaukelt dem Tumor vor, er sei bereits ausreichende mit Energie versorgt und hemmt dadurch die Energieproduktion im Tumor.“
3-Bromopyruvat werde unter einigen Medizinern derzeit als Mittel diskutiert, mit dem man Tumoren bekämpfen kann. Es gibt zwar Untersuchungen an Tieren oder an Zellkulturen, 3-Bromopyruvat ist aber weder in Deutschland noch in den Niederlanden als Medikament zugelassen. Auch fehlten aussagekräftige Studien über die Wirkung am Menschen, erklärt die Krebsgesellschaft.
„Tatsächlich ist 3BP einfach eine chemische Substanz, aber kein Medikament“, sagt Hübner. „Dass der Stoff in Brüggen nur falsch dosiert worden sei, ist ein gefährliches Gerücht, denn man kann mit allen möglichen Stoffen Krebszellen abtöten, auch mit Zucker oder Salz. Man muss sie nur hoch genug dosieren.“ Zwar gebe es 3 Fallberichte über den Einsatz von 3BP, „aber das sind nur Beobachtungen. Wir brauchen Studien, bevor wir eine Substanz einsetzen.“
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Diesen Artikel so zitieren: Nach den Todesfällen von Brüggen wird der Ruf nach einer Änderung des Heilpraktiker-Gesetzes laut - Medscape - 24. Aug 2016.
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