Regenjacken und Boots, Sprays für Möbel, Wandfarben und Reinigungsmittel, schmutzabweisende Teppiche und Polster, Pappbecher und Pizzakartons: Per- und polyfluorierte Chemikalien (PFC) sind allgegenwärtig. Sie sind stabil gegenüber chemischen Einflüssen und UV-Strahlung, sie sind hitzebeständig und gleitfähig. Wegen ihrer schmutz-, fett-und wasserabweisenden Eigenschaften werden sie hochgeschätzt und stecken in vielen Verbraucherprodukten. Für Mensch und Umwelt sind sie problematisch.
Menschen nehmen PFC unter anderem über die Nahrung oder über kontaminiertes Trinkwasser auf, erklärt Lena Vierke, Chemikalien-Expertin beim Umweltbundesamt (UBA). „Eine Quelle kann das Trinkwasser sein, wenn PFC durch bestimmte Ereignisse in das Rohwasser eingetragen werden. Eine ubiquitäre Belastung des Trinkwassers besteht aber nicht“, stellt Vierke klar. Auch Textilien tragen nicht unerheblich zur PFC-Belastung bei: etwa die beliebte Outdoor-Kleidung.
Es gibt inzwischen – wenige – PFC-freie Outdoor-Jacken
Dass die schmutz- und wasserabweisende Kleidung ausgast, konnte schon eine Greenpeace-Studie Ende 2012 zeigen, in der 14 Kleidungsstücke führender Outdoor-Marken untersucht wurden. In allen untersuchten Produkten fanden sich PFC in Beschichtungen und Membranen. Ende 2013 ließ Greenpeace noch einmal 17 Outdoor-Jacken auf PFC prüfen. Wiederum fanden sich in allen Proben Fluorchemikalien. Doch die Kleidungsstücke gasen die Fluorchemikalien nicht nur aus, beim Waschen gelangen die Stoffe ins Abwasser, in die Kläranlage und so in die Umwelt. „Welches die relevantere Quelle ist, lässt aber sich nicht klar trennen“, erklärt Vierke.
Anfang 2016 ließ Greenpeace 40 Outdoor-Produkte internationaler Hersteller testen: Nur in 4 Artikeln aller getesteten Marken wurden die schädlichen Chemikalien nicht nachgewiesen. „Dies sind enttäuschende Ergebnisse für Outdoor-Liebhaber, die sich ihre Ausrüstung sauber und umweltfreundlich wünschen“, kommentiert Manfred Santen, Diplom-Chemiker und Chemie-Experte bei Greenpeace. Santen rät, im Geschäft nach PFC-freien Alternativen zu fragen. Die halten warm und trocken, sind allerdings nicht so schmutzabweisend.
Auch Vierke empfiehlt, auf PFC-freie Produkte zu achten. Im Internet kann man sich über entsprechende Labels informieren und im Zweifelsfall auf sein Auskunftsrecht als Verbraucher pochen, so die Expertin. Das UBA hat darüber hinaus ein Portal eingerichtet, über das man direkt online eine Verbraucheranfrage an den Händler stellen kann.
Wie viel nimmt man oral und dermal auf?
Es gibt über 800 unterschiedliche PFC, wobei man lang- und kurzkettige Moleküle unterscheidet. Am bekanntesten sind die langkettigen Perfluoroktansulfonsäure (PFOS) und Perfluoroktansäure (PFOA). „Einige PFC weisen besonders besorgniserregende Eigenschaften auf“, so Vierke. Das Problem: „Sie werden in der Umwelt nicht abgebaut und können sich in der Nahrung und im Organismus anreichern“, erklärt Vierke. PFC gelangen in Gewässer, Fische nehmen PFC auf, und so gelangen die Stoffe direkt in die Nahrungskette. „Der Datenlage zufolge nehmen Verbraucher PFOS über Lebensmittel hauptsächlich durch den Verzehr von Seefischen oder Süßwasserfischen auf“, ergänzt Jürgen Thier-Kundke, Sprecher des Bundesinstituts für Risikoforschung (BfR).
