Nach heftiger Kritik: Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht offenbar vom Tisch

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

17. August 2016

Alle Jahre wieder … kommt die Forderung nach der Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht. Pünktlich trat jetzt Bundesinnenminister Thomas de Maizière im Namen der Terrorabwehr damit auf den Plan. Wie etwa die Süddeutsche Zeitung berichtet hatte, warb de Maizière bei Ärzten und dem Gesundheitsministerium um Zustimmung für eine Gesetzesänderung.

Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes, betont in einer Stellungnahme: „Die ärztliche Schweigepflicht ist ein sehr hohes Gut und ein fundamentales Recht der Patientinnen und Patienten. Wir sind vehement dagegen, dieses Recht aufzuweichen.“

Bereits jetzt können Ärzte von der Schweigepflicht entbunden sein

 
Die ärztliche Schweigepflicht ist ein sehr hohes Gut und ein fundamentales Recht der Patientinnen und Patienten. Wir sind vehement dagegen, dieses Recht aufzuweichen. Ulrich Weigeldt
 

Als „Populismus in Reinkultur“ bezeichnet Dr. Dirk Heinrich, Bundesvorsitzender des NAV-Virchow-Bundes, in einer Pressemitteilung den Vorstoß de Maizieres. Heinrich weiter: „Die ärztliche Schweigepflicht ist ein hohes Gut im Verfassungsrang. Das, was der Bundesinnenminister mit seinen Plänen erreichen will, ist heute bereits möglich. Nach § 34 StGB kann ein Arzt von der Schweigepflicht abweichen, wenn etwa Gefahr für Leben, Leib und Freiheit bestehen. Die ärztliche Schweigepflicht ist ein zu hohes Gut, um sie in heraufziehenden Wahlkampfzeiten zu zerreden", so Heinrich.

Auch in der eigenen Fraktion kam der Vorstoß des Ministers nicht gut an. Der Arzt Bernhard Lasotta, CDU-Landtagsabgeordneter in Baden-Württemberg, stellte gegenüber den Stuttgarter Nachrichten klar: „Bereits jetzt müssen Ärzte bei Eigengefährdung von Patienten oder wenn von ihnen eine Gefahr für andere ausgeht, unverzüglich handeln.“ Die Ärzte in Deutschland wüssten, was zu tun sei. „Da braucht es keine populistischen Vorschläge des Bundesinnenministers, die wohl eher der politischen Mottenkiste entstammen.“

Prof. Dr. Frank Ullrich Montgomery

„Die angespannte innenpolitische Sicherheitslage darf nicht zu vorschnellen politischen und rechtlichen Maßnahmen verleiten“, warnt auch Prof. Dr. Frank Ullrich Montgomery in einer Stellungnahme der BÄK. Der Ärztekammerpräsident stellt klar, dass Ärzte Auskunft geben, insbesondere wenn sie von der Schweigepflicht entbunden worden sind oder soweit die Offenbarung zum Schutze eines höherwertigen Rechtsgutes erforderlich ist. Wann dies den Bruch der Schweigepflicht rechtfertige, könne nur aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls entschieden werden.

Patienten könnten vom Arztbesuch abgeschreckt werden

Darauf weist auch Weigelt hin und fügt hinzu: „Wenn man jetzt damit beginnen würde, die ärztliche Schweigepflicht Stück für Stück auszuhöhlen, würde man damit einen gefährlichen Weg einschlagen. Das Vertrauensverhältnis zwischen dem Patienten und seinem Arzt würde nachhaltig Schaden nehmen. Wir hoffen, dass dies allen Beteiligten ausreichend bewusst ist.“

Auch Maria Klein-Schmeink, gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, argumentiert in einem Statement, dass die Aufweichung der ärztlichen Schweigepflicht die Sicherheit Dritter eher gefährde als erhöhe: „Sie würde Menschen davon abhalten, ärztliche und psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Eine frühzeitige und gute Behandlung bietet den besten Schutz für die Allgemeinheit.“

 
Würde die ärztliche Schweigepflicht gelockert, könnte dies Patienten vom Arztbesuch abschrecken. Prof. Dr. Karl Lauterbach
 

„Würde die ärztliche Schweigepflicht gelockert, könnte dies Patienten vom Arztbesuch abschrecken“, sagt auch SPD-Gesundheitsexperte Prof. Dr. Karl Lauterbach. „Dadurch schaffen wir nicht mehr Sicherheit, sondern weniger. Uns muss doch klar sein: Der unbehandelte Patient ist der gefährlichste Patient“, wird er in der Welt zitiert.

