63 Empfehlungen und ein klares Votum für die Hormontherapie: Nachdem vergangenen November das britische National Institute of Health and Care Excellence (NICE) seine aktualisierten Leitlinien zur Diagnose und Behandlung der Menopause veröffentlicht hat, ist nun eine Zusammenfassung der wichtigsten Empfehlungen im JAMA Internal Medicine publiziert worden [1]. Erstellt hat sie ein Team um Prof. Dr. Mary Ann Lumsden von der School of Medicine, Dentistry and Nursing der University of Glasgow.
„Die britische Guideline ist die aktuellste und beste Leitlinie zum Thema Wechseljahre, die derzeit verfügbar ist“, kommentiert Prof. Dr. Olaf Ortmann, Sonderbeauftragter der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), der die Erstellung der deutschen S3-Leitlinie zur Hormontherapie in der Peri- und Postmenopause koordiniert hat. „Anders als unsere Leitlinie, die sich fast ausschließlich mit der Hormontherapie beschäftigt, bewertet die britische Guideline auch alternative Behandlungsansätze wie beispielsweise pflanzliche Mittel oder Akupunktur“, sagt Ortmann, der an der Universität Regensburg die Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe leitet, im Gespräch mit Medscape.
Eine Messung des FSH-Werts ist nur bei jüngeren Frauen sinnvoll

Prof. Dr. Olaf Ortmann
Die NICE-Empfehlungen (National Institute of Health and Care Excellence) starten nicht mit der Behandlung, sondern mit der Diagnose der Menopause. Die Verfasser der Leitlinie raten dazu, bei Frauen über 45 Jahren allein das Alter und den Menstruationszyklus heranzuziehen, um den Beginn der Wechseljahre zu diagnostizieren. Eine Messung des follikelstimulierenden Hormons (FSH) liefere für die klinische Diagnose keine verwertbaren zusätzlichen Informationen und solle daher unterbleiben, heißt es in der Guideline.
Lediglich bei Frauen unter 40 Jahren, die über Wechseljahrssymptome klagten, könne eine Messung des FSH-Wertes sinnvoll sein – vorzugsweise in 2 Untersuchungen, zwischen denen etwa 4 bis 6 Wochen liegen. Die Bestimmung des Anti-Müller-Hormons hingegen sei zur Diagnose einer vorzeitigen ovariellen Insuffizienz ungeeignet.
Frauen mit Beschwerden sollten eine Hormontherapie angeboten bekommen
Die Autoren der Leitlinie betonen, wie wichtig es sei, alle Frauen vor Beginn der Wechseljahre ausreichend über die möglichen Begleiterscheinungen der Menopause sowie über die Nutzen und Risiken der verschiedenen Behandlungsmethoden aufzuklären. Um vasomotorische Symptome wie Hitzewallungen zu lindern, sei die Hormontherapie am effektivsten, heißt es – dies im Vergleich zum Einsatz von SSRIs und SNRIs oder auch von Phytoöstrogenen, anderen pflanzlichen Präparaten und nicht-pharmakologischen Ansätzen wie Verhaltenstherapie, Akupunktur und Hypnose.
Zwar gebe es keine randomisierten klinischen Studien, die die verschiedenen Behandlungsstrategien direkt miteinander verglichen, schreiben Lumsden und ihre Kollegen. Doch Metaanalysen hätten eine klare Überlegenheit der Hormontherapie gezeigt.
Ärzte sollen daher laut der Empfehlung Nr. 14 Frauen mit Wechseljahresbeschwerden eine Hormontherapie anbieten, nachdem sie mit ihnen eingehend über kurz- und langfristige Nutzen und Risiken einer solchen Behandlung gesprochen haben. Bei Frauen, deren Uterus entfernt wurde, sollen ausschließlich Östrogene zum Einsatz kommen, während sich bei allen anderen eine Kombination aus Östrogenen und Gestagenen empfiehlt.
Individuelles Nutzen-Risiko-Verhältnis klären
Die Verfasser der Guideline haben sich auch mit den Risiken der Hormontherapie auseinandergesetzt. Das Nutzen-Risiko-Verhältnis variiere von Frau zu Frau, entsprechend den persönlichen Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen oder Brustkrebs, schreiben Lumsden und ihr Team. Allerdings gebe es hinreichende Belege dafür, dass das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen durch die Hormontherapie nicht erhöht sei, wenn die Behandlung bei Frauen begonnen werde, die jünger als 60 Jahre alt seien.
