Die Zahl der Hautkrebsfälle steigt: 2015 wurde bei 73.870 US-Bürgern ein Melanom diagnostiziert, 9.940 starben daran. Für 2016 prognostiziert die US Preventive Services Task Force (USPSTF) 10.100 Melanom-bedingte Todesfälle in den USA. In Deutschland erkrankten nach Daten der Deutschen Krebshilfe 2012 rund 30.600 Menschen neu an einem malignen Melanom, 150.000 an einem Basalzellkarzinom und 83.000 an einem Plattenepithelkarzinom – auch hier Tendenz steigend.
Inwieweit aber ein Hautkrebs-Screening die krebsbedingte Morbidität und Mortalität senken kann, bleibt weiterhin unklar. Zu diesem Schluss kommt ein eben erschienener Review der USPSTF [1]. Es sei nicht gesichert, ob die visuelle Hautinspektion das Risiko, an einem Melanom zu sterben tatsächlich reduziere und wie mögliche Schäden durch ein solches Screening einzustufen seien, heißt es in dem Review.
Die USPSTF hatte bereits 2009 bemängelt, die vorliegende Evidenz reiche nicht aus, um Nutzen und Schaden eines solchen Screenings in der Allgemeinbevölkerung seriös abzuwägen. 2016 sei die Evidenz kaum besser, heißt es nun. Daher gibt die USPSTF einem solchen Screening lediglich ein „I Statement“. Diese liegt noch unter einer Empfehlung Grad A und sagt aus, dass die Evidenz zu insuffizient ist, um überhaupt eine Empfehlung aussprechen zu können.
Prof. Dr. Alexander Katalinic, Direktor des Instituts für Sozialmedizin und Epidemiologie der Universität Lübeck, sieht in den Ergebnissen des Reviews die dringende Aufgabe, weiter zu forschen wie er gegenüber Medscape sagt: „Es ist wichtig, die Evidenzbasis durch weitere Studien und weitere Forschung zu verbreitern.“ Speziell Deutschland sieht er dabei in der Pflicht: „Wir sind das einzige Land, das einigermaßen systematisch ein Hautkrebs-Screening für die ganze Bevölkerung ab 35 Jahren anbietet. Das läuft bei uns besser als in den meisten anderen Ländern.“
Keine direkten Belege für eine reduzierte Morbidität und Mortalität
Dr. Karen J. Wernli vom Group Health Research Institute in Seattle und ihre Kollegen hatten für den Review über 12 500 Abstracts und 450 Volltextartikel (Zeitraum Januar 1995 bis Juni 2015) gesichtet und bewertet.
Sie hatten zum einen untersucht, inwieweit die visuelle Untersuchung der Haut ihr Ziel erreicht, Hautkrebs früher zu erkennen – und darüber die krebsbedingte Morbidität und Mortalität zu reduzieren. Sie suchten zum anderen auch nach möglichen schädlichen Auswirkungen des Screenings und verglich außerdem, ob es die Ergebnisse beeinflusst, wenn die Tests von einem Allgemeinmediziner statt von einem Dermatologen vorgenommen werden.
Die Bilanz der Task Force: Die Evidenz, mit der sich der Nettonutzen des Hautkrebs-Screenings abschätzen lasse, sei limitiert. Es gebe keine direkten Belege, dass sich über das Screening die Melanom-Morbidität und Mortalität reduzieren lasse. Dazu gebe es nur eine einzige (Umwelt-)Studie von guter Qualität, die aber erhebliche methodologische Limitationen aufweise.
Dennoch gibt es einzelne weitere Studien, die für ein Screening sprechen. In einer deutschen Beobachtungsstudie (n = 360.288) nahm die Zahl der Melanom-Toten um 0,8 pro 100.000 in einer Region mit Hautkrebs-Screening ab. Im Vergleich dazu blieb diese Rate gleich oder stieg leicht in Regionen, in denen nicht gescreent wurde.
Auch scheint ein regelmäßiges Screening von Vorteil zu sein, ergab eine Fall-Kontroll-Studie mit Melanom-Patienten (n = 7.586). Dickere Hautläsionen (> 0,75 mm), die auf ein invasives Melanom hinweisen, wurden seltener bei denen diagnostiziert, die innerhalb der zurückliegenden 3 Jahre eine ärztliche Hautuntersuchung erhalten hatten (Odd Ratio: 0,86; 95%-Konfidenzintervall: 0,75–0,98). In der Subgruppe mit den dicksten Läsionen (> 3.00 mm) betrug die entsprechende OR sogar 0,60 (95%-KI: 0,43–0,83).
8 Kohortenstudien (insgesamt 236.485 Teilnehmer) untersuchten die Assoziation zwischen Melanom-bedingter Mortalität, allgemeiner Mortalität und der Dicke der Hautläsionen und des Tumorstadiums zum Zeitpunkt der Diagnose. In alle Studien stieg das melanom-bedingte Sterberisiko mit zunehmender Dicke der Hautläsionen: War der Tumor dicker als 4,0 mm, war die Melanom-Mortalität höher als bei dünneren Läsionen, und eine Diagnose in einem späteren Krankheitsstadium war assoziiert mit einer erhöhten allgemeinen Mortalität.
In 2 Studien fanden die Wissenschaftler Unterschiede je nachdem, ob ein Allgemeinmediziner oder ein Dermatologe das Screening durchgeführt hatte. So lag beim Screening durch Allgemeinmediziner (n = 16.383) die Sensitivität für die Entdeckung eines Melanoms bei 40,2% und die Spezifität bei 86,1%. Bessere Werte erreichten Dermatologen: 49,0% respektive 97,6%.
