BGH-Urteil zur Wahlleistung Chefarzt-Behandlung: Operiert der Chef nicht selbst, droht Schadensersatz

Christian Beneker

Interessenkonflikte

22. August 2016

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat das Selbstbestimmungsrecht von Patienten gestärkt und zugleich klar gemacht: Wenn ein Patient per Wahlleistungsvereinbarung den Chefarzt als Behandler wünscht, aber ein anderer Arzt die Operation vornimmt, dann haftet das Krankenhaus auch dann, wenn die Behandlung durch den Ersatzmann fehlerfrei war. Kurz: Laut BGH zählt das Selbstbestimmungsrecht des Patienten [1].

Geklagt hatte ein Patient, der mit einem Krankenhaus für die Operation seiner Hand eine Chefarztbehandlung vereinbart hatte. Zwar untersuchte der Chef dann auch den Patienten. Tatsächlich operierte er ihn aber nicht selbst, wie es vereinbart war, sondern ein stellvertretender Oberarzt. Der Patient hatte einem Ersatzmann nicht schriftlich zugestimmt. Nach der Operation litt der Patient zudem an erheblichen Folgeschäden. Der Patient klagte auf Schadenersatz.

In der so genannten Wahlleitungsvereinbarung werden unter anderem der Chefarzt als Behandler, z.B. als Operateur, bestimmt sowie ein Vertreter, falls der Chef verhindert ist. Letzteres wurde im strittigen Fall versäumt.

Vorinstanzen sahen keinen ersatzfähigen Schaden

Die Vorinstanzen wiesen die Klage und die Forderung nach Schadenersatz ab. Zwar hätte die Klinik widerrechtlich gehandelt, weil sie den stellvertretenden Oberarzt operieren ließ, obwohl der Patient ausdrücklich und ausschließlich den Chefarzt gewählt hatte. Aber weil die Operation fehlerfrei durchgeführt worden war, wie ein Sachverständigen-Gutachten belegt, sah das Gericht keinen Anlass für einen Schadenersatz. Es fehle eben an jenem „ersatzfähigen Schaden“.

Die Vorinstanzen maßen also den Schaden an der Qualität der Operation, egal, ob der Chef wie mit dem Patienten vereinbart im Operationssaal stand oder entgegen der Vereinbarung ein Vertreter. Der Chefarzt hätte die Operation auch nicht besser machen können als sein Vertreter, meinte das Oberlandesgericht Koblenz.

BGH sah Schaden in der fehlenden personenbezogenen Patienteneinwilligung

Der BGH kassierte diese Entscheidung und argumentierte anders. Für die Bundesrichter wiegt das Selbstbestimmungsrecht des Patienten schwerer als die Frage, ob bei der Operation ein ersatzfähiger Schaden entstanden ist oder nicht. Wer also im Krankenhaus vereinbart hat, dass ihn der Chefarzt operiert, darf Schadenersatz verlangen, wenn ohne Patienteneinwilligung ein Oberarzt Hand und Skalpell anlegt. Nicht weil die Operation mangelhaft gewesen wäre, sondern, weil für den Ersatzmann kein Okay vorlag.

Laut BGH darf nur dann in die körperliche Integrität eines Patienten eingegriffen werden, wenn der Patient gültig zugestimmt hat. Im vorliegenden Fall hat er aber nur der Operation durch den Chefarzt zugestimmt.

Ein Drittel der PKV-Leistungen gehen für Chefarztbehandlungen drauf

Wie oft eine Wahlleistungsvereinbarung zwischen Patienten und Krankenhaus geschlossen wird und von welcher Tragweite das Urteil ist, lässt sich schwer beziffern. Erst recht nicht, wie oft Patienten sich nach Wahlleistungen falsch behandelt fühlen.

„Bei uns liegen jedenfalls keine Beschwerden zu dem Thema vor“, sagt eine Sprecherin der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD). Der Verband der Privaten Krankenversicherung e.V. will zu dem Thema nicht zitiert werden. Klar ist indessen, dass es im Wesentlichen privat Versicherte sind, die die teuren Chefarztbehandlungen wünschen. Denn GKV-Patienten müssten die zusätzlichen Kosten einer Chefarztbehandlung aus eigener Tasche zahlen.

Chefarztbehandlung – begehrt und teuer

Rund 82% (7.197.700) der Vollversicherten in der Privaten Krankenversicherung hatten zum Jahresende 2014 einen Versicherungsschutz gewählt, der die Unterbringung im Zwei- oder Einbettzimmer und eine Chefarztbehandlung im Krankenhaus beinhaltet, so die Zahlen des Verbandes der Privaten Krankenversicherung e.V.. 5,87 Millionen privat Versicherte zahlen laut PKV-Verband für diese Absicherung eigens einen Zusatztarif.

Der Wunsch nach Chefarztbehandlungen ist also groß. Und teuer. Im Jahr 2014 gaben die privaten Krankenkassen 2,32 Milliarden Euro für die Wahlleistung „Chefarztbehandlung“ aus, so der PKV-Verband. Das entsprach rund einem Drittel der gesamten stationären Leistungen. Zum Vergleich: Für die Wahlleistung „Unterkunft“, also Einzel- oder Doppelzimmer, flossen 2014 lediglich 550 Millionen Euro.


BGH hat schon zuvor sukzessive Patientenrechte gestärkt

Damit das Geld auch dafür ausgegeben wird, wofür die Ausgabe vereinbart wurde, hat der BGH in den zurückliegenden Jahren mehrfach den Wildwuchs in Krankenhäusern beschnitten. Eine Entscheidung aus dem Jahr 2007 besagt, dass in einer Wahlleistungsvereinbarung nur ein ständiger Vertreter des Chefarztes benannt werden kann, die im Zweifel die Behandlung übernimmt, wenn der Chef nicht da ist. „Zuvor waren die Wahlleistungen oft so, dass mehrere Ersatzleute benannt wurden, oft von vornherein wissend, dass der Chefarzt etwa aus Termingründen nicht selber behandeln würde“, sagt der Medizinrechts-Anwalt Dr. Max Middendorf aus Hamm.

 
Das Krankenhaus haftet also wegen eines Aufklärungsfehlers, auch dann, wenn die Operation lege artis gelaufen ist. Dr. Max Middendorf
 

Die Entscheidung für einen Ersatzmann dürfe nun laut BGH „nur für die Fälle einer unvorhersehbaren Verhinderung des Wahlarztes getroffen werden. Überdies darf darin als Vertreter nur der ständige ärztliche Vertreter im Sinne der Gebührenordnung für Ärzte bestimmt sein“, so das BGH in einer Mitteilung zur Entscheidung.

2010 präzisierte der BGH weiter. Nun konnte ein Patient die Wahlleistung auf einen bestimmten Arzt beschränken, selbst dann, wenn diese Beschränkung vom Patienten nur mündlich mitgeteilt wurde. „Die Beschränkung muss aber eindeutig erkennbar sein. Für den Fall einer Auseinandersetzung ist es meiner Meinung nach trotzdem wichtig, dass sie schriftlich erfolgt“, meint Middendorf.

Die jüngste Entscheidung stelle nun klar: „Das Krankenhaus haftet also wegen eines Aufklärungsfehlers, auch dann, wenn die Operation lege artis gelaufen ist“, resümiert Middendorf.

 

REFERENZEN:

  1. BGH: Entscheidung vom 19. Juli 2016, Az: VI ZR 75/15 

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....