Die United States Preventive Services Task Force (USPSTF) hat nach einer Analyse aktueller Studien ihre Empfehlungen zum Darmkrebs-Screening aktualisiert [1]. „Die USPSTF zieht mit großer Bestimmtheit die Schlussfolgerung, dass das Darmkrebs-Screening für asymptomatische Erwachsene mit durchschnittlichem Risiko im Alter von 50 bis 75 Jahren einen substanziellen Nettonutzen hat“, betont das Autorenteam um Prof. Dr. Kirsten Bibbins-Domingo, Lee Goldman, MD Endowed Chair in Medicine und Professor of Medicine, Epidemiology and Biostatistics an der University of California in San Francisco. Wie genau gescreent wird – mithilfe von Koloskopie, CT-Kolonographie, Sigmoidoskopie und/oder Stuhltests – sei dabei zweitrangig.

Dr. Michael Hoffmeister
„Das Anliegen der Task Force, durch ein erweitertes Vorsorgeangebot die Teilnahme am Darmkrebs-Screening weiter zu verbessern, ist sehr begrüßenswert“, kommentiert Dr. Michael Hoffmeister, Stellvertretender Leiter der Abteilung für Klinische Epidemiologie und Alternsforschung im Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg. Er findet bemerkenswert, dass die Autoren keine Rangliste der Screening-Strategien erstellen, denn: „Die Koloskopie bietet zwar als einmalige Untersuchung die höchste Sensitivität und Spezifität für das Aufspüren von Adenomen und Karzinomen, jedoch haben einige andere Vorsorgemodelle vergleichbar gut abgeschnitten, etwa dank einer Wiederholung in kürzeren Abständen oder kombiniert mit anderen Verfahren.“ Sie würden darum zu Recht empfohlen.

Prof. Dr. Thomas Seufferlein
Auch Prof. Dr. Thomas Seufferlein, Ärztlicher Direktor der Klinik für Innere Medizin I am Universitätsklinikum Ulm, gefallen die Kernaussagen der USPSTF-Veröffentlichung. „Dennoch sind sie nicht ganz auf unsere Versorgungsstruktur übertragbar“, merkt er an, „da die Koloskopie, der Goldstandard, in den USA relativ teuer ist und hier relativ preiswert.“ Das sei ein Grund dafür, dass andere Screening-Strategien in den USA eine größere Rolle spielen. Unterm Strich geht es den US-Ärzten jedoch wie den Kollegen aus Deutschland: Ziel ist, möglichst viele Menschen zu den Screenings zu bewegen. In den USA nehmen 2 Drittel aller Berechtigten das Screening-Angebot wahr, in Deutschland bislang nicht einmal ein Drittel.
Hunderte gewonnener Lebensjahre
„Im Jahr 2016 werden geschätzt 134.000 Personen mit Darmkrebs diagnostiziert werden, und etwa 49.000 werden daran sterben“, rechnen Bibbins-Domingo und ihre Kollegen für die USA vor. Aktuell übernehmen darum die meisten privaten Krankenversicherungen, Medicare und Medicaid die Kosten für die Screenings. Vor allem bei den Koloskopien ist das wichtig, kosten sie doch – je nach Klinik, Sedierung und abhängig davon, ob Polypen entfernt werden – von 600 bis über 5.000 US-Dollar.
Über die Kosten der diversen Screeningstrategien, die in den USA verbreitet sind, hätte die USPSTF in ihrer Publikation informieren müssen, kritisiert Hoffmeister. „Beispielsweise ist ein fäkaler immunologischer Test (FIT) bei vergleichbarer Effektivität um ein Vielfaches günstiger durchzuführen als der ebenfalls empfohlene FIT-DNA Test in den empfohlenen Intervallen von ein bzw. drei Jahren“, merkt er an. Stattdessen präsentieren die Autoren Risiko-Nutzen-Einschätzungen, die auf verschiedenen Simulationen beruhen.