Und die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) warnt in einer Stellungnahme. „Das kann dazu führen, dass Menschen in psychischen Krisen und psychisch erkrankte Menschen seltener und vielleicht zu spät professionelle Hilfe suchen – oder wenn sie in Behandlung sind, aus Angst nicht über ihre aggressiven Gedanken und Impulse sprechen. Es entsteht ein Teufelskreis. Denn unzureichende Behandlung kann der Grund sein, warum Menschen mit psychischen Erkrankungen in seltenen Fällen überhaupt gewalttätig werden.

Je eher, je kontinuierlicher und je vertrauensvoller wir Menschen mit psychischen Erkrankungen behandeln, desto größer sind die Chancen auf einen Therapieerfolg – und desto kleiner ist das Gewaltrisiko“, betont DGPPN-Präsidentin Dr. Iris Hauth. Aus Sicht der Fachgesellschaft sei die aktuelle Rechtslage ausreichend.

Bewirkte die heftige Kritik das Zurückrudern?

Rückendeckung für seinen Vorstoß erhält de Maizière indessen von CSU-Innenexperte Hans-Peter Uhl. Gegenüber der Bild-Zeitung sagt er: „Ärzte müssen die Behörden warnen, wenn sie Grund zur Annahme haben, dass einer ihrer Patienten eine Gefahr für Leib und Leben anderer darstellt und einen Anschlag oder ähnliche Verbrechen plant.“ Uhl wirft Ärztekammer-Präsident Montgomery vor, aus „Standesdünkel“ die Terrorbekämpfung zu erschweren: „Es ist Standesdünkel zu sagen, der Arzt muss immer schweigen. Das ist sogar nach jetziger Gesetzeslage ein klarer Rechtsbruch.“ Dabei hatte Montgomery lediglich darauf hingewiesen, die „weitgehend uneingeschränkte ärztliche Schweigepflicht“ zu erhalten.

 
Wir begrüßen auch, dass der Minister im Dialog mit der Ärzteschaft Fragen der Handlungssicherheit für Ärzte erörtern möchte … Rudolf Henke
 

Möglicherweise nicht unbeeindruckt von der heftigen Kritik ging nun jedoch Bundesinnenminister de Maizière auf Abstand. Die Schweigepflicht für Ärzte solle gewahrt bleiben, betonte der Minister auf einer Pressekonferenz am 11. August und wies Berichte zurück, er wolle die Regelung zur ärztlichen Schweigepflicht ändern.

Sein Ziel sei es, zusammen mit der Ärzteschaft eine „einvernehmliche“ Lösung zu finden, „wie wir Gefährdungen ausschließen und Handlungssicherheit für die Ärzte schaffen“. Er betont: „Mit der Lockerung der Schweigepflicht hat das gar nichts zu tun.“ Es gelte im Dialog mit der Ärzteschaft nach Lösungen zu suchen, wie die Gefährdung der Bürger im Antiterrorkampf verringert werden könne, sagte er.

Auf Nachfragen hält man sich im Bundesinnenministerium aber bedeckt. Pressesprecher Dr. Tobias Plate teilt gegenüber Medscape lediglich mit, dass weder Gesprächstermin noch Teilnehmer genannt werden könnten. Er fügt hinzu: „Ich gehe auch davon aus, dass es sich um interne Gespräche handeln wird, über die wir nicht im Einzelnen presseöffentlich berichten werden.“

 
Wenn ein Patient mit Rucksack die Praxis verlässt und ankündigt, sich jetzt im Bahnhof in die Luft zu sprengen, kann ich mir keinen Arzt vorstellen, der das für sich behält. Rudolf Henke
 

Ärztekammerpräsident Montgomery begrüßt die Äußerungen  des Bundesinnenministers. „Es ist gut, dass Bundesinnenminister Thomas de Maizière heute klargestellt hat, dass die ärztliche Schweigepflicht nicht zur Disposition gestellt werden soll. Gerne nehmen wir deshalb sein Angebot an, in einem gemeinsamen Gespräch mit ihm und Gesundheitsminister Gröhe die Prinzipien ärztlicher Schweigepflicht zu erläutern und die durch die entsprechenden Paragraphen des Strafgesetzbuches mitunter entstehenden schwierigen Situationen zu erörtern“, teilte der BÄK-Präsident mit. In welchem Rahmen Gespräche geplant sind, dazu wollte sich auch die BÄK nicht näher äußern.

