575 Millionen Euro haben 54 Pharmafirmen im Jahr 2015 an Ärzte, Fachkreisangehörige sowie medizinische Organisationen und Einrichtungen bezahlt. Wie von Medscape berichtet, veröffentlichten die Mitgliedsunternehmen des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) und des Vereins „Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie“ (FSA) Ende Juni die Zahlungen im Rahmen des Transparenzkodex auf ihren Webseiten. Voraussetzung dafür: Die Ärzte mussten damit einverstanden sein. Rund 20.000 stimmten zu, mehr als 2 Drittel lehnten ab.
Das Recherchebüro Correctiv und Spiegel Online haben aus den freiwilligen Angaben von Ärzten und Einrichtungen nun eine Datenbank gebastelt, in der jedermann nach Name und Postleitzahl suchen kann, ob „sein“ Arzt Zuwendungen erhalten hat [1]. Wie zu erwarten war, trifft die Datenbank nicht nur auf Gegenliebe. So ärgert sich etwa Dr. Stefan Schröter, Hautarzt am Universitätsklinikum Essen und Vorsitzender des Landesverbandes Nordrhein des Hartmannbundes über die „teilweise unsachliche und reißerische Darstellung der namentlich offengelegten Zuwendungen der Pharmaindustrie an Ärzte und Kliniken durch einzelne Medien“. Jahrelang sei Transparenz gefordert worden, so Schröter. „Nun, da diese Transparenz hergestellt ist, sehen sich viele Ärztinnen und Ärzte mehr oder weniger öffentlich an den Pranger gestellt“, schreibt er in einer Stellungnahme.
„Es ist lobenswert, dass Spiegel Online und Correctiv die Daten so aufbereitet haben, dass man nachvollziehen kann, wer welche Beträge welcher Firmen angenommen hat“, sagt hingegen Prof. Dr. David Klemperer, Professor für Sozialmedizin und Public Health an der Universität Regensburg. Die Industrie hatte das in so komprimierter und leicht nachvollziehbarer Form nicht gemacht, sondern die Daten jeweils einzeln veröffentlicht. Noch dazu mussten die Ärzte mit der Datenveröffentlichung einverstanden sein.
Dabei könnte die Industrie ganz einfach sicherstellen, dass Ärzte ihr Pharmageld offen legen: „Bei Zahlungen der Firmen an Ärzte und Organisationen würde ein Satz im Vertrag dazu ausreichen“, betont Klemperer. Die Industrie dränge aber nicht auf diese Offenlegung. Den Transparenzkodex der Pharmafirmen wertet Klemperer denn auch weniger als Einsicht in die Notwendigkeit, sondern vielmehr als strategischen Schachzug, als Versuch, ein entsprechendes Gesetz – ähnlich dem Sunshine Act – zu verhindern.
BÄK: Veröffentlichung der Daten sollte ohne Zustimmung erfolgen

Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery
Dass Ärzte ihre Zuwendungen offengelegt haben, begrüßt Klemperer. „Ich habe zu den Ärzten, die das tun, mehr Vertrauen“, sagt Klemperer, der sich seit Jahrzehnten dafür einsetzt, dass die Ärzteschaft keine Geschenke, Zuschüsse zu Fortbildungsveranstaltungen oder Honorare für die umstrittenen Anwendungsbeobachtungen annimmt.
Aus Sicht von Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery stellt die frei zugängliche Datenbank die Ärzte nicht an den Pranger: „Die in der veröffentlichten Datenbank enthaltenen Namen und Zahlungen an Ärzte und andere Angehörige von Fachkreisen sind nicht neu. Die Daten wurden bereits im Juni von den an der Transparenzinitiative des vfa beteiligten Pharmaunternehmen im Internet veröffentlicht. Die Bundesärztekammer hatte die Initiative des vfa grundsätzlich begrüßt“, erinnert der Ärztekammerpräsident gegenüber Medscape.
