ART direkt nach HIV-Diagnose: Senkt das Übertragungsrisiko auf den Sexualpartner auch langfristig um mehr als 90 Prozent

Dr. Jürgen Sartorius

Interessenkonflikte

2. August 2016

Die finalen Ergebnisse der Studie 052 des US-amerikanischen HIV Prevention Trials Network (HPTN) sind  jetzt im New England Journal of Medicine (NEJM) veröffentlicht worden [1]. Demnach kann ein früher Start der antiretroviralen Therapie (ART) bei einem Indexpatienten das Risiko, dass dieser seine Sexualpartner infiziert, um mindestens 93% verringern, wie die Autoren um Dr. Myron S. Cohen vom Institute for Global Health and Infectious Diseases der University of North Carolina, Chapel Hill, berichten

PD Dr. Martin Hartmann

Dies bestätigt die Ergebnisse einer Interimsanalyse des Datenmaterials der Studie aus dem Jahr 2011. Danach verringerte ein früher Einstieg in die ART das Risiko, seinen Sexualpartner mit HIV-1 zu infizieren, um 96% - im Vergleich zu einer ART, die erst begann, wenn – wie bisher meist praktiziert – klinische Daten oder Symptome dafür sprachen.

„Diese Ergebnisse waren zu erwarten“, bewertet PD Dr. Martin Hartmann, Leiter der Immunologischen Ambulanz und der HIV-Spezialambulanz an der Universitätshautklinik in Heidelberg, die finale Publikation. „Trotzdem ist es sehr gut, dass sie auch nach einem Follow-up von über 5 Jahren Bestand haben.“

Die meisten Patienten entscheiden sich für die ART

Insgesamt untersuchten die Autoren in den USA, verschiedenen afrikanischen Staaten, Thailand, Indien und Brasilien 1.763 HIV-1-infizierte Patienten. Diese wurden zunächst randomisiert einer „frühen“ ART-Gruppe mit Therapiebeginn direkt nach der Diagnose oder einer „späten“ Gruppe mit Beginn der ART nach einem Abfall der CD4-Zellen auf unter 250/µl oder bei AIDS-Symptomatik zugeteilt. Die Studienmedikamente waren Isoniazid oder Trimethoprim-Sulfamethoxazol, die nach lokalen Gegebenheiten verordnet wurden.

 
Je mehr HIV-1-positive Patienten sich für eine frühe ART entscheiden, desto geringer ist die Chance, dass sie ihre Partner infizieren. PD Dr. Martin Hartmann
 

Nach den überzeugenden Ergebnissen der Interimsanalyse in 2011, die nach einem Follow-up von median 1,7 Jahren erfolgte, bot man allen Studienteilnehmern unabhängig von deren CD4-Zellzahl eine ART an. Zu diesem Zeitpunkt erhielten in der „späten“ Gruppe nur 26% der Indexpatienten eine ART. Nach einem weiteren Jahr war dies dann bereits bei 83% aller Indexpatienten der Fall. Zum Ende der Studie im Jahr 2015 war deren Anteil auf 96% gestiegen. Nur die wenigsten hatten – meist aufgrund des Risikos von Nebenwirkungen – auf eine ART verzichtet, da sie sich gesund fühlten.

„In dieser Studie geht es neben der erfolgreichen Behandlung der HIV-Patienten um den Infektionsschutz für die Partner“, erläutert Hartmann. „Je mehr HIV-1-positive Patienten sich für eine frühe ART entscheiden, desto geringer ist die Chance, dass sie ihre Partner infizieren.“

Je früher der ART-Start, desto geringer die Infektionsrate der Sexualpartner

Insgesamt wurden 1.763 sero-diskordante Paare (also solche, bei denen nur einer eine Infektion trägt) in die Studie einbezogen. Zu deren Ende nach im Mittel 5,5 Jahren konnten die Daten von 1.536 Indexpatienten (87%, über 10.000 Patientenjahre) und 1.165 Sexualpartnern (66%, über 8.500 Patientenjahre) ausgewertet werden. In beiden Studiengruppen wurden insgesamt 78 HIV-1-Infektionen bei Partnern gefunden (Inzidenz 0,9%), davon 19 in der „frühen“ und 59 in der „späten“ ART-Gruppe. Bei 72 von diesen konnte ein eindeutiger viraler Status festgestellt werden.

