Die Verordnung Cannabis-haltiger Arzneien soll für Ärzte und Patienten künftig leichter werden. Dazu plant das Bundesgesundheitsministerium (BGM) eine Gesetzesänderung, über die der Bundestag Anfang Juli in erster Lesung beraten hat. „Wir wollen, dass für Schwerkranke die Kosten für Cannabis als Medizin von ihrer Krankenkasse übernommen werden, wenn ihnen nicht anders geholfen werden kann“, wird Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe in einer Pressemitteilung zitiert [1].
Darüber hinaus wolle man eine Begleiterhebung auf den Weg bringen, um den medizinischen Nutzen von Cannabis genau zu erfassen. Eine zweite Lesung im Bundestag ist für den Herbst geplant. Inkrafttreten wird das neue Gesetz wahrscheinlich Anfang des kommenden Jahres. Eine Zustimmung des Bundesrats ist nicht erforderlich.
„Wem Cannabis wirklich hilft, der soll Cannabis auch bekommen können, in qualitätsgesicherter Form und mit einer Übernahme der Kosten durch die Krankenkassen“, sagt die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler. Im Interesse der Patienten appelliere sie an alle Beteiligten, den Gesetzentwurf jetzt sachlich und zielorientiert zu diskutieren und ihn schnell zu verabschieden. „Bei allem ist mir aber eines wichtig: Cannabis als Medizin – ja, Cannabis zum Freizeitkonsum – nein“, betont Mortler. Selbst die besten Arzneimittel seien keine geeigneten Genussmittel.

Dr. Franjo Grotenhermen
Deutschland könnte eine Vorbildrolle einnehmen
„Deutschland würde mit dieser Gesetzesänderung, was die Versorgung von Patienten mit Cannabis-haltigen Medikamenten betrifft, neben Kanada, Israel und den Niederlanden zu den führenden Ländern der Welt gehören und könnte ein Vorbild für andere europäische Länder werden“, sagt Dr. Franjo Grotenhermen von der Internationalen Arbeitsgemeinschaft für Cannabinoidmedikamente (IACM), der in der nordrhein-westfälischen Stadt Rüthen eine privatärztliche Praxis betreibt, im Gespräch mit Medscape.
Derzeit gibt es in Deutschland nur ein Fertigarzneimittel auf Cannabis-Basis, für das die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten übernehmen. Dazu muss es Patienten verordnet werden, die an mittelschwerer bis schwerer Spastik aufgrund einer Multiplen Sklerose (MS) leiden und die nicht auf andere Medikamente angesprochen haben. Zudem müsse sich während eines Anfangstherapieversuchs eine erhebliche Verbesserung der Symptome zeigen, die mit der Spastik verbundenen seien, heißt es auf den Internetseiten der Bundesopiumstelle, die dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) unterstellt ist.
Bisher müssen Patienten Cannabis-Präparate fast immer selbst bezahlen
Bei dem Präparat gegen MS-bedingte Spastik handelt es sich um das Mittel Sativex®, das seit dem Jahr 2011 in Deutschland zugelassen und in Apotheken erhältlich ist. Das Spray enthält neben den beiden Hauptwirkstoffen von Cannabis, Delta-9-Tetrahydrocannabinol und Cannabidiol, noch weitere Substanzen der Cannabis-Pflanze. Ärzte können das Add-on-Präparat auf einem Betäubungsmittelrezept (BtM-Rezept) verschreiben. Grundsätzlich dürfen sie es auch gegen andere Beschwerden verordnen. Allerdings müssen die Patienten das Mittel dann bisher in aller Regel selbst bezahlen.
Neben Sativex® sind hierzulande noch zwei weitere auf BtM-Rezept verschreibungsfähige Arzneimittel auf Cannabis-Basis erhältlich: Nabilon und Dronabinol. Für beide Präparate übernehmen die Kassen bislang aber nur in sehr wenigen Ausnahmefällen die Kosten. Nabilon ist ein vollsynthetisch hergestelltes Derivat des Tetrahydrocannabinol. Es ist in Deutschland zwar seit 2015 zugelassen, wird bisher aber nicht vermarktet. Da Nabilon-haltige Fertigarzneimittel auch in anderen Ländern zugelassen sind, können sie über deutsche Apotheken aus dem Ausland importiert werden. Allerdings sind sie deutlich teurer als Dronabinol.
Bei dem seit 1998 in Deutschland erhältlichen Dronabinol handelt es sich um den internationalen Freinamen für Delta-9-Tetrahydrocannabinol, das aus der Pflanze extrahiert oder synthetisch hergestellt werden kann. Das Präparat wird in der Apotheke als Rezepturarzneimittel individuell für die Patienten hergestellt, meist als Kapsel oder Tropflösung. Darüber hinaus kann das unter anderem in den USA zugelassene Dronabinol-haltige Fertigarzneimittel Marinol® auf einem BtM-Rezept verschrieben und über deutsche Apotheken bezogen werden.
