
Prof. Dr. Stefan R. Bornstein
Foto: Stephan Wiegand, TUD
Während die Briten aus der EU austeigen, arbeiten Mediziner und andere Wissenschaftler in Dresden an einer neuartigen Verzahnung mit dem King’s College in London. Der TransCampus gibt Medizinern, Ingenieuren, Natur- und Geisteswissenschaftlern die Möglichkeit, auch an der britischen Eliteuniversität zu forschen. Schwerpunkte in der Medizin sind Diabetologie, Transplantationsmedizin, Onkologie und Psychiatrie. Prof. Dr. Stefan R. Bornstein ist Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik III sowie des Zentrums für Innere Medizin an der TU Dresden und wurde vom King’s College zum TransCampus-Dekan ernannt. Mit Medscape spricht er über den Brexit, den medizinischen Wissensaustausch mit Großbritannien und die künftige Bedeutung bilateraler Universitätsstrukturen.
Medscape: Herr Prof. Bornstein, haben Sie und Ihre Kollegen mit dem Brexit gerechnet?
Prof. Dr. Bornstein: In akademischen Zirkeln, unter Medizinern etwa, war die Vorstellung, dass die Briten tatsächlich aussteigen, nicht sehr weit verbreitet. 90 Prozent werden – so wie auch ich – dagegen gewesen sein.
Medscape: Was bedeutet der Brexit für den neuen TransCampus?
Prof. Dr. Bornstein: Alles hat Vor- und Nachteile. Unser Zusammenschluss mit dem King’s College, das ja eine der größten und besten Universitäten der Welt ist – in der Medizin an achter Stelle weltweit im THE-Ranking –, bekommt durch den Brexit eigentlich Aufwind. Die Briten werden durch den Ausstieg aus der EU sicherlich weniger Zugang zu anderen europäischen Wissenschaftsinstitutionen haben. Ihnen verschließen sich sozusagen die europäischen Köpfe. Gleichzeitig gibt es in Deutschland eine große Affinität nicht nur zu Großbritannien als Wirtschaftsmacht, sondern eben auch als führendes europäisches Wissenschaftsland. Das ist Großbritannien im universitären Bereich ja mit großem Abstand. Unter den besten Unis Europas sind immer ein Drittel britische Universitäten. Alle deutschen Universitäten sind im Ranking, böse gesagt, „sucker“ – Verlierer.
Medscape: Warum ist das eigentlich so? Was machen die Briten denn besser?
Prof. Dr. Bornstein: In den 60er und 70er-Jahren wurden in Deutschland die Universitäten egalisiert. Zu Eliteeinrichtungen wurden dann Institute wie die Max-Planck-Institute, die ja auch Nobelpreis-Träger produzieren. Die zählen nur eben nicht in den Rankings. Wir haben Eliteuniversitäten jahrzehntelang – medizinisch gesagt – eradiziert. In den USA und Großbritannien hingegen haben sich die Unis immer schon damit gebrüstet, Eliteeinrichtungen zu sein, weil das Wort „Elite“ dort nie negativ konnotiert war. Hier schon.
Medscape: Und warum profitiert der TransCampus nun?
Prof. Dr. Bornstein: Wir verlieren mit Großbritannien nicht nur die führende Wirtschaftsmacht, sondern auch den führenden Wissenschaftsstandort mit den führenden Universitäten. Das ist nicht im Interesse der Deutschen. Strukturen wie unser TransCampus sind der Plan B. Idealerweise steckt man jetzt Geld, das normalerweise in der EU verschwunden wäre, in solche bilateralen Strukturen. Wir haben diese Zusammenarbeit zur richtigen Zeit begonnen – und senden damit aus meiner Sicht das richtige Signal.
Medscape: Wie muss man sich die Zusammenarbeit ganz konkret vorstellen?
Prof. Dr. Bornstein: Dresden ist jetzt im Grunde King’s College und King’s College ist Dresden. Wir haben dort eigene Räume, wir haben Institute, Koordinatoren, Fördermittel. Ich bin dort britischer Professor, mit allen Rechten. Das heißt auch, dass ich dort ganz normal Patienten behandeln und Studien durchführen kann. Meine britischen Kollegen können das hier auch. Das sind keine Gastwissenschaftler wie bisher, sondern Lehrstuhlinhaber, die jedem deutschen Professor gleichgestellt sind.
Medscape: Inwiefern profitieren die Medizinstunden davon? Wie es mit dem EU-Austauschprogramm „Erasmus“ in Großbritannien weitergeht, ist ja noch nicht ganz klar.