„Da PFOA im Körper nicht weiter verstoffwechselt wird, spielt der sogenannte First-Pass-Effekt – also die Metabolisierung bei erster Leberpassage nach gastrointestinaler Resorption – keine Rolle, so dass es irrelevant ist, ob PFOA über den oralen, dermalen oder inhalativen Aufnahmepfad in das Blut gelangt“, erklärt Thier-Kundke. In welchem Maß die verschiedenen Expositionsquellen zur inneren Exposition beitragen, hängt nur von der Höhe der äußeren Exposition ab: der PFOA-Konzentration in Lebensmitteln und der verzehrten Menge bzw. der PFOA-Menge, die aus Textilien auf die ungeschützte Haut gelangt.
Schätzungen der inneren Exposition nach dermaler Aufnahme von PFOA durch Textilien liegen bei 0,04 ng/kg Körpergewicht und Tag. Bei der Schätzung wurde allerdings vom Worst-case-Szenario ausgegangen: 1,6 m² Hautfläche des Körpers (Rumpf, Arme, Beine, Hände) haben mit dem Textil Kontakt, und es wird jeden Tag 24 Stunden getragen.
Überlegungen zur oralen Aufnahme von PFOA gehen von einer 60 kg schweren Person aus, die 1 kg belastetes Lebensmittel pro Tag verzehrt, die Exposition erfolgt über Verpackungsmaterialien wie Kunststoffe, Pappe und Papier. Laut BfR ergäbe sich als Worst case daraus eine tägliche Aufnahme von wenigen Nanogramm PFOA pro Kilogramm Körpergewicht. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat als tolerable tägliche Aufnahmemengen (TDI) für PFOS 150 ng/kg Körpergewicht pro Tag und für PFOA 1.500 ng/kg Körpergewicht pro Tag angegeben. Die geschätzten dermalen und oralen Aufnahmemengen lägen deutlich darunter.
Im Tierversuch erwiesen sich PFOS als kanzerogen und leberschädigend
„Von einigen langkettigen PFC – wie etwa PFOA – wissen wir, dass sie schädlich sind, Perfluoroktansäure beispielsweise gefährdet die Fortpflanzung“, sagt Vierke. PFC binden sich an Proteine in Blut, Leber und Niere. In Tierversuchen erwiesen sich PFOS und PFOA nach kurzzeitiger Belastung über die Nahrung, die Luft und die Haut als mäßig toxisch. In Langzeitstudien mit Ratten und Mäusen allerdings förderten beide Verbindungen die Entstehung von Leberkrebs und anderen Tumoren. Weitere Tierversuche berichten von Leberschäden und Fettstoffwechselstörungen.
Das BfR weist darauf hin, dass es große Unterschiede in der Toxikokinetik zwischen Mensch und Tier gibt. So scheiden Menschen PFOS bzw. PFOA deutlich langsamer aus als die Versuchstiere. Die publizierten Halbwertszeiten liegen dabei im Bereich von einigen Tagen bei Ratten, einigen Monaten bei Affen und mehreren Jahren beim Menschen. „Das ist bei der Übertragung der in Tierstudien gewonnenen Daten und Ergebnisse auf den Menschen zu beachten“, sagt Thier-Kundke.
Neben PFOA stehen weitere PFC in Verdacht, die Fruchtbarkeit von Frauen und die männliche Spermatogenese negativ zu beeinflussen. Außerdem ist PFOA reproduktionstoxisch. Mutagen sind PFOA und PFOS hingegen nicht, keine der beiden Verbindungen reagiert mit dem genetischen Material.
Erhöhte PFOA-Gehalte im Blut stehen mit verschiedenen Erkrankungen in Verbindung
Laut BfR werden die von der EFSA 2008 festgelegten Aufnahmemengen in Deutschland kaum erreicht. „Nach Abschätzungen des BfR wird bei der in Deutschland üblichen Ernährung über den Eintragspfad Lebensmittel die derzeit gültige täglich duldbare Aufnahmemenge (TDI) für PFOA und PFOS nur in geringem Maße ausgeschöpft“, verweist Thier-Kundtke auf eine Risikoeinschätzung aus 2008.
