Sexuellen Störungen bei Typ-2-Diabetes vorbeugen: Mediterrane Kost deutlich effektiver als Kalorienrestriktion?

Simone Reisdorf

Interessenkonflikte

28. Juli 2016

Ernähren sich Menschen mit neu diagnostiziertem Typ-2-Diabetes von Anfang an hypokalorisch und mediterran, so haben sie – neben anderen Vorteilen – gute Chancen, eine eventuelle sexuelle Dysfunktion hinauszuzögern oder zu vermeiden. Der Effekt ist deutlicher als bei einer fettarmen Ernährung. Das besagt jedenfalls eine Post-hoc-Analyse der MEditerranean DIet and Type 2 diAbetes (MÉDITA) Studie [1].

Dr. Alfred Pauls

Zu der Frage nach möglichen Wirkmechanismen erklärt Dr. Alfred Pauls vom Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin der Charité Berlin gegenüber Medscape: „Wenn ein solcher Effekt der mediterranen Ernährung tatsächlich nachweisbar ist, so geht er wohl in Teilen auf die Verbesserung des kardiovaskulären und endothelialen Status, der Durchblutung und des Zustands der peripheren Nerven bei den Patienten zurück.“ Und weiter: „In Verbindung mit ausreichender Bewegung ist eine vernünftige Ernährung mit hohem Faser- und begrenzten Kohlenhydratanteil geeignet, das Verhältnis von Muskelmasse zu Körperfett zu verbessern. Dadurch wird die Stoffwechsellage günstig beeinflusst, wahrscheinlich einschließlich der gegenwärtig viel diskutierten mit der Adipositas assoziierten Inflammation.“

Auch direkte Effekte einiger Nahrungsbestandteile wie einfach ungesättigter Fettsäuren und Polyphenole seien denkbar; „das ist aber noch zu wenig untersucht; hier ist es derzeit noch schwierig, Mythos von Wissenschaft zu unterscheiden“, so Pauls.

 
Wenn ein Effekt von mediterraner Ernährung tatsächlich nachweisbar ist, so geht er wohl in Teilen auf die Verbesserung des kardiovaskulären und endothelialen Status, … und des Zustands der peripheren Nerven zurück. Dr. Alfred Pauls
 

Er ist insgesamt eher skeptisch, was die in „Diabetes Care“ auf nur zwei Seiten publizierte retrospektive Studie zur Sexualität angeht: „Es fehlen Angaben zum Gefäßstatus, zu Körpergewicht, Blutzuckereinstellung, Blutdruck, Psyche und Raucherstatus der Patienten über die Beobachtungszeit sowie zu weiteren Einflussfaktoren auf die sexuelle Funktion.“

Vorhandener Datenpool retrospektiv ausgewertet

Sexualität war ursprünglich gar nicht das Thema der MÉDITA-Studie. Vielmehr ging es darum, mit einer konsequent hypokalorischen Diät möglichst lange die Notwendigkeit einer medikamentösen Diabetestherapie hinauszuzögern. Diese Diät war entweder „mediterran“ oder fettarm. Die insgesamt 215 Studienteilnehmer waren neu diagnostizierte Typ-2-Diabetiker; sie waren zu Beginn durchschnittlich 52 Jahre alt.

Der primäre Endpunkt – die Notwendigkeit, nun doch eine medikamentöse Diabetestherapie zu starten – wurde trotz aller Anstrengung auch vom letzten Patienten bereits nach 4 Jahren erreicht. Alle Patienten wurden jedoch nach Eintritt des Endpunkts eingeladen, weiterhin in der Studie zu verbleiben.

Derzeit liegen bereits Daten aus einer etwas mehr als 8-jährigen Beobachtungsdauer vor. Die an der Studie beteiligte Endokrinologin Dr. Maria Ida Maioirino von der Second University Neapel, Italien, sichtete diese Daten unter dem Blickwinkel von Eintritt oder Verschlechterung einer erektilen Dysfunktion (ED) oder einer weiblichen sexuellen Dysfunktion (FSD) in den beiden Studienarmen.

