Olympia trotz Diabetes? Mit sorgfältigem Monitoring und angepasster Therapie ist (fast) alles möglich – Tipps von Experten

Dr. Jürgen Sartorius

Interessenkonflikte

2. August 2016

Daniel  Schnelting ist 3-facher Deutscher Meister und Jugendeuropameister über 200  Meter. Anja Renfordt ist mehrfache Weltmeisterin im Kickboxen – Disziplinen Leicht- und Vollkontakt. Alexander Piel  ist mehrfacher Deutscher Meister und Europa-Cup Sieger im Karate. Die  Leichtathletin Stephanie Hill (Sprint und Weitsprung) war Fackelläuferin bei  den ersten Olympischen Jugend-Winterspielen in Innsbruck 2012. Was alle diese  jungen Menschen verbindet: Sie sind nicht nur Leistungssportler, sondern haben  auch einen Typ-1-Diabetes. Denn das eine schließt heutzutage das andere nicht  aus.

Menschen  mit Diabetes – besonders solche mit Typ-1-Diabetes – haben ihren Stoffwechsel  heute dank engmaschiger und exakter Überwachung, optimierter Therapie und  langjähriger persönlicher Erfahrung oft sehr gut im Griff. Für solche Patienten  stellen auch körperliche Höchstleistungen bei spezialisiertem Training und unter  kontrollierten Bedingungen wie bei einem sportlichen Wettkampf kein unlösbares  Problem dar.

Die  individuelle Anpassung der Therapie an die sportliche Betätigung ist dabei eng  verknüpft mit dem Ausmaß der körperlichen Belastung: Je härter das Training ist,  desto spezifischer muss die die Therapie sein. Auf der Webseite www.special-ones.de berichten Hochleistungssportler  mit Diabeteserkrankung von ihren Erfahrungen und wie sie ihre Insulintherapie  an den Sport angepasst haben. Eine Leichtathletin trägt beispielweise  ihre Insulinpumpe auch während des Trainings, verringert aber je nach Trainingsintensität  ihr Basalinsulin mit temporär unterschiedlichen Raten, die sie vorher in ihre  Pumpe einprogrammiert hat – bei leichtem aeroben Training in verringerter, bei  Sprints in erhöhter Dosis.

Die Herausforderung ist die  Unterzuckerung

Die größte  Herausforderung beim Sport ist für alle Diabetiker die Vermeidung von  Hypoglykämien. Im lockeren Training und bei Langzeitbelastung wird meist die  Insulinzufuhr reduziert. Bei kurzen Sprints oder Kämpfen, wie etwa beim Karate,  kann sie aber erhöht werden, auch um die erhöhte Adrenalinzufuhr auszugleichen.  Lediglich für den Kampf selbst wird die Pumpe kurz abgenommen, damit sie keinen  Schaden nimmt.

Andere  Athleten setzen auf den Insulinpen. Sie verringern an Wettkampftagen den Bolus  zu den Mahlzeiten und essen vor dem Start zusätzliche Kohlenhydrate, tragen  aber sicherheitshalber einen Sensor, um den Blutzucker regelmäßig unauffällig  zu kontrollieren. Häufig steigt er nach dem Sport an und fällt 2 bis 3 Stunden  später stark ab. Um einer Hypoglykämie vorzubeugen, nehmen die Athleten nach  dem Sport Kohlenhydrate zu sich.

Sport für „normale“ Zeitgenossen mit  Diabetes

Wie  sieht es aber mit Diabetespatienten aus, die Freude an der Bewegung (gefunden)  haben und ihre sportliche Betätigung über den üblichen Rahmen einer  Diabetiker-Sportgruppe hinaus erweitern möchten? Im Prinzip genauso: Nach einer sportmedizinischen Untersuchung, einer Beratung über die  Dosisreduktion potenziell hypoglykämieträchtiger Medikamente (Insulin, Sulfonylharnstoffe  und Glinide, wenn unmittelbar vor dem Sport eingenommen) und einem  Trainingsplan für eine geeignete Sportart ist (fast) alles möglich [1].

 
Bei Diabetikern gilt es, ein besonderes Augenmerk auf die Ergometrie zu richten, denn der Diabetes hat oft bereits den Grundstein für koronare Herzkrankheiten und andere makrovaskuläre Probleme gelegt. Dr. Peter Zimmer
 

Bei der  sportmedizinischen Untersuchung beurteilt der Arzt zunächst die Kondition, das  Herz und die orthopädischen Gegebenheiten. Speziell für ältere Patienten mit  Typ-2-Diabetes sollte sich eine neurologische und augenärztliche Untersuchung  sowie eine spezielle Inspektion der Füße anschließen, um diabetestypische  Symptome im Ansatz zu erkennen und behandeln zu können. Bei proliferativer  Retinopathie oder Nephropathie ist Kraft- oder Kampfsport kontraindiziert. Bei  Neuropathie sollte zunächst ein Gleichgewichtstraining absolviert und speziell  geeignete Schuhe getragen werden.