Auch eine Expertenrunde kam 2010 zu dem Schluss, dass die PFC-Belastung durch Lebensmittel als sehr gering einzustufen sei. Diese TDI-Werte sind allerdings aus tierexperimentellen Studien abgeleitet und basieren im Wesentlichen auf Lebereffekten. Die langen Halbwertszeiten beim Menschen sind über einen Unsicherheitsfaktor berücksichtig worden.
Auch wenn die Aufnahme über Lebensmittel gering ist – PFC reichern sich im Körper an. Das zeigt etwa eine Untersuchung aus 2007. Im Blutplasma der Probanden fanden Prof. Dr. Hermann Fromme vom Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit und seine Kollegen 2,1 bis 55 μg/L PFOS und 0,5 bis 19,1 μg/L PFOA. „Unsere Daten zeigen, dass die deutsche Population geringer der PFC-Exposition ausgesetzt ist als die kanadische oder die US-amerikanische. Die Quellen der Aufnahme allerdings sind noch nicht hinreichend verstanden. Und die toxikologischen Folgen der Aufnahme sind auf Tierstudien begrenzt. Die Untersuchung von Menschen, die beruflich mit PFC zu tun haben, ist inadäquat, um daraus das Risikoeinschätzungen für die Gesamtbevölkerung ableiten zu können“, schreiben die Wissenschaftler.
Für Deutschland leitete die Kommission Human-Biomonitoring des UBA 2009 folgende Referenzwerte ab: für PFOA 10 μg/Liter im Blutplasma von Frauen, Männern und Kindern (unter 10 Jahre), für PFOS 20 μg/Liter im Blutplasma von Frauen und 25 μg/Liter im Blutplasma von Männern. Für Kinder sollte der Wert für PFOS im Blutplasma 10 μg/Liter nicht überschreiten.
Einigen Experten sind die von der EFSA 2008 festgelegten Grenzwerte zu hoch. So kam das C8 Science Panel – eine Gruppe von Wissenschaftlern, die die Folgen von PFOA-Expositionen erforscht – zu dem Schluss, dass erhöhte PFOA-Gehalte im Blut sehr wahrscheinlich mit verschiedenen Erkrankungen einhergehen. Für 6 Krankheitskategorien schließt das Science Panel auf mögliche Zusammenhänge zwischen Erkrankung und PFOA-Exposition: diagnostizierte hohe Cholesterinspiegel, Colitis ulcerosa, Erkrankungen der Schilddrüse, Hodenkrebs, Nierenkrebs und Schwangerschafts-induzierter Bluthochdruck.
Eine Arbeit von Vaughn Barry und Kollegen aus 2013 wies nach, dass Erwachsene, die PFOA-kontaminiertem Trinkwasser ausgesetzt sind, häufiger an Nierenkrebs und Hodenkrebs erkranken. Dr. Kyle Steenland und Team untersuchten autoimmun erkrankte Patienten und konnten 2013 zeigen, dass PFOA mit Colitis ulcerosa assoziiert ist. Eine Studie aus 2012 an fast 11.000 Kindern lieferte Hinweise, dass die Kinder, die neben einer Teflon-herstellenden Fabrik lebten, höhere PFOA- und PFOS-Konzentrationen aufwiesen und eher an Schilddrüsenunterfunktion litten.
Perfluorierte Verbindungen sind auch in der Muttermilch nachweisbar: „Die Gehalte sind aber deutlich niedriger als im Serum der Normalbevölkerung und liegen für PFOS bei durchschnittlich 0,08 μg/l und im ähnlichen Bereich für PFOA. Andere PFC können meist nur in einzelnen Proben nachgewiesen werden“, schreiben Fromme und seine Kollegen in einer Untersuchung aus 2010.
Allerdings ist die Berücksichtigung von epidemiologischen Studien in der Risikobewertung generell schwierig – denn der Einfluss von Störfaktoren und die Exposition gegenüber anderen Chemikalien lassen sich nicht ausschließen. In der aktuellen Bewertung des RAC (Risk Assessment Committee) der Europäischen Chemikalienagentur ECHA werden daher die epidemiologischen Studien als nicht ausreichend für die Ableitung eines Grenzwertes beurteilt.