„Preisgünstiger für die Patienten sind allerdings Cannabis-Blüten, die ebenfalls in der Apotheke erhältlich sind“, sagt Grotenhermen. Die Rechtslage ist hier jedoch derzeit noch eine andere: Blüten können nicht verschrieben werden, sondern der Patient selbst muss gemeinsam mit seinem Arzt beim BfArM eine sogenannte „Ausnahmeerlaubnis zum Erwerb von Cannabis zur Anwendung im Rahmen einer medizinisch betreuten und begleiteten Selbsttherapie“ beantragen. Derzeit sind knapp 800 Patienten in Deutschland im Besitz einer solchen Ausnahmeerlaubnis – die mit der geplanten Gesetzesänderung wegfallen könnte. „Dann dürften Ärzte auch Cannabis-Blüten verschreiben“, sagt Grotenhermen.
Wo Cannabis-Präparate helfen können
Die Beschwerden, bei denen die Wirkstoffe der Hanfpflanze helfen, sind vielfältig. „Gut dokumentiert und nachgewiesen ist die Wirksamkeit von Cannabis bei MS-bedingter Spastik, bei chronischen neuropathischen Schmerzen, bei Übelkeit und Erbrechen, die beispielsweise durch eine Chemotherapie hervorgerufen worden sind, sowie bei Appetitlosigkeit, etwa in Folge von Aids“, sagt Grotenhermen. In seiner Praxis behandle er fünf große Krankheitsgruppen oft erfolgreich mit Hanfpräparaten:
1. Schmerzerkrankungen unterschiedlichster Art, unter anderem auch Migräne
2. Chronisch entzündliche Erkrankungen wie beispielsweise Morbus Crohn oder Rheuma
3. Neurologische Erkrankungen wie MS, Epilepsie oder das Tourette-Syndrom
4. Übelkeit und/oder Appetitlosigkeit
5. Erkrankungen wie eine posttraumatische Belastungsstörung, Depressionen oder ADHS
Allerdings müsse man bei Patienten mit einem Risiko für Psychosen besondere Vorsicht walten lassen, sagt Grotenhermen. Das Gleiche gelte für Patienten mit Vorerkrankungen am Herzen.
Das Finden der optimalen Dosis ist nicht schwer
Der Mediziner glaubt, dass viele seiner Kollegen gar nicht wüssten, dass sie ihren Patienten Cannabis-haltige Präparate verschreiben dürfen. „Darüber hinaus herrscht bei vielen Unsicherheit bezüglich der Dosierung dieser Arzneimittel“, sagt Grotenhermen. Dabei sei das Finden der richtigen Dosis eigentlich ganz leicht: „Man fängt mit einer sehr niedrigen Dosis an und steigert diese so lange, bis die gewünschten Erfolge eintreten – oder aber die Nebenwirkungen zu stark werden.“
Zu den häufigsten Nebenwirkungen von Cannabis-Präparaten zählen Müdigkeit, Schwindel, Mundtrockenheit und Herz-Kreislauf-Probleme. Auch das Führen von Fahrzeugen kann beeinträchtigt sein. „Langfristig werden diese Arzneimittel aber sehr gut vertragen“, sagt Grotenhermen. Zugleich warnt der Mediziner vor zu hohen Erwartungen. „Bei vielen Patienten treten die Nebenwirkungen eher als die gewünschten Effekte ein“, sagt er. Das sieht selbst der Deutsche Hanfverband ähnlich, der sich seit vielen Jahren für die Legalisierung von Cannabis einsetzt: „Cannabis ist kein Wundermittel und hilft nicht allen Patienten!“, heißt es auf den Internetseiten des Verbandes.
Cannabis-Anbau unter staatlicher Kontrolle
Um weitere Erkenntnisse über die Wirkungen von Cannabis zu gewinnen, plant das BGM, dass Ärzte die ohnehin vorliegenden Daten – zum Beispiel zur Diagnose, Therapie, Dosis und Nebenwirkungen – anonymisiert an das BfArM übermitteln müssen. Mit dieser Erhebung sollen auch Informationen zum langfristigen Gebrauch von Cannabis zu medizinischen Zwecken gesammelt werden.
Künftig soll in Deutschland zudem ein staatlich überwachter Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken erfolgen, um den hiesigen Bedarf an Cannabis-Arzneimitteln in kontrollierter Qualität zu decken. Bislang wird das Rohmaterial für diese Präparate zum größten Teil aus den Niederlanden importiert. Um das zu ändern, soll am BfArM eine staatliche Cannabisagentur eingerichtet werden. Für den Anbau von Cannabis wird diese Agentur dann Aufträge vergeben. Anschließend nimmt sie die Ernte in Besitz und sorgt dafür, dass ausschließlich Cannabis in Arzneimittelqualität an die Apotheken ausgeliefert wird.
REFERENZEN:
1. Bundesministerium für Gesundheit: Pressemitteilung, 7. Juli 2016
© 2016 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Cannabis auf Kassenrezept: Ein Gesetzentwurf soll den Weg ebenen – aber welche Medikamente gibt es überhaupt hierzulande? - Medscape - 18. Jul 2016.
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