Amoklauf in München: Notfallmediziner begegnen Herausforderung u.a. mit „weltweit einzigartigen“ Traumanetzwerken

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

3. August 2016

Das TraumaNetzwerk DGU® (TNW) hat laut Deutscher Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) während des Amoklaufs in München „vorbildlich“ zusammengearbeitet. „Durch die qualitativ hochwertige und flächendeckende medizinische Versorgung innerhalb der TraumaNetzwerke München Oberbayern-Nord und -Süd konnten die schwerverletzten Opfer in den jeweiligen Traumazentren schnellstmöglich und optimal behandelt werden“, bilanziert DGU-Generalsekretär Prof. Dr. Reinhard Hoffmann in einer Stellungnahme [1].

2006 wurde das TraumaNetzwerk DGU® (TNW) gegründet. „Heute erfüllen in Deutschland rund 600 Traumazentren die Qualitätsvorgaben der DGU und sind in 51 zertifizierten TraumaNetzwerken zusammengeschlossen. Damit bietet die deutsche Unfallchirurgie bundesweit rund um die Uhr eine leistungsstarke Versorgung Schwerverletzter. Dieses System ist weltweit bisher einzigartig und genießt im In- und Ausland große Anerkennung“, erklärt Hoffmann gegenüber Medscape.

Amokläufe und Terroranschläge sind eine völlig neue Herausforderung

Die Ereignisse in München zeigten aber auch, dass Terroranschläge und Amokläufe eine völlig neue Herausforderung an die Notfallmedizin und die Einsatzkräfte stellen, so die DGU. Trotz der komplexen und teilweise unübersichtlichen Informationslage habe die Versorgung der Schwerverletzten aufgrund der standardisierten Notfallpläne der beiden TraumaNetzwerke München Oberbayern-Nord und München Oberbayern-Süd vorbildlich funktioniert. Wie Prof. Dr. Peter Biberthaler, Leiter der Unfallchirurgie am Klinikum rechts der Isar erklärt, sind im TraumaNetzwerk München Oberbayern-Nord 18 Kliniken und im TraumaNetzwerk München Oberbayern-Süd 29 Kliniken Mitglied. Unmittelbar nach Alarmierung von Polizei und Rettungskräften wurde an verschiedenen Kliniken der Katastrophenalarm beziehungsweise der MANV-Alarm (Massenanfall von Verletzten) ausgelöst.

 
Heute erfüllen in Deutschland rund 600 Traumazentren die Qualitätsvorgaben der DGU und sind in 51 zertifizierten TraumaNetzwerken zusammengeschlossen. Prof. Dr. Reinhard Hoffmann
 

„Als Zentrum der Maximalversorgung sind wir auf solche Situationen mit mehreren Schwerverletzten vorbereitet und trainieren dies auch regelmäßig mit entsprechenden Simulationen. Meist sind die Informationen, die wir von außen erhalten, unübersichtlich. Unsere Aufgabe ist es daher, herausfordernde Situationen in professionelle und effiziente Diagnose- und Therapieabläufe umzuwandeln, damit alle Patienten genauso optimal behandelt werden wie unter normalen Umständen. Unsere Ärzte bringen aus Tätigkeiten in den USA, Südafrika und Israel auch Erfahrung in der Behandlung von Schussverletzungen mit“, berichtet Biberthaler.

Im Zuge des Alarms wurden unter der Leitung von Biberthaler sofort 8 Schockraum-Teams sowie 10 Not-Operations-Teams gebildet, um parallel operieren zu können, auch Intensivplätze wurden bereitgehalten und Seelsorger waren im Einsatz. An der Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie am Klinikum rechts der Isar – seit 2009 Mitglied im TraumaNetzwerk – waren binnen kürzester Zeit nach Alarmierung durch die Klinikleitung 150 zusätzliche Mitarbeiter freiwillig in die chirurgische Notaufnahme gekommen, um die diensthabenden medizinischen Teams in der akuten Krisensituation zu unterstützen. „Unsere Mitarbeiter haben in dieser dramatischen Situation einen beispiellosen und professionellen Einsatz gezeigt und eine beeindruckende Solidarität bewiesen“, so Biberthaler, der auch Sprecher des TraumaNetzwerks München Oberbayern-Nord ist.