Zufrieden, dass nun doch keine Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht geplant ist, zeigt sich auch der Vorsitzende des Marburger Bundes (MB), Rudolf Henke. „Ärztinnen und Ärzte gehen verantwortungsvoll mit ihrer Verschwiegenheitspflicht um. Wir begrüßen auch, dass der Minister im Dialog mit der Ärzteschaft Fragen der Handlungssicherheit für Ärzte erörtern möchte, wenn sie im Falle eines rechtfertigenden Notstands Behörden informieren“, so Henke in einer Stellungnahme des MB.

Dass eine Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht unnötig ist, hatte Henke, schon gegenüber der Rheinischen Post deutlich gemacht: „Wenn ein Patient mit Rucksack die Praxis verlässt und ankündigt, sich jetzt im Bahnhof in die Luft zu sprengen, kann ich mir keinen Arzt vorstellen, der das für sich behält. Dafür brauchen wir keine Gesetzesänderung.“

 
Die Ärzte sind nicht der verlängerte Arm der Sicherheitsbehörden! Ulrich Weigeldt
 

Und der Hausärzteverband lässt wissen: „Wir werden jetzt die Entwicklungen und Gespräche der nächsten Wochen und Monate sehr genau beobachten. Allen Beteiligten muss dabei klar sein: Die Ärzte sind nicht der verlängerte Arm der Sicherheitsbehörden! Dass einzelne politische Vertreter dies als ‚Standesdünkel‘ abtun, ist eine Missachtung des notwendigen Vertrauens der Patienten in ihre Ärzte“, so Weigeldt.

 

Die aktuellen rechtlichen Regelungen zur ärztlichen Schweigepflicht

1972 hat das Bundesverfassungsgericht die ärztliche Schweigepflicht als Kernstück der ärztlichen Ethik festgeschrieben. Dort heißt es: „Wer sich in ärztliche Behandlung begeben muss, darf erwarten, dass alles, was der Arzt im Rahmen seiner Berufsausübung über seine gesundheitliche Verfassung erfährt, geheim bleibt und nicht zur Kenntnis Unberufener gelangt. Nur so kann zwischen Patient und Arzt jenes Vertrauen entstehen, dass zu den Grundvoraussetzungen ärztlichen Wirkens zählt, weil es die Chance der Heilung vergrößert und damit – im Ganzen gesehen – der Aufrechterhaltung einer leistungsfähigen Gesundheitsfürsorge dient.“

Verstöße gegen die Verschwiegenheitspflicht können für den Arzt oder das Krankenhaus straf-, berufs- (durch die Ärztekammer) und zivilrechtliche Folgen (Schadensersatzansprüche durch den Patienten) haben.

Es gibt Pflichten zur Offenbarung des Patientengeheimnisses: einmal die Offenbarungspflicht nach dem Bundesinfektionsschutzgesetz für schwerwiegende übertragbare Krankheiten. Auch geplante schwerwiegende Straftatbestände wie z.B. Mord müssen angezeigt werden, so der Arzt davon erfährt.

Eine Offenbarungsbefugnis besteht, wenn ein rechtfertigender Notstand (Paragraph 34 StGB) vorliegt. In besonders schwerwiegenden Fällen (Paragraph 138 StGB) besteht sogar eine Offenbarungspflicht. Stellen Ärzte bei einem Patienten aufgrund seiner psychischen Erkrankung konkrete Gefährdungstendenzen fest – und dies gilt sowohl für Selbst- als auch für Fremdgefährdung – so sind sie heute schon dazu verpflichtet, aktiv zu werden.

Juristisch stehen ihnen dazu neben Paragraph 34 StGB (rechtfertigender Notstand) vor allem die Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetze der Länder zur Verfügung, die eine sofortige Unterbringung in den geschützten Bereich eines psychiatrisch-psychotherapeutischen Krankenhauses vorsehen. Dabei handelt es sich immer um Einzelfallentscheidungen durch Abwägungsprozesse, welche nicht pauschal durch eine einzige Rechtsnorm erfassbar sind.

Ein Recht zur Offenbarung besteht, wenn dies zum Schutz eines höherrangingen Rechtsguts erforderlich und als Mittel zur Gefahrenabwehr anzusehen ist. Bricht ein Arzt die Schweigepflicht, muss er alles andere ohne Erfolg versucht haben, und der Patient sich weiterhin uneinsichtig zeigen. Dann erst handelt es sich um die Ultima ratio, einen zu rechtfertigenden Notstand, entsprechend des § 34 StGB.

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....