Der Hauptnutzen ist ein längeres Leben der Screening-Teilnehmer, bei denen Adenome oder Tumoren gefunden werden. Das Hauptrisiko sind Komplikationen, die im Laufe einer Koloskopie auftreten können, zum Beispiel als Folge der Sedierung oder durch eine Darmperforation. Die folgende Tabelle zeigt die Mittelwerte der USPSTF-Schätzungen:
Screeningmethode und -frequenz |
gewonnene Lebensjahre pro 1.000 Gescreenten | verhinderte Darmkrebstodesfälle pro 1.000 Gescreenten | Komplikationen pro 1.000 Gescreenten |
flexible Sigmoidoskopie alle 5 Jahre | 221 | 20 | 10 |
FIT-DNA alle 3 Jahre | 226 | 20 | 9 |
FIT jährlich | 244 | 22 | 10 |
gFOBT mit hoher Sensitivität jährlich | 247 | 22 | 11 |
CT-Kolonographie alle 5 Jahre | 248 | 22 | 10 |
flexible Sigmoidoskopie alle 10 Jahre + FIT jährlich | 256 | 23 | 11 |
FIT-DNA jährlich | 261 | 23 | 12 |
Koloskopie alle 10 Jahre | 270 | 24 | 15 |
Nicht in der Tabelle findet sich ein Bluttest, der in die Analyse einging. Er detektiert methylierte DNA der V2-Region des Septin-9-Gens (SEPT9), die sich bei Darmkrebspatienten findet. Doch nur eine Studie zum Bluttest bewertete die USPSTF als aussagekräftig genug – und diese bescheinigte dem Test eine Sensitivität von unter 50%. Daher wurde er nicht in die Screening-Empfehlungen aufgenommen.
Stuhltests: DNA-Analyse braucht es wohl nicht
Anders als in Deutschland sind in den USA 3 Bluttest-Typen im Einsatz: die Guajak-basierten Stuhltest auf okkultes Blut (gFOBT), die immunologischen Stuhltests auf okkultes Blut (FIT) und die immunologischen Bluttests, die zusätzlich nach tumorspezifischen DNA-Mutationen fahnden (FIT-DNA). Für FIT spricht vor allem, dass sie nur dann positiv ausfallen, wenn humanes Hämoglobin gefunden wird. Anders als beim gFOBT kann der Verzehr von rohem Fleisch somit keinen Fehlalarm auslösen. Der Stuhltest FIT-DNA, der in Amerika seit 2014 und in Deutschland noch nicht zugelassen ist, besticht laut USPSTF zwar durch eine etwas höhere Sensitivität, hat aber eine niedrigere Spezifität. Weil somit viele gesunde Patienten zur Koloskopie geschickt werden und damit deren Risiken mit in Kauf nehmen müssen, fiel die Risiko-Nutzen-Bilanz für die FIT-DNA etwas schlechter aus als für die anderen Stuhltests.
Wenn überhaupt, wird FIT-DNA als IGeL-Leistung nach Deutschland kommen, erwartet Hoffmeister: „Die Übernahme von Kosten erscheint unrealistisch vor dem Hintergrund, dass ein einfacher FIT bei vergleichbarer diagnostischer Wertigkeit nur ein Bruchteil des FIT-DNA-Tests kostet.“ FIT sind noch bis Oktober eine IGeL-Leistung, dann, hat der Gemeinsame Bundesausschuss angekündigt, werden sie zur Kassenleistung. Seufferlein lobt diese Entscheidung: „Somit haben wir auch in Deutschland bald ein sehr gutes zusätzliches Angebot für alle, die sich keiner Koloskopie unterziehen wollen, und ich hoffe, dass sie es auch wahrnehmen.“
Und die flexible Sigmoidoskopie und CT-Kolonographie? Erstere kam in den USA lange bevorzugt zum Einsatz, weil sie viel weniger als eine Koloskopie kostet. Bibbins-Domingo und ihr Team berichten, dass diese Tests immer weniger angeboten werden. Beliebter ist die CT-Kolonographie, die in den USA deutlich preisgünstiger ist als die Koloskopie. Gegen dieses Verfahren sprechen laut Seufferlein mindestens 2 wichtige Argumente: „Wir nehmen hierbei eine Strahlenbelastung in Kauf, die wir bei der Koloskopie nicht haben. Und nur bei der Koloskopie gibt es das ,One Stop Shopping‘: Finden wir Polypen, können wir sie gleich abtragen und somit der Entstehung von Krebs vorbeugen.“
Wem die Koloskopie auch mit 80 etwas nutzt
Wie wäre es, schon asymptomatische Menschen ab 45 Jahren zu screenen? Diesem Ansatz erteilen Bibbins-Domingo und ihre Kollegen nach Simulationen zum möglichen Nutzen und zu den Risiken durch zusätzliche Untersuchungen eine Absage. Seufferlein begrüßt das und erinnert daran, dass hierzulande bei Menschen mit Darmkrebs in der Familienhistorie und bei Menschen mit Symptomen die Krankenkassen auch in jungen Jahren die Untersuchungskosten übernehmen.
