Gehäuft Gallenprobleme unter GLP-1-Analoga – tatsächlich nur eine Folge des raschen Gewichtsverlustes?

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

15. August 2016

Typ-2-Diabetiker, die mit GLP-1-Analoga behandelt werden, haben ein deutlich erhöhtes Risiko für Gallengang- und Gallenblasen-Erkrankungen. Für DPP-4-Inhibitoren, die ihre Wirkung ja ebenfalls über das Inkretinsystem entfalten, lässt sich ein solcher Zusammenhang dagegen nicht nachweisen.

Prof. Dr. Baptist Gallwitz

Das ist das Fazit einer in JAMA Internal Medicine erschienenen Arbeit [1]. Studienautor Dr. Jean Luc Faillie vom Laboratory of Biostatistics, Epidemiology, and Public Health an der Universität Montpellier, Frankreich, und sein Team haben dafür die Daten von mehr als 70.000 Patienten mit Typ-2-Diabetes ausgewertet.

Von den Studienergebnissen zeigt sich Prof. Dr. Baptist Gallwitz, Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und Stellvertretender Ärztlicher Direktor an der Medizinischen Klinik des Universitätsklinikums Tübingen, wenig überrascht. Seine Erklärung: „Eine deutliche Gewichtsabnahme bei Adipositas ist mit einem erhöhten Risiko für das Auftreten von Gallenwegs-Erkrankungen und -Entzündungen assoziiert, besonders durch Gallensteine.“ Und: Unter der Therapie mit GLP-1-Analoga seien eben deutliche Gewichtsabnahmen charakteristisch. Auch in der LEADER-Studie mit Liraglutid hatte das GLP-1-Analogon nicht nur das kardiovaskuläre Risiko gesenkt, auch hier waren bereits im Vergleich zu Placebo signifikant häufiger Gallensteine beobachtet worden (p < 0,001).

Um 79 Prozent erhöhtes Risiko

 
Eine deutliche Gewichtsabnahme bei Adipositas ist mit einem erhöhten Risiko für das Auftreten von Gallenwegs-Erkrankungen und -Entzündungen assoziiert. Prof. Dr. Baptist Gallwitz
 

In ihrer populationsbasierte Kohortenstudie mit 71.369 Patienten haben Faillie und seine Kollegen diese Assoziation genauer untersucht. Sie werteten die Daten von Patienten mit Typ-2-Diabetes aus, die zwischen Januar 2007 und März 2014 mit einer medikamentösen antidiabetischen Therapie begonnen hatten. Verglichen wurden Patienten, die DPP-4-Inhibitoren und GLP-1-Analoga (alleine oder in Kombination) erhalten hatten, mit Patienten, die mindestens 2 andere orale Antidiabetika bekamen. Ausgewertet wurden Gallengang- und Gallenblasen-Erkrankungen (Cholelithiasis, Cholezystitis, Cholangitis), die zu einer Klinikaufnahme geführt hatten.

„GLP-1-Analoga waren mit einem um 79 Prozent erhöhten Risiko für Gallenwegs- und Gallenblasenerkrankungen assoziiert, in der Tendenz ist dieses Risiko vor allem in den ersten 180 Tagen der Medikamenteneinnahme erhöht“, fassen die Autoren ihre Ergebnisse zusammen.

Die Ergebnisse im Einzelnen:

Im Follow-up von 227.994-Personenjahren mussten 853 der 71.369 Patienten aufgrund von Gallenproblemen eine Klinik aufsuchen (Inzidenzrate pro 1.000 Personenjahre 3,7; 95%-Konfidenzintervall: 3,5-4,0).

Beim Vergleich von Patienten, die mit DPP-4-Inhibitoren oder anderen oralen Antidiabetika behandelt wurden, fand sich kein erhöhtes Risiko für Gallenerkrankungen: Inzidenzrate 3,6 vs 3,3 pro 1.000 Personen-Jahre (Hazard Ratio: 0,99; 95%-KI: 0,75-1,32).

Im Gegensatz dazu war die Gabe von GLP-1-Analoga mit einem erhöhen Risiko für Gallengang- und Gallenblasenerkrankungen assoziiert: Inzidenzrate 6,1 vs 3,3 pro 1.000 Personen-Jahre (HR: 1,79; 95%-KI: 1,21–2,67).

 
GLP-1-Analoga waren mit einem um 79 Prozent erhöhten Risiko für Gallenwegs- und Gallenblasen-erkrankungen assoziiert. Dr. Jean Luc Faillie und Kollegen
 

In einer sekundären Analyse war die Therapie mit GLP 1-Analoga auch mit einem verdoppelten Risiko für Cholezystektomien (HR: 2,08; 95%-KI: 1,08–4,02) assoziiert.

Gewichtsverlust als Ursache der Risikoerhöhung?