BfR drängt bei der EFSA auf eine Neubewertung aller PFC
Das BfR sieht bei einigen PFC dennoch Handlungsbedarf. Ende 2015 wandte sich die Behörde deshalb an die EFSA. Thier-Kundke: „Das BfR hat die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit um eine Reevaluierung aller PFC einschließlich PFOS und PFOA unter Berücksichtigung der seit 2008 publizierten Studien gebeten.“ Das BfR, so Thier-Kundke, habe seine oben genannte Anfrage an die EFSA sehr weit gefasst und darum gebeten, auch die kürzerkettigen PFC sowie andere PFAS – außer PFOS und PFOA – in die Bewertung einzubeziehen. „Die Reevaluierung von PFOS und PFOA sowie die Neubewertung der kürzerkettigen Verbindungen durch das Kontaminantengremium der EFSA ist noch nicht abgeschlossen“, so Thier-Kundke.
Versuche, die Produktion dieser Stoffe zu regulieren, kommen nur stockend voran. Dem Ausstieg der Amerikaner bei der PFOS-Produktion 2009 stand der Einstieg der Chinesen gegenüber. 2014 reichten Norwegen und Deutschland bei der ECHA einen Vorschlag für ein Herstellungs- und Verwendungsverbot für PFOA und PFOA-verwandte Stoffe ein. Gemeinsam mit der norwegischen Umweltbehörde schlug das UBA vor, PFOA wegen seiner persistenten, bioakkumulierenden und toxischen sowie reprotoxischen Eigenschaften als besonders besorgniserregenden Stoff einzuordnen (nach den Kriterien der europäischen Chemikalienverordnung REACH). PFOA ist nun auf der REACH-Kandidatenliste der ECHA vermerkt.
Gegen ein Herstellungsverbot protestierten allerdings einige Industrieverbände; der wissenschaftliche Ausschuss der ECHA entschärfte den vorgeschlagenen Grenzwert: Nun sollen statt der anvisierten 2 Mikrogramm pro Kilogramm 25 Mikrogramm PFOA pro Kilogramm Produkt erlaubt sein. „Das liegt deutlich über dem von uns vorgeschlagenen Wert, wir halten das für zu hoch“, so Vierke. Entschieden ist hinsichtlich der Höhe des Grenzwertes aber noch nichts: Die EU-Kommission erarbeitet derzeit einen Gesetzentwurf.
Weniger langkettige PFC, dafür mehr kurzkettige Verbindungen
Mit der Regulierung der langkettigen PFC werden vermehrt die kurzkettigen PFC (mit beispielsweise bis zu 6 vollständig fluorierten Kohlenstoffatomen) als Alternative eingesetzt. „Wir erwarten zunehmende Konzentrationen“, so Vierke. Die Besorgnis des UBA gegenüber den kurzkettigen PFC ist allerdings kaum geringer als die gegenüber den langkettigen: „Die kurzkettigen PFC sind ebenfalls persistent, sie werden in der Umwelt nicht abgebaut. Hinzu kommt, dass sie sehr mobil sind, weil sie beispielsweise eine gute Wasserlöslichkeit aufweisen“, erklärt Vierke.
So reichern sich die PFC mit kurzen Kohlenstoffketten zwar wahrscheinlich weniger im Organismus an, aufgrund ihrer Mobilität können sie aber schneller Grund- und Trinkwasser verunreinigen. „Hinsichtlich ihrer Effekte haben wir noch Bewertungslücken. Ob und inwieweit sie endokrines Potenzial aufweisen, d.h. das Hormonsystem beeinflussen können, wird für einige Vertreter der kurzkettigen PFCs gerade bewertet“, berichtet Vierke.
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Diesen Artikel so zitieren: Nahrung, Trinkwasser, Textilien: Fluorchemikalien sind überall und reichern sich im Körper an – wie groß ist die Gefahr? - Medscape - 12. Jul 2016.
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