Im Alter von 50 bis 75 Jahren, so die USPSTF, bringt ein Screening allen deutliche Vorteile. Ab dem 76. Lebensjahr kommt es ganz auf die Verfassung der Patienten an. „Die Autoren äußern sich differenziert“, lobt Seufferlein diese Entscheidung. „Man muss immer überlegen, ob der betagte Patient, bei dem man Darmkrebs findet, wirklich daran sterben würde oder an etwas ganz anderem. Ein Patient mit einer koronaren Herzerkrankung oder starkem Diabetes geht außerdem oft schlechter aus der Koloskopie raus, als er hineingegangen ist.“
„Aufgrund der steigenden Komplikationsrate und den steigenden Komorbiditäten mit dem Alter sowie der Gefahr der Überdiagnosen empfiehlt es sich, dass der Arzt und der Patient individuell über die Durchführung des Screenings entscheiden“, empfiehlt auch Hoffmeister. Aber: „Personen, die sich im Alter von über 75 Jahren guter Gesundheit erfreuen, haben insbesondere beim erstmaligen Screening noch immer einen Nutzen.“
Hoffen auf bessere Screening-Beteiligung durch wiederholte Einladungen
Hierzulande wird aktuell ab dem Alter von 50 Jahren jährlich mit einem Stuhltest gescreent, ab 55 wird alle 10 Jahre eine Koloskopie angeboten. Wer die Koloskopie ablehnt, kann alternativ ab 55 alle 2 Jahre einen Stuhltest machen. Wie aber gesunde Menschen ab der Lebensmitte vom Screening überzeugen? Die Experten hoffen, dass viele einer persönlichen Einladung folgen. „Durch die zeitnahe Einführung des per Gesetz verabschiedeten sogenannten 'Organisierten Screenings' wird es durch wiederholte Einladungen der relevanten Altersgruppen hoffentlich zu einer starken Verbesserung der Screening-Beteiligung kommen“, erwartet Hoffmeister.
Dass inzwischen auf vielen Kanälen für die Screenings geworben wird und dass Publikumsmedien darüber berichten, hat schon etwas bewegt, meint Seufferlein. „Aber gerade die mit der ungünstigsten Lebensweise und dem höchsten Risiko erreichen wir weniger gut.“
Vielleicht öffnen sich einige für die Screenings, wenn es weitere Alternativen zu Koloskopie und Stuhltest gibt. „Gute Bluttests werden kommen“, zeigt Seufferlein sich optimistisch. „Ich denke, dass es noch ungefähr fünf Jahre dauern wird. Dann kann mit blutbasierten Tests allein oder einer Kombination von diesen und anderen Tests eine hohe Sensitivität und Spezifität erreicht werden.“
Das den Patienten schmackhaft zu machen, ist jedoch nicht empfehlenswert, gibt Hoffmeister zu bedenken: „Die relevante Altersgruppe sollte jetzt und nicht in fünf bis zehn Jahren gescreent werden. Dafür gibt es seit langem gute Vorsorgeangebote. Ein Aufschub kann hier gefährlich sein.“
REFERENZEN:
1. United States Preventive Services Task Force (Hg.): JAMA (online) 15. Juni 2016
© 2016 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Aktualisierte US-Leitlinien zum Darmkrebs-Screening: Werben fürs Prinzip – zur Freude deutscher Experten - Medscape - 4. Jul 2016.
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