Nur halb so oft neue sexuelle Funktionsstörungen

Das erstaunliche Ergebnis: Sowohl die Inzidenz von ED als auch von FSD war in der Gruppe mit Mittelmeerdiät jeweils um relative 56% reduziert. Der kombinierte Endpunkt aus Eintritt oder Verschlechterung einer ED kam in der Gruppe mit mediterraner Ernährung sogar um 59% seltener vor. Eintritt oder Verschlechterung einer FSD waren mit der Mittelmeerdiät vs. Low-Fat-Diät halbiert. Alle Unterschiede waren signifikant zugunsten der Mittelmeerkost.

Wie lange und wie genau wurden Lebensstilmaßnahmen eingehalten?

 
Es fehlen Angaben zum Gefäßstatus, zu Körpergewicht, Blutzuckereinstellung, Blutdruck, Psyche und Raucherstatus der Patienten … sowie zu weiteren Einflussfaktoren auf die sexuelle Funktion. Dr. Alfred Pauls
 

Die Kalorienrestriktion in der Studie war nicht ohne: Für Frauen lag das Tagesziel bei 1.500 Kilokalorien, Männer durften bis zu 1.800 Kilokalorien pro Tag zu sich nehmen. Die Teilnehmer wurden dazu auf zwei Diätformen randomisiert; zusätzlich sollten sie sich mindestens 175 Minuten pro Woche moderat bis intensiv sportlich betätigen.

Den Patienten im ersten Studienarm wurde eine mediterrane Diät verordnet. Sie sollte reich an Gemüse, Vollkornprodukten, Geflügel und Fisch sein und wenig rotes Fleisch enthalten. Kohlenhydrate sollten maximal 50% der Energie ausmachen und Fette (vor allem Olivenöl) mindestens 30%.

Bei der Low-Fat-Diät dagegen kam es vor allem auf die Lipidrestriktion an; nicht mehr als 30% der Kalorien sollten aus Fetten kommen, davon höchstens 10% aus gesättigten Fetten. Auch in der Low-Fat-Gruppe waren Vollkornprodukte ein wichtiger Bestandteil der Diät.

Pauls meldet indes Zweifel an, ob es möglich ist, die Patienten über 8 Jahre zur Einhaltung einer so klar strukturierten und vor allem kalorienarmen Ernährungsform zu motivieren: „Es ist nicht bekannt, wie eng sich die Studienteilnehmer über all die Zeit an die Vorgaben gehalten haben.“

Altersgruppe 50+ für Studien zur sexuellen (Dys-)Funktion prinzipiell gut geeignet

 
Die Ergebnisse der vorliegenden retrospektiven Studie sind vielversprechend, ich würde sie aber gern erst einmal dupliziert sehen. Dr. Alfred Pauls
 

Sexuelle Dysfunktion ist bei Männern und Frauen mit Diabetes auf lange Sicht eine häufige Komplikation; nachweisen lässt sich dies insbesondere für die ED. Die Typ-2-Diabetiker in der MÉDITA-Studie waren zum Zeitpunkt der nun veröffentlichten Auswertung um die 60 Jahre alt.

Laut Pauls ist diese Patienten- und Altersgruppe grundsätzlich geeignet zur Untersuchung beginnender sexueller Dysfunktion: „Es kommt zwar auch bei jüngeren Menschen, etwa mit Typ-1-Diabetes, zu metabolischen und gefäßbezogenen Belastungen. Diese werden aber noch leichter ausgeglichen. Bei der Generation 50+ dagegen haben Stoffwechsel-, Gefäß- und Nervenschäden viel eher auch klinisch bedeutsame Auswirkungen wie eben eine sexuelle Funktionsstörung.“

Somit könnten weitere Studien dieser Art mit detaillierteren Angaben zu den Patienten­charakteristika und einer engmaschigen Kontrolle der Lebensstilmaßnahmen durchaus dazu beitragen, ein „Rezept“ gegen die sexuelle Dysfunktion bei Menschen mit Typ-2-Diabetes und/oder kardiovaskulären Erkrankungen zu finden.

„Die Ergebnisse der vorliegenden retrospektiven Studie sind vielversprechend, ich würde sie aber gern erst einmal dupliziert sehen“, merkt Pauls kritisch an. „Belastbare Daten wären hilfreich, denn dann könnten wir die Patienten mit konkreten Ernährungsvorschlägen und der Aussicht auf bessere sexuelle Zufriedenheit womöglich leichter als bisher zu einem gesunden Lebensstil motivieren“, so sein Fazit.

 

REFERENZEN:

1. Maiorino MI, et al: Diabetes Care Online, 28. Juni 2016

 

Kommentar

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