Zudem habe sich gezeigt, dass das Risiko, an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu sterben, durch die Hormontherapie nicht beeinflusst werde. Allerdings müssten vor dem Start der Therapie andere Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen wie Diabetes, hoher Blutdruck und hohe Cholesterinwerte ausgeschlossen oder ausreichend behandelt werden, schreiben die Autoren.
Im Hinblick auf das Brustkrebsrisiko betonen die Verfasser, dass dieses durch eine alleinige Östrogengabe nicht oder nur wenig beeinflusst werde. Anders sehe dies bei einer Therapie mit Östrogenen und Gestagenen aus: Diese könne das Risiko in Abhängigkeit der Therapiedauer erhöhen. Allerdings sinke die Gefahr nach Beendigung der Behandlung wieder.
„Das Brustkrebsrisiko durch die kombinierte Hormontherapie ist, anders als beispielsweise das Risiko einer Thrombose, erst nach einer jahrelangen Behandlungsdauer erhöht“, erläutert der DGGG-Experte Ortmann. „Auch aus diesem Grund sollten die Ärzte zusammen mit ihren Patientinnen in regelmäßigen Abständen versuchen, die Behandlung zu beenden.“ Bei den meisten Frauen sei eine Hormongabe über mehrere Jahre hinweg gar nicht nötig.
Kontraindiziert ist eine Hormontherapie auch gemäß der britischen Leitlinien bei Frauen, die ein erhöhtes Brustkrebsrisiko aufweisen oder bereits ein Mammakarzinom entwickelt haben. Um deren Wechseljahrsbeschwerden zu lindern, rät die Guideline zu einer Verordnung von SSRIs oder SNRIs. SSRIs wie Paroxetin oder Fluoxetin dürfen allerdings nur dann zum Einsatz kommen, wenn die Frauen nicht mit Tamoxifen behandelt werden.
Eine Behandlung mit Johanniskraut-Präparaten habe sich hingegen als wenig hilfreich erwiesen, berichten die Experten um Lumsden. Generell sollten Frauen mit Brustkrebs oder einem hohen Risiko für die Erkrankung an einen Spezialisten mit Erfahrung in der Behandlung von Wechseljahrssymptomen überwiesen werden, empfehlen die Autoren.
Schutz vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Osteoporose
Frauen mit einer vorzeitigen ovariellen Insuffizienz sollen gemäß der britischen Leitlinie nach Möglichkeit entweder eine Hormontherapie oder ein kombiniertes hormonelles Kontrazeptivum bis zu einem Alter erhalten, in dem die Menopause typischerweise einsetzt. Dadurch ließen sich nicht nur die unmittelbaren physischen und psychischen Beschwerden dieser Frauen lindern, schreiben die Verfasser. Auf lange Sicht seien auf diese Weise auch deren kardiovaskuläres und skelettales System besser geschützt.
Einen möglichen Schutz vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Osteoporose durch die Hormontherapie – gerade bei Frauen, die deutlich jünger als 60 Jahre alt sind – sieht auch der deutsche Gynäkologe Ortmann. Dennoch berge die Behandlung natürlich auch Risiken. „Werden die Frauen umfassend aufgeklärt, können sie anschließend leichter für sich selbst entscheiden, ob ihre Lebensqualität durch die Symptome der Menopause so stark beeinträchtigt ist, dass sie für die Linderung ihrer Beschwerden gewisse Risiken tolerieren“, sagt er.
Eine neue deutsche Leitlinie für das nächste Jahr geplant
Hierzulande wird die existierende Leitlinie zur Hormontherapie derzeit überarbeitet. „Im Juli wird es den ersten Konsensusprozess geben, bei dem wir festlegen wollen, welche Fragen die Leitlinie beantworten soll“, berichtet Ortmann. Vor Anfang 2017 sei mit der Veröffentlichung der überarbeiteten Version nicht zu rechnen.
Sicher sei schon jetzt, dass die neue Leitlinie noch mehr als die alte an den Therapiezielen orientiert sein werde, sagt Ortmann: „Auch wenn inzwischen, anders als noch vor einigen Jahren, ein breiter Konsens darüber existiert, dass die Risiken der Hormontherapie überschaubar sind und sie Frauen mit starken Beschwerden daher nicht vorenthalten werden sollte: Eine präventive Maßnahme für alle Frauen ist sie sicherlich nicht.“
REFERENZEN:
1. Lumsden MA, et al: JAMA Intern Med. (online) 20. Juni 2016
© 2016 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Britische Leitlinie zur Menopause: Bekenntnis zur Hormontherapie bei Wechseljahresbeschwerden – Vorbild für Deutschland? - Medscape - 5. Jul 2016.
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