Die übergroße Mehrheit der Ärztinnen und Ärzte lasse sich nichts zu Schulden kommen und müsse deshalb Transparenz nicht fürchten, betont Montgomery und fügt hinzu. „Wir haben allerdings von Anfang an gesagt, dass die Veröffentlichung der Zuwendungen unabhängig von der Zustimmung des Empfängers erfolgen sollte. Alternativ sollten Pharmaunternehmen auf die Zusammenarbeit mit Ärzten verzichten, die nicht genannt werden wollen. Im Übrigen befürwortet die Ärzteschaft seit langem eine gesetzliche Regelung nach dem Vorbild des US-amerikanischen „Physicians Payment Sunshine Act“. Danach müssen alle finanziellen Leistungen und Sachleistungen sowie Name, Adresse, Anbieter, Wert, Datum und Art der Zuwendung offengelegt werden."
Datenbank ja – doch die reine Nennung von Summen weckt Neidreflexe

Roland Stahl
© Lopata/axentis.de
KBV-Sprecher Roland Stahl hält die Datenbank grundsätzlich für sinnvoll, bei ihrer Nutzung sollte aber die Chance zur sachlichen Einordnung von Zahlungen gegeben werden: „Wichtig ist, dass nicht nur Summen veröffentlicht werden, sondern auch die Möglichkeit für Erklärungen gegeben ist: Wofür werden die Gelder gezahlt? Welche Leistungen werden erbracht? Außerdem fließen ja die Gelder nicht automatisch zu den beteiligten Ärzten, sondern werden unter Umständen weiter gereicht an Stiftungen, Forschungseinrichtungen oder für andere beispielsweise soziale Zwecke verwendet“, erklärt Stahl. „Die reine Summennennung weckt in unserer Neidgesellschaft leider negative Reflexe. Die Ärzte, die freiwillig ihre Zahlungen offenlegen, dürfen nicht an den digitalen Pranger gestellt werden.“ Stahl kann sich vorstellen, dass sich immer mehr Ärzte beteiligen werden.
Schröter erinnert daran, dass die namentliche Offenlegung derartiger Zuwendungen immer an „reale Leistungen wie Studien, Vorträge, Aufsätze und Beratung gebunden sei“ und betont: „Es ist der Sache nicht dienlich, dass gerade diejenigen Ärztinnen und Ärzte, die sich diesbezüglich besonders vorbildlich verhalten und nichts zu verbergen haben, sich nunmehr in zweifelhaftem Licht wiederfinden.“ Nicht sachgerechten Zuwendungen, fragwürdigem Verhalten und Interessenkonflikten könne man am besten begegnen, wenn Transparenz geübt werde. Das setze allerdings einen sachgerechten und verantwortungsvollen Umgang mit den auf diese Weise offengelegten Daten voraus.

Dr. Dirk Heinrich
Grundsätzlich findet Dr. Dirk Heinrich die Veröffentlichung der Zuwendungen in der Datenbank sinnvoll. „Schwierig ist aber, wenn nur selektiv veröffentlicht wird, denn nur ein Teil der Pharmafirmen legt die Zahlungen offen, nur die Ärzte tauchen dort auf, die ihre Zuwendungen offen gelegt haben“. Den HNO-Arzt und Vorsitzenden des NAV-Virchow-Bundes stört auch der Tenor der Veröffentlichung: „Die Headlines sind eher negativ – das ist zumindest ungeschickt, weil es die Freiwilligkeit zur Veröffentlichung nicht gerade fördert“.
