Posttraumatische Belastungsstörungen bei Notfallsanitätern: Grübler sind gefährdeter

Petra Plaum

Interessenkonflikte

29. Juli 2016

Amokläufe und terroristische Anschläge belasten Notärzte und Sanitäter, die am Tatort zugange sind, erheblich. Doch nur ein Teil von ihnen entwickelt nach solchen Ereignissen Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) oder Depressionen. Ein britisch-deutsches Autorinnenteam hat in einer prospektiven, im Journal Psychological Medicine publizierten Studie untersucht, welche Notfallsanitäter in Ausbildung am wahrscheinlichsten erkranken: Es sind jene, die zum Grübeln neigen [1]. Für die Prävention wichtig: „Teilnehmer mit einem erhöhten Risiko für Episoden der PTBS oder für Depressionen könnten schon in der ersten Woche der Ausbildung zum Paramedic identifiziert werden“, schreibt das Autorenteam um Prof. Dr. Anke Ehlers und Dr. Jennifer Wild von der Abteilung für experimentelle Psychologie der Universität Oxford.

„Wir wussten aus früheren Studien, dass Grübeln über traumatische Erlebnisse PTBS nach Unfällen und Gewalttaten vorhersagt“,erklärt Ehlers, Professorin für experimentelle Psychopathologie und Co-Director des Oxford Zentrums für Angststörungen und Trauma, gegenüber Medscape. Sie ergänzt: „Wir konnten in der Studie bestätigen, dass auch eine Tendenz zum Grübeln vor einem Trauma Vorhersagewert hat." Überraschend sei aber gewesen, dass die Anzahl der traumatischen Erlebnisse keinen Vorhersagewert für die PTBS besaß – wohl aber für Depressionen.

Keine Patentrezepte, aber hilfreiche Vorschläge gegen unproduktives Grübeln

Prof. Dr. Jürgen Margraf

Prof. Dr. Jürgen Margraf, Alexander-von-Humboldt-Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie sowie Leiter der Fakultät für Psychologie der Ruhr-Universität Bochum, findet das Studienergebnis überzeugend. Er weist zwar darauf hin, dass der britische Paramediceine andere Ausbildung und teilweise andere Aufgaben als der deutsche Notfallsanitäter hat. „Ich gehe aber trotzdem davon aus, dass die Ergebnisse dieser Studie auf das deutsche Gesundheitssystem und auf andere Berufe, wie den des Notarztes, übertragbar sind.“

Margraf arbeitet vor allem den Zusammenhang zwischen Grübeln, PTBS und Depressionen heraus. „Mit unproduktivem Grübeln ist gemeint, dass ein Mensch ständig denkt: Hätte ich doch nur … Oder: Das darf doch nicht sein! Oder auch: Ich bin schuld – obwohl objektiv keine Schuld feststellbar ist.“ Alles auf Situationen bezogen, die sich nicht mehr ändern lassen. „Manchmal kommen Übergeneralisierungen dazu, wie: Die ganze Welt ist unsicher. Oder auch: Ich bin immer ein Opfer.“ Es gibt aber Übungen, die helfen, diesen Gedankenspiralen zu entkommen.

Wir konnten in der Studie bestätigen, dass auch eine Tendenz zum Grübeln vor einem Trauma Vorhersagewert hat. Prof. Dr. Anke Ehlers

Nach Unfallszenen, Tatort-Terminen und dramatischen, erfolglosen Rettungsversuchen kann es sinnvoll sein, die Erinnerungen nicht etwa zu unterdrücken, sondern hervorkommen und an sich vorüberziehen zu lassen, schlägt Margraf vor. Ansonsten müsse jeder herausfinden, welche Handlungen ihm individuell gut tun. Patentrezepte gibt es nicht. „Die einen weinen, die anderen reden, manche hören Musik, gehen spazieren oder verausgaben sich beim Sport.“ Arbeitgeber tun gut daran, traumatisierte Mitarbeiter auf dem jeweils gewählten Weg zu unterstützen.

Wie können Ärzte und Kollegen helfen?

„Durch intensive Forschung wissen wir heute viel über psychische Folgen von traumatischen Erlebnissen und ihre Behandlung“, erklärt Ehlers. „Hingegen ist wenig darüber bekannt, ob wir Menschen durch gezielte Trainingsprogramme davor schützen können, PTBS oder Depressionen nach traumatischen Erlebnissen zu entwickeln. Wie wissen zwar, dass eine Vorgeschichte psychischer Störungen und frühere traumatische Erlebnisse diese Reaktionen begünstigen, nur hilft uns das nichts bei der Prävention.“

Die einen weinen, die anderen reden, manche hören Musik, gehen spazieren oder verausgaben sich beim Sport. Prof. Dr. Jürgen Margraf

Ziel der aktuellen Studie sei daher gewesen, modifizierbare Prädiktoren zu identifizieren. „Die wichtigsten Prädiktoren dafür, eine Störung während der Berufsausbildung zum Notfallsanitäter zu entwickeln, waren nach unseren Ergebnissen eine Neigung zum Grübeln und ein geringes Selbstvertrauen darin, mit Belastungen umgehen zu können“, berichtet Ehlers.

Demographische Faktoren haben der Studie zufolge keinen Einfluss darauf, wie wahrscheinlich ein Sanitäter PTBS oder eine Depression bekommt. Aber wer schon einmal unter einer psychischen Störung gelitten hatte, dessen Risiko für PTBS oder Depressionen steigt um das 2- bis 6-fache, verdeutlicht die Studie in Übereinstimmung mit früheren Ergebnissen. Weitere Risikofaktoren waren ein hoher Grad an Neurotizismus oder Dissoziation und ein Mangel an Unterstützung im sozialen Umfeld.