Unterschiedliche Versorgungsstrukturen und Ausstattungsmerkmale standardisieren

 
Wir können der Bevölkerung leider nicht die Sorge nehmen, dass Amokläufe und Terroranschläge geschehen, aber wir können mit unseren TraumaNetzwerken schwerverletzten Menschen … schnellstmöglich die beste medizinische Versorgung garantieren. Prof. Dr. Peter Biberthaler
 

Jedes Jahr werden in Deutschland ca. 33.000 Menschen bei Verkehrs-, Arbeits- oder Freizeitunfällen schwer verletzt. „Ihre Rettung und Behandlung ist ein Wettlauf gegen die Zeit, bei dem jeder Handgriff stimmen muss. Ziel des TraumaNetzwerks ist es, Qualität und Sicherheit von Schwerverletzten in Deutschland flächendeckend zu sichern und weiter zu verbessern. Jeder Schwerverletzte soll an jedem Ort in Deutschland zu jeder Zeit die bestmöglichen Überlebenschancen haben und auch außerhalb der Ballungszentren soll eine optimale Versorgung gewährleistet sein“, betont Hoffmann.

Mit der Einführung des TraumaNetzwerks sollten die zur damaligen Zeit recht unterschiedlichen Versorgungsstrukturen und Ausstattungsmerkmale bei Personal, Geräten und medizinischem Zubehör in Deutschlands Unfallkliniken standardisiert werden. Die Teilnahme der Kliniken an der Initiative führte häufig zu Änderungen in deren Organisations- und Personalstrukturen: beispielsweise wurden Schockraumleitlinien etabliert, Dienstpläne hinsichtlich der Rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit eines kompetenten Notfallteams verändert oder Ärzte im Schockraummanagement geschult.

In vielen Kliniken wurden Röntgenanlagen und Ultraschallgeräte für den Notfall-Behandlungsraum nachgerüstet, teleradiologische Systeme eingeführt oder die Bereitstellung von Instrumenten für Notfalloperationen und Blutkonserven vorgenommen. Geschaffen wurde ein strukturierter, flächendeckender Verbund nach einheitlichen Versorgung- und Qualitätsstandards. „Zusätzlich vernetzen sich die Kliniken regional, so dass eine Versorgung auch schwerer Verletzungen außerhalb von Ballungsräumen gewährleistet werden kann“, so Hoffmann.

Strukturen der Klinik müssen den Kriterien zur Schwerverletzten-Versorgung entsprechen

Um Mitglied im TNW werden zu können müssen Ausstattung, Räumlichkeiten, Personal und Prozesse der im Weißbuch festgeschriebenen Schwerverletzten-Versorgung entsprechen. Sie unterscheiden sich je nach Traumastufe (lokales, regionales bzw. überregionales Traumazentrum). Nach erfolgreicher Auditierung erhalten die Kliniken eine für 3 Jahre gültige Bescheinigung als TraumaZentrum. Auch TraumaNetzwerke erhalten nach Erarbeitung und Darlegung von Kooperationsvereinbarungen zur Zusammenarbeit im Netzwerk ein Zertifikat, das ebenfalls 3 Jahre gültig ist.

Die Zusammenarbeit innerhalb der TraumaNetzwerke funktioniere sehr gut, so Biberthaler und fügt hinzu: „Das ist beispielsweise bei dem tragischen Zugunglück in Bad Aibling in Oberbayern Anfang des Jahres deutlich geworden. Bei größeren Verkehrsunfällen gerade auf Autobahnen profitieren die Unfallchirurgen von der hervorragenden Zusammenarbeit der TraumaNetzwerke“. Das gelte auch bei Verlegungen von Schwerverletzten aus kleineren Kliniken – die aufgrund von räumlicher Nähe und Verletzungsschwere direkt angefahren werden, um den Patienten zu stabilisieren – in eine kooperierende Klinik im TraumaNetzwerk. Er fügt hinzu: „Wir können der Bevölkerung leider nicht die Sorge nehmen, dass Amokläufe und Terroranschläge geschehen, aber wir können mit unseren TraumaNetzwerken schwerverletzten Menschen rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr schnellstmöglich die beste medizinische Versorgung garantieren“.

 

REFERENZEN:

1. Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU): Pressemitteilung vom 26. Juli 2016

 

Kommentar

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