Schiefes Bild: Keine Angaben wofür Gelder geflossen sind
Auch dass nur die Beträge angegeben werden, nicht aber wie sie sich zusammensetzen und wofür sie gezahlt werden – ob es sich etwa um eine Reisekostenerstattung für einen Fachvortrag oder eine Essenseinladung handelt –, ist für Heinrich ein Manko: „Das gibt ein schiefes Bild. Ich nenne das Pseudotransparenz, es sieht aus wie Transparenz, ist aber keine.“
Für fraglich hält Heinrich, dass eine generelle Verpflichtung zur Offenlegung eine praktikable Lösung ist: „Wieweit geht das und wo hört die Pflicht zur Offenlegung auf? Ich halte es für wichtiger in der Ärzteschaft eine innere Kultur zu entwickeln und klar zu machen, dass es nicht in Ordnung ist, sich durch Zuwendungen beeinflussen zu lassen, und dass man sich eine mögliche Einflussnahme klar machen muss.“ Was die Forderungen angehe, die verpflichtenden Fortbildungen selbst zu zahlen: „Natürlich geht das, dann sollte das aber fairerweise zu den Ausgaben dazu gezählt und durch höhere Erstattungen seitens der Kassen kompensiert werden“, so Heinrich.
Für Dankbarkeitseffekte gibt es keine untere Grenze
„Die Entgegennahme von Zuwendungen beeinflusst die Haltung und darüber auch das Verordnungsverhalten“, sagt Klemperer. Dies könne Therapieentscheidungen beeinflussen, so dass Patienten nutzlose, aber teure Medikamente erhalten. Auch die Ergebnisse von Studien könnten dadurch verzerrt werden, etwa indem potenzielle Schäden eines Mittels als zu gering eingeschätzt werden. „Das Problem ist, dass diese Zuwendungen in uns emotional Dankbarkeitseffekte auslösen, das geschieht größtenteils unbewusst, diesen Effekten entgehen wir nicht“, erklärt Klemperer. Es gibt keine untere Grenze für diesen Dankbarkeitseffekt – kleine Aufmerksamkeiten können ihn genauso bewirken wie eine Einladung zu einem Jahreskongress.
Mehrere Studien haben diese Dankbarkeitseffekte nachgewiesen. „Ärzte, die sagen, sie lassen sich von Zuwendungen nicht beeinflussen, meinen das auch so, dieser unbewusste Mechanismus wird tatsächlich nicht realisiert“, so Klemperer. Mit diesem blinden Fleck für den Bias beschäftigt sich auch der Fachausschuss für Transparenz und Unabhängigkeit der deutschen Arzneimittelkommission, in dem Klemperer Mitglied ist.
Wir alle haben den Drang, den Impuls in uns, Wohltaten, die man uns verschafft, zu erwidern. Diese Reziprozität ist ein Automatismus, dem man sich nicht entziehen kann. Doch der an sich wünschenswerte Zug, der Gesellschaften zusammen hält, kann als Mittel der Einflussnahme missbraucht werden: „Pharmavertreter werden dahingehend auch entsprechend geschult“, berichtet der Mediziner. Anders als vielfach angenommen werde, habe die Unfähigkeit, diesen Mechanismus zu erkennen, nichts mit Intelligenz zu tun, betont er.
Einzige Lösung: Keine Geschenke mehr annehmen
Die Lösung könne deshalb nur darin bestehen, keine Geschenke mehr anzunehmen. „Sich die beruflichen Fortbildungen bezahlen zu lassen, ist nebenbei auch peinlich, das findet man so in keiner anderen Berufsgruppe“, betont Klemperer.
Einen wichtigen Schritt sieht Klemperer darin, § 32 („Unerlaubte Zuwendungen“) der Berufsordnung zu ändern: „Da ist ein Kulturwandel in der Ärzteschaft notwendig, die Bundesärztekammer und die Länderärztekammern sollten noch mehr tun als bislang, auch wenn es inzwischen Bewegung gibt.“
REFERENZEN:
1. Spiegel Online: „Datenbank: Wie viel Geld hat mein Arzt angenommen?“, 14. Juli 2016
Medscape Nachrichten © 2016 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Pharmalohn für Ärzte: Stellt die Correctiv-Datenbank Mediziner an den Pranger? - Medscape - 2. Aug 2016.
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