Kinder und Jugendliche mit Typ-1-Diabetes: Nächtliche Hypoglykämien nach Sport häufig – wie lassen sie sich vermeiden?

Simone Reisdorf

Interessenkonflikte

22. Juli 2016

Eine Studie an 3 Schweizer Diabeteszentren mit 51 Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes hat eine erhöhte Rate nächtlicher Hypoglykämien festgestellt, wenn sich die jungen Patienten tagsüber moderat oder intensiv bewegt hatten [1]. Dies galt insbesondere dann, wenn der Blutzuckerwert schon beim Einschlafen niedrig war. Die meisten Hypoglykämien wurden erst durch die in der Studie eingesetzte kontinuierliche Glukosemessung (CGM) bemerkt.

Prof. Dr. Thomas Danne

Dies sollte aber nicht als eine Empfehlung gegen körperliche Bewegung missverstanden werden, betont Prof. Dr. Thomas Danne, Chefarzt im Kinderkrankenhaus auf der Bult, Hannover, im Gespräch mit Medscape. Denn durch Schulung, moderne Technologie und eine Anpassung der abendlichen Basalinsulindosis und/oder Ernährung können nächtliche Unterzuckerungen vermieden werden: „Viele Hochleistungssportler mit Typ-1-Diabetes zeigen, dass sich selbst intensivste körperliche Bewegung mit einer guten Diabeteseinstellung vereinbaren lässt“, so der Kinderdiabetologe und frühere Vorstandsvorsitzende von diabetesDE.

Nächtliche Hypoglykämien nach Sport waren „dosisabhängig“

Die Studienteilnehmer waren 2 bis 17 Jahre alt und hatten einen durchschnittlichen HbA1c-Wert von 8,1%. Nur 15 von ihnen waren Pumpenträger, die übrigen wurden mittels intensivierter konventioneller Insulintherapie (ICT) behandelt. Für die Studie trugen alle Patienten 6 Tage lang ein CGM-Gerät und erfassten ihre Bewegung mit Hilfe eines Akzelerometers.

In den 6 Nächten des Beobachtungszeitraums traten bei den 51 Kindern insgesamt 128 Hypoglykämien mit Werten unter 67 mg/dl (3,7 mmol/l) auf, nur 8 davon waren symptomatisch. Jeweils ein Drittel der Episoden dauerte weniger als 1 Stunde, 1 bis 3 Stunden oder länger als 3 Stunden.

Der Zusammenhang zwischen nächtlichen „Hypos“ und Sport war eindeutig: Wer tagsüber moderat körperlich aktiv war, hatte ein um 58% erhöhtes nächtliches Unterzuckerungsrisiko. Wer sich intensiv sportlich betätigte, dessen Risiko war um 82% erhöht.

Alter, Insulindosis und Behandlungstyp der Kinder und Jugendlichen spielten dabei keine Rolle, ein niedriger Blutzuckerspiegel am Abend aber schon: Wer beim Schlafengehen Werte unter 108 mg/dl (6mmol/l) aufwies, hatte ein 2,5-fach höheres Risiko für nächtliche Hypoglykämien.

 
Viele Hochleistungssportler mit Typ-1-Diabetes zeigen, dass sich selbst intensivste körperliche Bewegung mit einer guten Diabeteseinstellung vereinbaren lässt. Prof. Dr. Thomas Danne
 

Drei Gründe für die späte Unterzuckerung

Warum traten aber so viele Hypoglykämien gerade in der Nacht auf, viele Stunden nach dem Sport? Danne erläutert dazu auf Nachfrage von Medscape: „Beim Sport wird nicht nur direkt Glukose verbraucht, sondern es werden auch die Glykogenspeicher geleert. Sie werden erst in der nächtlichen Ruhephase wieder aufgefüllt, das führt zu einem weiteren Absinken des Glukosespiegels.“

Dazu kommt langfristig eine durchaus wünschenswerte Steigerung der Insulinsensitivität durch die körperliche Bewegung: Wer sich sportlich betätigt, erzielt mit derselben Insulindosis mehr Wirkung.

Drei wirksame Gegenmaßnahmen

Die nächtlichen Hypoglykämien lassen sich jedoch verhindern: „Zu jeder Diabetesschulung, gerade auch bei Kindern und Jugendlichen, gehört der Hinweis auf den Zusammenhang von körperlicher Bewegung, Absinken des Blutzuckerspiegels und Steigerung der Insulinempfindlichkeit“, so Danne.

Der Diabetesexperte erinnert an 3 einfache Gegenmaßnahmen, um nächtliche Hypoglykämien nach Sport zu vermeiden:

  • häufige (besonders nach dem Sport) oder regelmäßige Blutzuckermessung,

  • bei niedrigen Werten: Anpassung der Basalinsulindosis am Abend und

  • abendlicher Verzehr langsam freiwerdender Kohlenhydrate wie etwa Vollkornbrot.

Mehr CGM bei Menschen mit Typ-1-Diabetes

 
Zu jeder Diabetesschulung, gerade auch bei Kindern und Jugendlichen, gehört der Hinweis auf den Zusammenhang von körperlicher Bewegung, Absinken des Blutzuckerspiegels und Steigerung der Insulinempfindlichkeit. Prof. Dr. Thomas Danne
 

Das klingt einfach. Die Studie zeigt jedoch, dass es mit der Umsetzung wohl oftmals noch hapert. Danne spricht sich deshalb für einen breiteren Einsatz von CGM aus. „Während in den USA bereits jeder dritte Patient mit Typ-1-Diabetes die kontinuierliche Messung nutzt, sind es in Deutschland bislang nur etwa fünf Prozent. Nach der Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschusses ist es nun möglich, bei Problemen mit der Glukosekontrolle ein CGM als Kassenleistung zu erhalten.“

Darüber hinaus kann eine Messung der sportlichen Aktivität – wenn nicht mit einem technisch ausgefeilten Akzelerometer, dann vielleicht mit einem handelsüblichen Fitnessarmband – den Patienten erste Anhaltspunkte geben, wie aktiv sie waren und wann sie besonders auf ihren Blutzuckerspiegel achten müssen, so Danne.

Ein System, das eine künstliche Bauchspeicheldrüse mit einem Bewegungsmesser verbindet, lässt zwar noch auf sich warten. Danne ist jedoch grundsätzlich optimistisch: „Ich glaube, dass die Medizintechnologie künftig die Diabeteseinstellung einfacher machen wird.“

 

REFERENZEN:

1. Bachmann S, et al: Diabetes Care 2016;39:e95-e96

 

Kommentar

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