Von diesen 72 Infektionen entsprachen 26 (36%) genetisch nicht denen der jeweiligen Indexpatienten, stammten also von anderen Sexualpartnern. Von den restlichen 46 genetisch „erwarteten“ Infektionen waren 3 in der „frühen“ und 43 in der „späten“ ART-Gruppe aufgetreten. Diese Infektionen entsprachen dem Endpunkt der Studie: 46 Indexpatienten hatten ihre Sexualpartner mit HIV-1 infiziert.

 
Auch bei erfolgreicher ART gibt es keine hundertprozentige Sicherheit und damit kann von medizinischer Seite kein grünes Licht für ungeschützten Sex gegeben werden. PD Dr. Martin Hartmann
 

Innerhalb der „späten“ ART-Gruppe entfielen 36 der 43 Infektionen auf die ersten 1,5 Jahre vor der Interimsanalyse. In den folgenden 4 Jahren bis zum Studienende kamen nur noch 7 Fälle einer Partner-Infektion dazu. In diesem Zeitraum war – wie schon erwähnt – der Anteil der Indexpatienten mit ART von 26% auf 96% gestiegen. Aus einer Intention-to-treat-Analyse über den gesamten Studienzeitraum ergab sich in der „frühen“ ART-Gruppe ein um 93% verringertes Risiko einer Partner-Infektion gegenüber der „späten“ ART-Gruppe.

„Je schlechter die virale Ausgangslage eines Patienten, desto höher das Risiko, einen Sexualpartner anzustecken“, bemerkt Hartmann. „Trotzdem gibt es auch bei erfolgreicher ART keine hundertprozentige Sicherheit und damit kann von medizinischer Seite kein grünes Licht für ungeschützten Sex gegeben werden.“

Darüber hinaus beobachteten die Autoren, dass die 3 Partner-Infektionen in der „frühen“ Gruppe und 5 der Partner-Infektionen in der „späten“ Gruppe von Indexpatienten ausgegangen waren, bei denen die ART entweder noch nicht oder überhaupt nicht angesprochen hatte. Diese Indexpatienten waren also zum Zeitpunkt der Infektion HIV-1-virulent.

Sowohl HIV-Positive als auch deren Sexualpartner profitieren von früher ART

 
Der Partnerschutz kann ein Argument sein, das den Patienten trotz subjektiv empfundener Gesundheit überzeugen kann, nach gesicherter Diagnose sofort mit einer ART zu beginnen. PD Dr. Martin Hartmann
 

In ihrer Diskussion verweisen die Autoren auf ähnliche Ergebnisse von Beobachtungstudien sowohl bei heterosexuellen als auch homosexuellen Paaren, die durch die jetzige prospektive Studie 052 bestätigt werden. Weiterhin gibt es auch in der 052-Studie Hinweise darauf, dass ein früher Start der ART positive Effekte auf die Gesundheit der Indexpatienten hatte.

Somit begrüßen Cohen und Kollegen die 2015 verabschiedeten Guidelines der WHO, die einen universellen Test auf HIV-1 und bei positiver Diagnose den sofortigen Beginn einer ART empfehlen, dies mit dem Ziel, die sexuelle Übertragung des Virus zu verhindern.

„Diese Ergebnisse sind ein weiterer Baustein in der Beratung unserer HIV-1 Patienten“, resümiert Hartmann. „Der Partnerschutz kann ein Argument sein, das den Patienten trotz subjektiv empfundener Gesundheit überzeugen kann, nach gesicherter Diagnose sofort mit einer ART zu beginnen und compliant zu bleiben. Wir müssen jedes Mittel nutzen, um die Infektionsrate zu senken.“

 

REFERENZEN:

1. Cohen MS, et al. NEJM (online) 18. Juli 2016

 

Kommentar

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