Trügerische Sicherheit? Unter Vitamin-K-Antagonisten sind viele Patienten mit Vorhofflimmern weit weniger stabil als gedacht

Nadine Eckert

Interessenkonflikte

15. August 2016

Prof. Dr. Andreas Götte

Patienten mit Vorhofflimmern, die zur Gerinnungshemmung bzw. Schlaganfallprophylaxe einen Vitamin-K-Antagonisten bekommen und weder einen Schlaganfall erleiden noch eine Blutung entwickeln, gelten im Allgemeinen als stabil. Eine Umstellung auf eines der neuen oralen Antikoagulantien (NOAK) erscheint dann unnötig.

„Möglicherweise wiegen wir uns mit dieser Annahme aber in einer nicht ganz zutreffenden Sicherheit“, warnt Prof. Dr. Andreas Götte vom Vorstand des Kompetenznetzes Vorhofflimmern im Gespräch mit Medscape. In einer in JAMA veröffentlichten Auswertung eines US-Registers war nämlich nur gut ein Viertel der mehr als 3.500 nachbeobachteten Warfarin-Patienten tatsächlich stabil.

Einmal stabiler INR bleibt oft nicht dauerhaft stabil

Zur Verlaufskontrolle der Antikoagulation mit einem Vitamin-K-Antagonisten (Warfarin, Phenprocoumon) dient die International Normalized Ratio (INR), die den lange Zeit verwendeten Quick-Wert abgelöst hat. Der Kardiologe Dr. Sean D. Pokorney vom Duke University Medical Center in Durham und seine Kollegen untersuchten anhand der Registerdaten, wie sich die INR-Werte von chronisch mit Warfarin behandelten Patienten im Verlauf von bis zu 3 Jahren verändern. Denn: „Warfarin reduziert zwar das Schlaganfallrisiko von Patienten mit Vorhofflimmern substanziell, hat aber nur ein sehr enges therapeutisches Fenster bei INR-Werten von 2,0 bis 3,0“, erklären Pokorney und seine Mitautoren.

 
Möglicherweise wiegen wir uns mit dieser Annahme aber in einer nicht ganz zutreffenden Sicherheit. Prof. Dr. Andreas Götte
 

Als stabil definierten sie diejenigen Patienten, bei denen mindestens 80% der gemessenen INR-Werte im Zielbereich von 2,0 bis 3,0 lagen. In den ersten 6 Monaten nach Therapiebeginn war dies bei 968 von 3.749 Patienten (26%) der Fall. Im darauffolgenden Jahr waren von diesen 968 Patienten nur noch 34% weiterhin stabil.

„Selbst von den 10% der Patienten, bei denen im Basisintervall alle INR-Werte im therapeutischen Bereich lagen, waren nur 37% im Folgejahr noch stabil“, betont Götte. Die Stabilität in den ersten 6 Monaten habe nur eine sehr eingeschränkte Aussagekraft über die weitere Entwicklung der INR-Werte gehabt, bestätigen die Autoren. „Es ist ein verbreiteter Glaube, dass Patienten mit stabilem INR unter Warfarintherapie auch stabil bleiben werden und deshalb nur wenig Nutzen aus einer Umstellung auf NOAK ziehen würden“, schreiben Pokorney und sein Team. „Unsere Analyse deutet aber eher darauf hin, dass die Stabilität unter Warfarin schwer vorherzusagen ist und stellt die Vorstellung in Frage, dass Patienten, denen es unter Warfarin gut geht, auch weiterhin mit Warfarin behandelt werden sollten.“

Vermeintlich gut eingestellte Patienten doch nochmal überprüfen

 
Es ist ein verbreiteter Glaube, dass Patienten mit stabilem INR unter Warfarintherapie auch stabil bleiben werden … Dr. Sean D. Pokorney und Kollegen
 

Für Götte geben die Daten Anlass, Patienten, die vermeintlich gut eingestellt sind, doch noch einmal genauer zu überprüfen. „Bei denjenigen, die nicht konstant gut eingestellt sind, kann dann die Neueinstellung auf ein NOAK überdacht werden“, rät der Chefarzt der Medizinischen Klinik II – Kardiologie und internistische Intensivmedizin am St. Vincenz-Krankenhaus in Paderborn. „Das therapeutische Fenster von NOAK ist deutlich größer als das von Vitamin-K-Antagonisten, so dass sie auch bei größeren Schwankungen der Konzentrationsbereiche noch effektiv und mit günstigem Nutzen-Risiko-Verhältnis vor Schlaganfällen schützen.“

 

REFERENZEN:

Pokorney SD, et al: JAMA 2016;316:661-662

 

Kommentar

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