HIV: Einmal wöchentliche Spritze eines experimentellen Antikörpers unterhält HIV-Suppression auch ohne ART. Was ist dran?

Neil Osterweil

Interessenkonflikte

4. Juli 2016

Boston – Ein experimenteller monoklonaler Antikörper, der das HI-Virus am Eindringen und an der Infektion gesunder Immunzellen hindern soll, hielt in einer Gruppe HIV-positiver Patienten die Virussuppression über 1 Jahr lang aufrecht und ermöglichte den Patienten dadurch eine Auszeit von den Nebenwirkungen der antiretroviralen Therapie (ART).

In der Phase-2b-Studie erreichten 10 von 15 HIV-infizierten Patienten unter ART eine vollständige Virussuppression, wurden dann auf eine einmal wöchentliche s.c.-Injektion des Antikörpers PRO 140 (CytoDyn) gesetzt und 70 Wochen lang nachverfolgt, berichtete Dr. Paul J. Maddon beim ASM-Microbe-2016-Meeting (American Society for Microbiology) [1].

„Der längste virusfreie Zeitraum beträgt gegenwärtig 96 Wochen. Aus meiner Sicht ist alles ab einem Jahr ein echter Gewinn“, erklärte Maddon, der den Antikörper entwickelte und wissenschaftlicher Berater des Herstellers CytoDyn ist, in einem Interview.

 
Der längste virusfreie Zeitraum beträgt gegenwärtig 96 Wochen. Aus meiner Sicht ist alles ab einem Jahr ein echter Gewinn. Dr. Paul J. Maddon
 

Bei 4 der 15 Patienten stellte sich kein Erfolg ein und ein Patient zog sein Einverständnis zurück. Alle 4 nahmen die ART wieder auf und erreichten wieder die vollständige Virussuppression ohne weitere Konsequenzen, gab Maddon gegenüber Medscape Medical News an.

Virus wird am Eindringen in die Zelle gehindert

Der humane IgG4-Antikörper PRO140 bindet sich hochaffin an das Rezeptorprotein CCR5 (Chemokinrezeptor 5; Ko-Rezeptor der meisten HIV-1-Stämme für das Eindringen in die Zelle).
Die natürlich vorkommende CCR5-Delta32-Mutation, die zur Ausbildung einer verkürzten und funktionslosen Form des CCR5-Proteins führt, erwies sich als Schutzfaktor vor einer HIV-Infektion. Man entdeckte die Mutation, als der sogenannte „Berlin-Patient“ Timothy Brown nach einer Knochenmarktransplantation, deren Spender Träger der Mutation war, von seiner HIV-Infektion geheilt wurde.

Zehn Patienten unter Antikörpertherapie mit nicht nachweisbarer bzw. geringer Viruslast

Während der Präsentation berichtete  Maddon über eine Gruppe (28 Patienten, Mindestalter 18), die sich mit dem CCR5-tropen HIV-1 infiziert und bis zur Untersuchung 12 Monate lang ein gleichbleibendes ART-Regime erhalten hatte. Alle Patienten wiesen zum Zeitpunkt der Untersuchung einen Plasmawert von unter 100 HIV-1-RNA-Kopien/ml auf. Zudem konnte in den vergangenen 12 Monaten kein Virus nachgewiesen werden.

Die Teilnehmer setzten ihre ART ab und erhielten bis zu 12 Wochen lang wöchentlich 350 mg PRO140 als subkutane Monotherapie (bei einer 1-wöchigen Überlappung zwischen der ART- und der PRO140-Medikation).

Bei 15 der 28 Patienten hielt die Virussuppression 12 Wochen an. Die Patienten wurden dann in der Selbstapplikation unterrichtet und setzten die PRO140-Medikation weitere 108 Wochen fort. Die übrigen Patienten nahmen die ART wieder auf und erlangten laut Maddon erneut die volle Virussuppression.

Wie erwähnt schlug bei 4 der 15 Probanden die Therapie nicht an und einer brach die Teilnahme an der Studie wegen eines Umzuges ab. 10 Patienten verblieben in der Studie und vollendeten die 70-wöchige PRO140-Monotherapie. Von diesen 10 war die Viruslast bei 7 mit einem Standard-HIV-RNA-Test nicht nachweisbar (Abbott Real Time). Bei den verbliebenen 3 Patienten betrug die Viruslast weniger als 40 Kopien/ml.