Soziale Unterstützung bei der Arbeit ist auch ein Schutzfaktor. Prof. Dr. Anke Ehlers

„Soziale Unterstützung bei der Arbeit ist auch ein Schutzfaktor", bestätigt Ehlers. Rückhalt durch die Kollegen wirkt offenbar stabilisierend. Auch Chefarzt oder Klinikleitung können viel tun, um Notfallsanitätern und Notärzten den Rücken zu stärken und somit PTBS und Depressionen vorzubeugen. „Hier ist wichtig, dass die Unterstützung auch von den Betroffenen so erlebt wird“, merkt Ehlers an, „also wäre es sinnvoll, zu fragen, welche Form der Unterstützung gewünscht wird.“

Früher sei oft für alle nach belastenden Einsätzen das sogenannte Debriefing eingesetzt worden, wobei die Betroffenen aufgefordert wurden, ihre Gefühle zum Geschehenen kurz danach einmal detailliert zu verbalisieren. „Dies hat sich aber nicht als wirksam erwiesen“, berichtet Ehlers.

"Man muss nicht jeden nach jedem traumatischen Erlebnis prophylaktisch zum Psychologen schicken. Prof. Dr. Jürgen Margraf

„Man muss nicht jeden nach jedem traumatischen Erlebnis prophylaktisch zum Psychologen schicken“, warnt Margraf. „Nur, wer zunehmend leidet, oder bei wem die Symptome nach etwa sechs Wochen nicht vorüber sind, der sollte professionelle Hilfe suchen, etwa in Form einer kognitiven Verhaltenstherapie.“

Wenn ein Mensch nun einen Medizinberuf anstrebt, aber aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur und Erfahrungen zu PTBS und Depressionen neigt – wie kann er selbst sich, können seine Arbeitgeber ihn schützen? Dazu werden Wild, Ehlers und ihre Kolleginnen weiter forschen. „Es lässt sich nicht vermeiden, dass Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter schlimme Situationen erleben“, hebt Ehlers hervor, „aber es gilt nun zu prüfen, ob gezielte Trainingsprogramme zur Veränderung von Denkmustern dazu beitragen können, die psychische Widerstandskraft gegen Extrembelastung zu erhöhen.“

Das Studiendesign der britischen Studie: Von Anfang an mit Fragebogen eingedeckt

Drei Ziele hatte das Autorenteam aus Oxford:

  • prospektiv zu ermitteln, ob neue Berufseinsteiger in der Ausbildung zum Paramedic ein erhöhtes Risiko dafür aufweisen, Episoden der PTBS oder Major Depression (MD) zu entwickeln,

  • zu untersuchen, ob PTBS- oder MD-Episoden ein vermindertes Wohlbefinden nach 2 Jahren voraussagen lassen und

  • Variablen zu identifizieren, die man vor einer traumatischen Erfahrung beurteilen kann und anhand derer prognostiziert werden kann, wer eine PTBS- oder MD-Episode entwickeln wird, um Ansatzpunkte für ein Resilienztraining zu identifizieren.

Die Studienteilnehmer waren 453 angehende Paramedics, die im London Ambulance Service ab 2011 ihre Berufsausbildung begannen (davon 58,3% Männer, Durchschnittsalter 30,3 Jahre). 41,5% aller Teilnehmer berichteten, dass sie zuvor schon einmal unter einer psychischen Störung gelitten hatten, darunter 24,7% an MD und 15,0% an PTBS. Im Laufe des 2-jährigen Untersuchungszeitraums schieden 67 Teilnehmer aus der Studie aus.

In der ersten Ausbildungswoche und danach alle 4 Monate beantworteten die Teilnehmer die Fragen auf einer erweiterten Version der Life Events Checklist. Mithilfe dieser Liste wird herausgearbeitet, mit wie vielen traumatischen Erlebnissen ein Mensch zuvor konfrontiert wurde bzw. gerade konfrontiert wird. Zusatzfragen widmeten sich belastenden Situationen, die bei Notfalleinsätzen auftreten können, z. B. „Zeuge eines Suizids werden“ oder „von jemandem mit einer Waffe bedroht werden.“ Um Denkstile, Persönlichkeit, Resilienz etc. zu ermitteln, bekamen die Teilnehmer weitere Fragebögen vorgelegt. Mit der Crisis Support Scale wurde zudem ermittelt, wie viel sozialen Rückhalt jeder hatte. In den Folgebefragungen ging es um traumatische Erlebnisse im Beruf.

„Von den 386 Teilnehmern, die am Follow-up teilnahmen, entwickelten 8,3% (32) eine PTBS- und 10,6% (41) eine Major-Depression-Episode zu irgendeinem Zeitpunkt während des Untersuchungszeitraums“, lautet ein Kernergebnis der Studie. „Doch in allen außer neun Fällen (2,3%) waren diese Reaktionen nur kurzzeitige Episoden und bis zum nächsten Assessment vier Monate später vollständig abgeklungen.“

Dennoch zeigten jene Teilnehmer, die PTBS und MD überwunden hatten, am Ende niedrigere Werte in Bezug auf ihre Lebensqualität, klagten vermehrt über Schlafprobleme und hatten mehr Tage im Krankenstand verbracht als Kollegen ohne PTBS und MD. Und: „Diejenigen mit einer PTBS-Episode berichteten auch von einer größeren Gewichtszunahme“, ergänzen die Autorinnen.

REFERENZEN:

1. Wild J, et al: Psychol Med (online) 28. Juni 2016

Kommentar

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