Prof. Dr. Bornstein: Ja, da springen wir womöglich in eine Lücke. Der Deutsche Akademische Auslandsdienst (DAAD) finanziert mit über einer Million Euro ein Programm, das Dresdner Studierende nutzen können, um eine Zeitlang in London zu lernen. Sie werden durch dieses Programm von den Gebühren am King’s College größtenteils freigestellt. Das ist wichtig, weil britische Universitäten sehr, sehr teuer sind. Als nächstes steht eine Begutachtung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) an, die ein ähnliches Programm mit fünf Millionen Euro fördern wollen. Wir hoffen natürlich, dass auch britische Studierende hierher kommen.
Medscape: Haben auch Ihre Patienten etwas davon?
Prof. Dr. Bornstein: Es gibt in London Strukturen, die es hier nicht gibt – und umgekehrt. Zum Beispiel gibt es in ganz Großbritannien kein Protonenzentrum und wir haben in Dresden eins der modernsten der Welt. Das können die Ärzte am Kings College mit nutzen. Es ist sehr einfach, Patienten hin- und herschicken, übrigens nicht nur Privatpatienten. Man muss ja nicht alles zwei Mal aufbauen. Genutzt werden die neuen Strukturen übrigens auch von Deutschen, die in London leben und Briten in Deutschland. Die gehen nun mal gern in ein „heimisches“ Krankenhaus.
Medscape: Was bedeutet der Brexit für ausgebildete Mediziner, die in Großbritannien arbeiten wollen? Davon gibt es ja bisher sehr viele, oder?
Prof. Dr. Bornstein: Ja, bin ich auch immer wieder erstaunt, wie viele deutsche Akademiker in Großbritannien in Leitungsfunktionen an den Instituten arbeiten. An allen Elite-Universitäten dort gibt es deutsche Direktoren. Umgekehrt gilt das übrigens auch: Am Max Planck Institut hier auf dem Dresdner Campus sind viele Forscher Briten. Was die Visa-Politik angeht – ich glaube, um dort Einschränkungen zuzulassen, sind die Engländer zu zielorientiert. Für Eliten werden sie es sehr einfach machen, vielleicht nach US-Vorbild. Dort gibt es O-1-Visa, für die ich oft Gutachten schreibe. Das „O“ steht für „outstanding“, das heißt, das sind potenzielle Nobelpreisträger oder Leute, die etwas entwickeln, das es in den USA noch nicht gibt. Die bekommen dann erstaunlich schnell eine Green Card. Den einfachen Studenten kann der Austritt aus der EU aber schon treffen.
Medscape: Mal abgesehen vom Ansehen, das die britischen Unis genießen – warum ist ein Austausch mit Großbritannien aus medizinischer Sicht wichtig?
Prof. Dr. Bornstein: Wir haben in Sachsen eine der homogensten Bevölkerungsstrukturen der Welt: eine überwiegend kaukasische, alternde Gruppe. London hingegen hat die multiethnischste Bevölkerungsstruktur Europas: die größte afrikanische Gruppe, die größte indisch-asiatische Gruppe. Da treten andere Krankheiten auf, Medikamente wirken anders, die Menschen sind jünger. Wenn wir jetzt damit konfrontiert sind, Flüchtlinge zu behandeln, können wir viel lernen von den Kollegen. Am King’s College behandeln Ärzte diese ethnischen Gruppen seit Jahrzehnten. Sie sprechen auch die Sprachen, Arabisch, Urdu, Panjabi. Ganz ehrlich: Hier haben viele Ärzte schon Probleme, ein paar Worte Englisch zu sprechen.
Medscape: Wie steht es um das britische Gesundheitssystem?
Prof. Dr. Bornstein: Das System ist interessant. Einerseits ist es teurer als das deutsche. Jeder wird erst einmal behandelt. Das kostet viel Geld. Andererseits gibt es Grenzen: Wenn Therapien zu teuer sind, wird auch Nein gesagt. Die Krankenhäuser sind sehr heterogen. Manche sind ganz neu und modern ausgestattet, in anderen sieht es fast so aus wie in Mombasa.
Medscape: Und glauben Sie, dass nun Geld, das die Briten nicht mehr in die EU stecken müssen, dort investiert wird – wie viele der Brexit-Wähler offenbar hoffen?
Prof. Dr. Bornstein: Ob das so kommen wird, muss man abwarten. Ich wäre eher skeptisch, dass viel Geld übrig bleibt, das man ins Gesundheitssystem stecken kann. Die Briten erhoffen sich eine engere Zusammenarbeit mit Asien und dem großen Bruder, den USA. Aber diese Rechnung wird nicht so einfach aufgehen.
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Diesen Artikel so zitieren: Gemeinsame Forschung auch nach dem Brexit: „Von britischen Ärzten können wir viel lernen“ - Medscape - 6. Jul 2016.
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