Digitalisierung in der Medizin: Beim Patienten längst angekommen, die Ärzte hinken hinterher

Christian Beneker

Interessenkonflikte

1. August 2016

Verschläft das Gesundheitssystem den Anschluss an die  digitalisierte Welt, während die Patienten schon längst angekommen sind? Die  Versorgungslandschaft in Deutschland müsse sich der Digitalisierung in der Medizin  viel weiter öffnen. Das betonten die Referenten auf der 12. Nationalen  Branchenkonferenz Gesundheitswirtschaft 2016 in Rostock immer wieder. Das Thema  der Tagung: „Gesundheit 2016 - die Gesundheitswirtschaft in der Digitalen  Welt" [1].

 
Die Frage ist nur, ob es mit uns oder gegen uns oder ohne uns geschieht. Jedenfalls werden wir es nicht aufhalten. Dr. Peter Langkafel
 

„Wir reden über etwas, das es längst gibt, und das längst  geschieht", betonte Dr. Peter Langkafel, Geschäftsführer der HCB  Healthcubator GmbH, Berlin. „Die  Frage ist nur, ob es mit uns oder gegen uns oder ohne uns geschieht. Jedenfalls  werden wir es nicht aufhalten." Langkafel sprach damit auf den Umstand  an, dass viele Patienten - während die Kritiker der Gesundheitskarte noch über  den Datenschutz streiten -, längst ihre persönlichen Gesundheitsdaten  preisgeben.

Digitalisierung  wird „explosiv“ sein

„Derzeit  zählen wir zum Beispiel 379.000 Gesundheits-Apps und im Jahr 2018 werden wir 1,7  Milliarden Nutzer von Gesundheits-Apps haben", so Peter  Vullinghs, Chef der Philips GmbH in Deutschland, Österreich und der  Schweiz, in seinem Vortrag. Jeder 5. Deutsche habe inzwischen eine  Gesundheits-App auf seinem Smartphone. Die Digitalisierung in der Medizin werde  „explosiv" verlaufen, prognostizierte Vullinghs. Für 2060 rechnet er in  Deutschland zum Beispiel mit rund 25 Millionen Patienten mit Bluthochdruck und  18 Millionen Übergewichtigen – für den Philips-Chef sind diese Menschen die  potentiellen Konsumenten digitaler Gesundheitsangebote wie etwa  Online-Monitoring. Deshalb wolle seine Firma „massiv  in digitale Gesundheitsprojekte einsteigen."

 
Derzeit zählen wir zum Beispiel 379.000 Gesundheits-Apps und im Jahr 2018 werden wir 1,7 Milliarden Nutzer von Gesundheits-Apps haben. Peter Vullinghs
 

Letztlich entscheide auch nicht mehr  die Politik darüber, welche digitalen Anwendungen in der Patientenversorgung  eine Rolle spielen werden, befürchtet Dr. Andreas Meusch,
Direktor des Wissenschaftlichen  Instituts für Nutzen und Effizienz im Gesundheitswesen (WINEG) der Techniker  Krankenkasse, „sondern die Menschen machen es einfach." Die Gefahr dabei:  Am Schluss bestimmen die Firmen im Silicon Valley die Richtung", so  Meusch, „und nicht mehr Berlin".

Ärzte bleiben misstrauisch

Auf Seiten der Leistungserbringer  indessen fehle oft das Interesse an der stürmischen Entwicklung auf dem Markt  der digitalen Versorgungsangebote. Ärzte seien traditionell misstrauisch  gegenüber der längst gar nicht mehr so neuen digitalen Technik in ihren Praxen.  Das sagte der niedergelassene Dermatologe und Präsident des Berufsverbandes der  Deutschen Dermatologen, Dr. Klaus Strömer aus Mönchengladbach, in seinem  Vortrag. Er stellte das Projekt der digitalen Sprechstunde für  Hautarztpatienten vor, das sein Verband und die Techniker Krankenkasse auf die  Beine gestellt haben:

Für  eine Online-Konsultation beim Hautarzt erhält der Patient einen Code. Damit  kann er bei www.patientus.de eine 6-stellige  TAN abrufen, mit der er sich dann – ebenfalls über die patientus-Homepage – in die  virtuelle Sprechstunde seines Hautarztes einwählen kann.

 
Wir Ärzte sind eben Gralshüter, wir sind rückwärtsorientierte Bewahrer, Sicherheitsfanatiker und Qualitätsfetischisten. Dr. Klaus Strömer
 

Über  die Webcam an seinem Computer kann der Patient dem Arzt nun seine  Hauterkrankung zeigen. „Das System ist natürlich nur bei Bestandspatienten und  nur bei bestimmten Anlässen einsetzbar, zum Beispiel bei der Überprüfung einer  Wundheilung", sagte Strömer. Die virtuelle Sprechstunde findet über eine  Peer-to-Peer-Verbindung statt, am Ende wird die Konsultation vollständig  gelöscht.

Das Angebot werde von den Patienten  gut angenommen, so Strömer. Aber die Ärzte seien schwer zu überzeugen. „Wir Ärzte sind eben Gralshüter,  wir sind rückwärtsorientierte Bewahrer, Sicherheitsfanatiker und  Qualitätsfetischisten", erklärte Strömer die Haltung seiner  Kolleginnen und Kollegen. Als durchschnittlich 53 Jahre alte „digital  immigrants" bewegen sich Ärzte nur ganz langsam in die digitale Welt  hinein. „Ihr Argument: Warum soll ich eine Videosprechstunde anbieten, der  Laden läuft doch?"

 
42 Prozent der Kollegen haben Interesse an der Online-Sprechstunde, wenn sie privat abgerechnet werden kann. Dr. Klaus Strömer
 

Doch  139 von über 200 Studien belegen, dass Telemedizin in der Dermatologie gut  funktioniert. Wenn die Ärzte erst verstanden hätten, wie sehr das stimme, würden  sie sie nicht mehr missen wollen, meinte Strömer.

Private Abrechnung könnte Akzeptanz steigern

Eine Umfrage des  Hautärzteverbandes hat zudem ergeben, dass auch ein ordentliches Honorar der  Akzeptanz auf die Sprünge hilft. „42 Prozent der Kollegen haben Interesse an der Online-Sprechstunde,  wenn sie privat abgerechnet werden kann", berichtete Strömer, „nur  13 Prozent, wenn sie als gesetzliche Kassenleistung bezahlt wird."

Klaus Rupp, Leiter des Fachbereichs Versorgungsmanagement der  Techniker Krankenkasse, ist offenbar überzeugt, dass Innovationen wie die  Hautarzt-Onlinesprechstunde den Patientenbedürfnissen entspricht und helfen  kann, die Lücke zwischen konservativen Ärzten und der stürmischen Entwicklung  der digitalen Versorgungsangebote zu schließen. „Selektivverträge wie der mit  den Hautärzten können Innovationen ins System bringen!"

 

REFERENZEN:

1. 12. Nationale  Branchenkonferenz Gesundheitswirtschaft 2016, 13. bis 14. Juli 2016,  Rostock-Warnemünde

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....