Negative Effekte des Screenings
Selbstverständlich gibt es auch negative Effekte des Screenings, etwa eine hohe Rate von unnötigen Biopsien, die kosmetisch oder – seltener – funktional beeinträchtigend sind. Jedoch seien den Studienautoren zufolge auch die Informationen über mögliche Schäden durch das Screening spärlich. Im Schnitt erfolgten bei Frauen über 65 Jahren 22 Ektomien, um einen Fall von Hautkrebs zu diagnostizieren, bei jungen Frauen (zwischen 20 und 34 Jahren) waren sogar 41 Ektomien dafür notwendig. Bei den Männern zeigten sich ähnliche Muster.
Es bestehe das Risiko der Überdiagnose und -therapie. Weitere Forschung, so die USPSTF, sollte deshalb auf die Effektivität eines gezielten Screenings bei Personen mit einem erhöhten Hautkrebsrisiko fokussieren.
Waren die Bewertungskriterien zu strikt?
Die Auswertung durch die Task Force stößt allerdings bei einigen US-Kollegen auf Kritik. Etwa bei Dr. Vinayak K Nahar, Dermatologe am Mississippi Medical Center in Jackson, der in JAMA Oncology die von der USPSTF verwendeten Kriterien als „zu strikt“ moniert.
Der Einschätzung Nahars mag sich Katalinic zwar so nicht anschließen. Er sagt: „Die USPSTF hat ihr spezielles methodisches Vorgehen und das ist in Ordnung. Darüber hinaus sagt die USPSTF selbst, dass es nicht mehr möglich sei, den Zusammenhang zwischen Hautkrebs-Screening und Mortalität in randomisierten klinischen Studien zu testen.“ „Jedoch“, so ergänzt er, „diskutieren kann man über die Bewertung der Studienlage durch die USPSTF. Meines Erachtens ist diese zu konservativ.“
Dass der Review der USPSTF Auswirkungen auf die Praxis des Hautkrebsscreenings in Deutschland hat – dieses vielleicht infrage stellen könnte – befürchtet Katalinic nicht: „Es ist mehr eine Aufforderung sich den Fragen der Effektivität des Hautkrebs-Screenings deutlicher zuzuwenden, als wir das bislang getan haben.“
Die Bewertung bedeute im Umkehrschluss nicht, dass ein Screening keinen Nutzen habe, betont auch Dr. Martin A. Weinstock, Dermatologe an der Warren Alpert Medical School in Providence. Dies unterstützt auch Katalinic und fügt hinzu: „Betrachtet man die einzelnen vorliegenden Studien, gibt es durchaus Hinweise für einen Nutzen des Screenings.“ Kurz nach Erscheinen des Reviews bemühte sich auch die American Academy of Dermatology (AAD) um die richtige Einordnung der Ergebnisse: „Es ist wichtig für die Öffentlichkeit zu verstehen, dass die USPSTF sich nicht gegen ein Hautkrebs-Screening ausspricht“, betont AAD-Präsident Dr. Abel Torres in einem Statement.
Dr. Hensin Tsao von der Abteilung für Dermatologie in Boston und Dr. Martin A. Weinstock, schreiben in ihrem Kommentar, dass Kliniker und Gesundheitspolitiker vom Ergebnis des USPSTF-Reviews enttäuscht sein dürften, weil dieser den Nutzen einer Hautinspektion nicht explizit nachweisen konnte [2].
Dennoch gebe es Unterschiede zur früheren USPSTF Einschätzung: „2009 gab es keine aussagefähigen Schätzungen zum Ausmaß des Nettonutzens. Im gegenwärtigen Statement bezieht die USPSTF immerhin qualitativ hochwertige Fall-Kontroll-Studien als wichtige Hinweise ein. Auch wenn die daraus resultierende Evidenz als ‚insuffizient‘ bewertet wird.“
Ohne RCTs niedrige Evidenzlevel – doch andere Studiendesigns wären anwendbar
Im JAMA Dermatology wirbt Dr. Susan M. Swetter vom Dermatology Service in Palo Alto, Kalifornien, weiter für das Hautkrebs-Screening. Sie schreibt: „Ob nun mit oder ohne geänderte Empfehlung der USPSTF – wir Dermatologen sollten mit Allgemeinmedizinern enger kooperieren um Todesfälle durch Melanome zu verringern. Beim Screening sollten wir fokussieren auf diejenigen mit der höchsten melanom-bedingten Letalität: Also weiße Männer im Alter ab 50 und Personen mit niedrigerem sozioökonomischem Status.“
Katalinic und seine Kollegen haben gerade selbst ein Review zur Evidenz des Hautkrebs-Screenings und dessen Auswirkungen auf die Mortalität erarbeitet, der demnächst im Journal of the American Academy of Dermatology (JAAD) erscheinen wird. „Wir haben noch aktuellere Studien dazu ausgewertet und auch unsere Ergebnisse gehen in die Richtung, dass es zwar Hinweise für einen Nutzen gibt, das Evidenzlevel aber niedrig ist. Man muss sich klar machen, dass es zu dieser Frage keine RCTs geben wird“, betont Katalinic, „Es gibt aber durchaus die Möglichkeit, andere, machbare Studiendesigns anzuwenden.“
REFERENZEN:
1. Wernli KJ: JAMA 2016;316(4):436-447
2. Hensin T, et al: JAMA2016;316(4):398-400
Medscape Nachrichten © 2016 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Hautkrebs-Screening bleibt nach wie vor den Beweis schuldig, dass es Leben rettet - Medscape - 11. Aug 2016.
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