Faillie und Kollegen diskutieren in ihrer Arbeit mögliche Erklärungen für das erhöhte Risiko – und gelangen zur gleichen Schlussfolgerung wie Gallwitz: „Der rapide Gewichtsverlust der mit GLP-1-Analoga assoziiert wird, scheint eine logische Erklärung für das erhöhte Risiko für Gallenwegs-und Gallenblasenprobleme zu sein. Dieser Gewichtsverlust führt zur Cholesterin-Übersättigung in der Galle, was wiederum ein Risikofaktor für Gallensteine ist. Auf diesen Effekt des rapiden Gewichtsverlusts ist es vielleicht auch zurückzuführen, dass das Risiko für Gallenerkrankungen bei längerer GLP-1-Analoga-Gabe (über 180 Tage) nicht angestiegen war.“

Allerdings geben die Studienautoren auch zu bedenken, dass die erhöhte Rate an Gallenerkrankungen in den Liraglutid-Studien in allen verschiedenen Klassen des Gewichtsverlustes nachweisbar war – was durchaus auch für einen alternativen Mechanismus sprechen könnte. Faillie weiter: „Darüber hinaus deuten experimentelle Studien darauf hin, dass Cholangiozyten empfänglich für GLP-1 sind und darauf mit einer erhöhten Proliferation und funktionellen Aktivität reagieren. Das wiederum könnte das Risiko für Gallengangverengungen erhöhen.“

Aus seiner Sicht trägt bei den GLP-1-Analoga der durch sie ausgelöste Gewichtsverlust zwar wahrscheinlich zur erhöhten Rate an Gallenproblemen bei. „Doch es ist auch möglich, dass GLP-1-Analoga das Risiko für Gallenblasenprobleme aufgrund von Mechanismen erhöhen, die vom Gewichtsverlust unabhängig sind oder aber, dass sie diesen Effekt potenzieren.“

Künftig Gliptine statt GLP-1-Analoga? Experten raten davon ab

 
Darüber hinaus deuten experimentelle Studien darauf hin, dass Cholangiozyten empfänglich für GLP-1 sind und mit einer erhöhten Proliferation reagieren. Dr. Jean Luc Faillie und Kollegen
 

Mögliche Erklärungen für das erhöhte Risiko für Gallenprobleme diskutiert auch Dr. Peter Butler vom Islet Research Center der University of California in Los Angeles, USA, in einem begleitenden Editorial [2]. Auch er verweist darauf, dass der durch GLP-1-Mimetika induzierte Gewichtsverlust das Entstehen von Gallensteinen fördern kann. Doch möglicherweise, so spekuliert er, agierten GLP-1-Analoga auch pharmakologisch mit der Gallenblase und den Gallengängen und bewirkten z.B. eine verlangsamte Leerung der Gallenblase und eine verstärkte Cholangiozyten-Proliferation.

Was bedeutet dies nun für die antidiabetische Therapie? Butler stellt klar: „Bei Patienten mit unkontrolliertem Typ-2-Diabetes und Fettsucht ist die Hinzufügung von GLP-1-Mimetika zu Metformin und – wenn notwendig – auch zu Insulin, eine logische Wahl angesichts unserer gegenwärtigen Evidenz – vorausgesetzt, dass es keine Anamnese von Pankreatitis oder Gallenerkrankungen oder Schilddrüsenkrebs bei den Patienten gibt.“

 
Das in der Arbeit von Faillie gefundene erhöhte Risiko für Gallengangentzündungen und Gallensteine muss man den Vorteilen und der eventuellen kardiovaskulären Risikoreduktion gegenüber stellen. Prof. Dr. Baptist Gallwitz
 

Auch Gallwitz zieht aus den Ergebnissen Faillies nicht den Schluss, in der Therapie lieber auf Gliptine statt auf GLP-1-Analoga zu setzen. Er sagt: „Es gibt gute Gründe, sich im Rahmen individueller Behandlungsziele auch für die GLP-1-Analoga zu entscheiden“ – und nennt den zusätzlichen Gewichtsverlust, der ausgeprägter ist als unter den Gliptinen, und die – ebenfalls im Vergleich zu den Gliptinen – stärkere Wirkung auf den HbA1c-Wert sowie die zusätzlich oft erreichte milde Blutdrucksenkung als Argumente. „Das in der Arbeit von Faillie gefundene erhöhte Risiko für Gallengangentzündungen und Gallensteine müsste man diesen Vorteilen und der eventuellen kardiovaskulären Risikoreduktion gegenüber stellen und dann individuell abwägen“, so Gallwitz.

Gallwitz macht auch noch auf einen anderen Punkt aufmerksam: Der Arbeit von Faillie fehlt eine Kontrollgruppe mit vergleichbarem (durch andere Maßnahmen als GLP-1-Analoga verursachten) Gewichtsverlust, bei der dann ebenfalls die Inzidenz von Gallenwegserkrankungen erhoben werden müsste.

Generell rät der Diabetesexperte, ein erhöhtes Risiko für Gallenblasen- und Gallengangentzündungen gegenüber dem Patienten anzusprechen: „Man sollte Patienten, die mit GLP-1-Analoga behandelt werden, darauf hinweisen, dass das Risiko erhöht ist. Bei Oberbauchschmerzen oder Koliken sollte deshalb früh ein Arzt aufgesucht werden und ein Labor und eine Ultraschalluntersuchung angefertigt werden.“

 

REFERENZEN:

  1. Faillie JL et al: JAMA Intern Med. (online) 1. August 2016

  2. Butler P, et al: JAMA Intern Med. (online) 1. August 2016

 

Kommentar

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