Ergometrische Voruntersuchung ist  besonders wichtig

„Bei Diabetikern gilt es, ein  besonderes Augenmerk auf die Ergometrie zu richten, denn der Diabetes hat oft  bereits den Grundstein für koronare Herzkrankheiten und andere makrovaskuläre  Probleme gelegt“, berichtet Dr.  Peter Zimmer von der AG Diabetes und Sport der Deutschen  Diabetes-Gesellschaft (DDG). „Prinzipiell ist aber für die große Mehrheit der  Menschen mit Diabetes jedes Plus an Bewegung sinnvoll. Lediglich bei Patienten  mit hochgradigen Herzrhythmusstörungen oder instabiler koronarer Herzkrankheit  ist Sport – unabhängig von der Diabeteserkrankung – kontraindiziert.“

Die  Empfehlungen im Einzelnen:

  • Unmittelbar  vor Aufnahme der Aktivität sollten der Blutzucker und bei Insulinpflicht auch die  Ketonkörper (bei Blutzucker > 250mg/dl) gemessen werden.

  • Diabetespatienten,  die mit Sport beginnen, sollten Trainingsintensität- und -dauer nur langsam  steigern und ihre Werte regelmäßig kontrollieren.

  • Sehr  sinnvoll ist ein Sporttagebuch, in das sie alle Aktivitäten und Werte eintragen.  So werden die Neu-Sportler einerseits zur steten Kontrolle angehalten und können  andererseits auf ihre Erfahrungen zurückgreifen, etwa im Hinblick auf zu  erwartende Blutzuckerwerte bei bestimmten Trainingseinheiten.

Ein Sporttagebuch hilft, individuelle  Erfahrungen festzuhalten

Aber  auch für den betreuenden Arzt ist das Sporttagebuch ein wichtiges Dokument, das  die Patienten zu jedem Besuch mitbringen sollten. Hier könne das Zustandekommen  der Daten erklärt und Verbesserungen besprochen werden. „Die Insulinreduktion  ist bei jeder längeren körperlichen Belastung die entscheidende  Herausforderung“, erklärt Zimmer. „Am besten ist es, wenn die diabetischen  Patienten entsprechende Anpassungslogarithmen trainieren.“

 
… bei entsprechendem Trainingszustand, sorgfältigem Monitoring und stets individuell und situativ angepasster Therapie [sind] starke sportliche Leistungen auch für Typ-1- und Typ-2-Diabetiker möglich. Dr. Peter Zimmer
 

Diese  Anpassungslogarithmen sind prinzipiell vorgegeben, lassen sich aber mit einem  Sporttagebuch gut individualisieren. „Wer eine Bergtour unternimmt, braucht  währenddessen sicher etwa nur halb so viel Insulin wie an „normalen“ Tagen“,  nennt Zimmer, der auch in den Alpen Arzt-Patienten-Seminare für  sportinteressierte Diabetiker betreut, als Beispiel.

Von „üblichen“ zu exotischen Sportarten  ist vieles möglich

Ausdauersportarten  wie Schwimmen und Radfahren eignen sich für die meisten Patienten, Joggen setzt  ein gesundes Verhältnis zwischen Gelenkstabilität und Körpergewicht voraus.  „Aber wie die Beispiele der Leistungssportler mit Typ-1-Diabetes zeigen, sind bei entsprechendem  Trainingszustand, sorgfältigem Monitoring und stets individuell und situativ  angepasster Therapie starke sportliche Leistungen auch für Typ-1- und Typ-2-Diabetiker  möglich“, fasst Zimmer zusammen.

In  vielen Städten gibt es spezielle Diabetiker-Sportgruppen, die sich für nahezu  alle Patienten mit Diabetes zum Einstieg in eine sportlichere Lebensweise  eignen. Wer dann nach höherer Intensität und Leistung oder dort nicht  angebotenen Sportarten strebt, kann sich – unter Berücksichtigung der oben  beschriebenen Regeln – individuell steigern und sein eigenes Programm  aufstellen. Hilfestellungen hierfür finden Interessierte unter www.diabetes-sport.de und www.idaa.de.

 

REFERENZEN:

1. Zimmer,  P. MMW Fortschr. Med. 2013;8:71-75

 

Kommentar

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