 
Ganz wichtig: Während der Studie konnte keine Veränderung des Rezeptortropismus festgestellt werden. Dr. Paul J. Maddon
 

Ganz ähnlich ergab ein Single-Copy-Assay an der University of Pittsburgh bei 6 Patienten einen Wert von unter 1 Kopie/ml, 2 wiesen 2–4 Kopien/ml und ein Patient 39,9 Kopien/ml auf. Ein Patient war nicht mit diesem Assay untersucht worden.

„Die CD4-Zellzahl blieb während der ganzen Studie über stabil. Es konnten keine Antikörper nachgewiesen werden. Darin spiegelt sich auch ein vorteilhaftes pharmakologisches Profil wider, und ganz wichtig: Während der Studie konnte keine Veränderung des Rezeptortropismus festgestellt werden“, fuhr Maddon fort.

Keine ernsten Nebenwirkungen

Bei der Sicherheitsanalyse an 40 Patienten in der Hauptstudie und an 15 in der Anschlussstudie erwiesen sich alle unerwünschten Nebenwirkungen im Zusammenhang mit dem monoklonalen Antikörper als leichte bis mittelschwere Reaktionen am Injektionsort.

Der Antikörper wurde sowohl bei der i.v.- als auch bei der s.c.-Gabe insgesamt gut vertragen, ohne dass es zu ernsten Medikamenten-Nebenwirkungen, Toxizitätsmustern oder zu einer Dosis limitierenden Toxizität (DLT) gekommen wäre.

Auf die Frage, weshalb ein deutlicher Teil der ursprünglich 28 Patienten großen Kohorte nicht auf die Behandlung ansprach, erklärte Maddon: „Unsere Suche gilt den Faktoren hinter der Virusresistenz, die wir bereits bestimmt haben. Wir sehen keinerlei Veränderungen bei der Virusresistenz oder Virusempfänglichkeit bei diesen Patienten im Hinblick auf PRO140.“

Welche Patienten profitieren von der Therapie?

Er empfahl größere Studien, die den Untersuchern eine bessere Vorstellung von den potenziellen pharmakologischen oder viral-dynamischen Ursachen geben könnten, um zu erklären, warum der Effekt bei manchen Patienten dauerhaft ist und bei anderen nicht. Gegenwärtig ist dazu eine Phase-3-Studie in Planung. „Ideal wäre die Entwicklung eines einfachen Assays zur Bestimmung von Patienten, die wahrscheinlich einen dauerhaften Effekt zeigen“, sagte er.

 
Ich finde die Vorstellung faszinierend, dass ein so spezieller Mechanismus zu einer längeren Wirksamkeit der antiviralen Therapie führen kann. Dr. Rajesh Tim Gandhi
 

Ein AIDS- und HIV-Spezialist, der nicht an der Studie beteiligt gewesen war, erklärte gegenüber Medscape Medical News, dass der Ansatz vielversprechend aussehe, aber dass natürlich weitere Arbeiten erforderlich seien, um bestimmen zu können, welche Patienten davon profitieren könnten.

„Ich finde die Vorstellung faszinierend, dass ein so spezieller Mechanismus zu einer längeren Wirksamkeit der antiviralen Therapie führen kann“, sagte Dr. Rajesh Tim Gandhi vom Department of Infectious Diseases am Massachusetts General Hospital in Boston in einem Interview. „Wie groß der Nutzen tatsächlich ist, muss noch näher bestimmt werden. Für eine definitive Aussage war diese Untersuchung noch zu klein und scheinbar gab es einige frühe Therapieversager. Ohne diese scheint die Suppression jedoch bei einer passablen Patientenzahl anzudauern.“ Und weiter: „Ich wüsste gerne, warum es bei einigen Patienten zum Therapieversagen kam.“


Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus http://www.medscape.com übersetzt und adaptiert.

 

REFERENZEN:

1. Meeting der American Society for Microbiology ASM Microbe 16. bis 20. Juni 2016, Boston/USA

 

Kommentar

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