Quo vadis, EMA? Noch ist die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) am Churchill Place in Canary Wharf, London, angesiedelt. Doch die Mehrheit für einen Brexit in Großbritannien hat auch Folgen für die EMA. Es liegt nun an der britischen Regierung zu entscheiden, wie mit dem Votum umgegangen wird und den Antrag auf einen EU-Austritt nach Artikel 50 zu stellen. Kommt es dazu, wird auch die europäische Behörde ihren Standort in London aufgeben und in ein EU-Mitgliedsland ziehen müssen.
„Kein Mitgliedsland hat jemals die Entscheidung getroffen, aus der Europäischen Union auszuscheiden, d.h. es gibt keinen Präzedenzfall. In jedem Fall ist es zu früh, die Implikationen des Referendums auf den Sitz und die Arbeit der EMA abzusehen, und wir möchten daher von Spekulationen absehen“, sagt Monika Benstätter, Sprecherin der EMA, auf Nachfrage von Medscape. Niemand weiß, wie viel Zeit ein möglicher EU-Austritt beanspruchen würde. Als grobe Richtmarke kann allenfalls Grönland gelten – dort dauerte der Exit von der Volksabstimmung bis zum juristischen Austritt 3 Jahre. Das ist allerdings schon 34 Jahre her.
Mit 890 Mitarbeitern organisiert die EMA für den gesamten EU-Markt mit über 500 Millionen Einwohnern seit 1995 die Zulassung von Arzneimitteln – gemeinsam mit den nationalen Zulassungsbehörden. Bei ihrer Arbeit bedient sie sich der wissenschaftlichen Ressourcen aus den nationalen Arzneimittelbehörden (National Competent Authorities, NCA) von 31 Mitgliedstaaten der Europäischen Union und den EWR-Staaten.
Bonn, Schweden, Dänemark, Italien oder?
Wohin die Behörde ihren Sitz möglicherweise verlagern könnte – dazu gibt es außerhalb der EMA schon jede Menge Ideen. So setzt sich der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller e.V. (BAH) dafür ein, den Sitz der EMA nach Bonn zu verlegen. „Wir bedauern das Ergebnis der Abstimmung zutiefst und halten es für politisch wie wirtschaftlich verheerend“, sagt Dr. Hermann Kortland, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des BAH in einer Pressemitteilung. „Die Briten haben leider gegen Europa, gegen die vermeintliche Eurokratie und gegen die Europäischen Institutionen gestimmt. Wir fordern die Verantwortlichen auf Bundes- wie Landesebene daher auf, sich für Bonn als neuen Standort der EMA einzusetzen“, so Kortland weiter.
Für Bonn als neuen Standort der EMA sprächen viele gute Gründe. Schon heute sei Bonn ein bedeutender Standort rund um die Zulassung und Sicherheit von Arzneimitteln. So sei das nationale Pendant zur EMA, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, mit 1.100 Mitarbeitern in Bonn ansässig, außerdem säßen viele Arzneimittel-Hersteller an der sogenannten Rheinschiene.
Anders Blanck, Direktor des Verbandes der schwedischen forschenden Arzneimittelhersteller, könnte sich Schweden gut als neuen EMA-Standort vorstellen. Gegenüber dem Wall Street Journal meint Blanck: „Es geht ums Prestige und würde ein positives Signal an die Industrie im Gebiet der Lebenswissenschaften aussenden“.
Gegenüber dem Wall Street Journal sprechen sich auch Henrik Vestergaard, Vizedirektor des dänischen Pharma-Verbands, und Luca Pani, der Leiter der italienischen Arzneimittelbehörde AIFA für einen Sitz der EMA in ihrem jeweiligen Land stark.
Zurückhaltend äußert sich das Bundesgesundheitsministerium und lässt nur mitteilen, dass die Standortfrage im Kreis der EU-Staaten zu diskutieren sein werde.
Auch der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie (BPI) beteiligt sich nicht an Standort-Überlegungen. In einem Statement gibt Dr. Martin Zentgraf, BPI-Vorstand, aber zu bedenken: „Der Mittelpunkt für die Bewertung und Zulassung von Arzneimitteln ist bisher die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) in London. Die Behörde wird einen neuen Sitz nehmen müssen; die Verfahren werden in Zukunft woanders organisiert. Dadurch dürfen die pharmazeutischen Unternehmen nicht belastet werden. In Deutschland sind starke Pharmastandorte. Es wird unsere Unternehmen große Anstrengungen kosten, die neuen bürokratischen Hürden zu nehmen, die nun in der Folge des Austritts Großbritanniens aus der Union auf uns zukommen.“
Arbeit der Behörde soll nicht beeinträchtigt werden
Auch wenn die Arzneimittelagentur noch nicht weiß, was wann auf sie zukommen wird – Benstätter betont, dass das die Arbeit der Behörde nicht beeinträchtigen wird: „Die EMA und die nationalen Zulassungsbehörden in der EU bilden ein starkes Netzwerk, das bereits in der Vergangenheit gezeigt hat, dass es sich an Veränderungen anpassen kann, ohne die Sicherheit, Wirksamkeit oder Qualität von Arzneimitteln aufs Spiel zu setzen.“
Man wartet in London deshalb ab: „Die EMA wird die Bewertungsverfahren für Arzneimittel in bewährter Weise fortführen und sich auch weiterhin auf ihr Kernanliegen konzentrieren: Schutz und Förderung der öffentlichen Gesundheit und Zulassung von sicheren und wirksam Arzneimittel.“
Benstätter fügt hinzu: „Wir sind im engen Kontakt mit den EU-Institutionen. Wenn es konkrete Informationen gibt, werden wir diese unseren Stakeholdern kommunizieren“.
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Diesen Artikel so zitieren: Folgen des Brexits: Die Europäische Arzneimittelagentur EMA muss die Koffer packen – Umzug vielleicht nach Bonn? - Medscape - 5. Jul 2016.
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