Schneller in die Therapie: Die neue Psychotherapierichtlinie ordnet Zeitkontingente neu – und sorgt für Unmut

Christian Beneker

Interessenkonflikte

29. Juni 2016

Die neue Psychotherapierichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) bringt Therapeuten und ihre Patienten schneller zueinander [1]. Den Mangel an Behandlungsplätzen lindert sie nicht. Das GKV Versorgungsstärkungsgesetz (GKV VSG) sah die Richtlinie zum Juni 2016 vor. Dieser Vorgabe ist der G-BA nun gefolgt.

Rund 30 Prozent aller Deutschen erkrankten in einem Jahr mindestens einmal an mindestens einer behandlungswürdigen psychischen Erkrankung, sagt Kay Funke-Kaiser, Sprecher der Bundespsychotherapeutenkammer (bptk). „Von diesen 30 Prozent haben nur 20 Prozent therapeutische Hilfe in Anspruch genommen.“

 
Ich gehe davon aus, dass über 90 Prozent aller Psychotherapeuten, die heute probatorische Sitzungen anbieten, auch die Sprechstunden anbieten werden. Barbara Lubisch
 

Am häufigsten sind Angststörungen mit 16% der Bevölkerung, gefolgt von den Alkoholstörungen mit 11,2% und den unipolaren Depressionen mit 8,2%.

Eher und kürzer behandeln

Die Psychotherapierichtlinie setzt vor allem darauf, eher zu behandeln. So sollen Psychotherapeuten zukünftig Sprechstunden anbieten können und zwar mindestens 2 Stunden in der Woche. In den Treffen wird der Behandlungsbedarf eingeschätzt. Damit sollen die bisher auftretenden langen Wartezeiten, bis ein Arzt-Patientenkontakt überhaupt stattfindet, deutlich verkürzt werden. Ein erwachsener Patient kann von den 25 Minuten dauernden Sprechstunden maximal 6 in Anspruch nehmen, so die Richtlinie. Dazu muss der Therapeut feste Zeiten anbieten.

Allerdings müssen zwar die Patienten diese ersten Orientierungssitzungen nehmen, die Therapeuten müssen sie aber nicht anbieten. Barbara Lubisch, Bundesvorsitzende der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung, sieht darin kaum ein Problem: „Ich gehe davon aus, dass über 90 Prozent aller Psychotherapeuten, die heute probatorische Sitzungen anbieten, auch die Sprechstunden anbieten werden. Vielleicht werden sich manche Kolleginnen und Kollegen sogar drauf spezialisieren.“

 
Die Patienten sollen vor der Fortsetzung der Therapie zurückschrecken. Barbara Lubisch
 

Zweites Instrument der beschleunigten Behandlung sind laut Richtlinie so genannte Akutbehandlungen, die nicht eigens bei den Kassen beantragt werden müssen. Die Akutbehandlung soll rasch helfen und Klinikeinweisungen verhindern, die sonst aus der schieren Terminnot heraus nötig geworden wären. Nun entfallen die langen Genehmigungsfristen. Die Kurzinterventionen bestehen aus 24 Gesprächseinheiten zu 25 Minuten.

Um die Kapazitäten auf mehr Patienten verteilen zu können, halbiert die Richtlinie die Kurzzeittherapie in 2 eigens genehmigungspflichtige Blöcke zu 12 Stunden. Bisher gab es für die Patienten eine Kostenzusage über 25 Stunden. „Die Patienten sollen vor der Fortsetzung der Therapie zurückschrecken“, argwöhnt Lubisch. „Es gibt durch die Richtlinie eben nicht nur die Tendenz zur schnelleren Behandlung, sondern auch zur kürzeren.“

Zudem falle erneut vermeidbare Bürokratie an. bptk-Präsident Dr. Dietrich Munz kritisiert diese Neuerung gar als „Schildbürgerstreich erster Klasse". Denn zwar müsse die Therapie beantragt werden, nicht aber genehmigt. „Eine Genehmigung erfolgt dadurch, dass die Kassen sich die Antwort spart."

 
Es gibt durch die Richtlinie eben nicht nur die Tendenz zur schnelleren Behandlung, sondern auch zur kürzeren. Barbara Lubisch
 

Auch mit der neuen Rezidivprophylaxe spart die Richtlinie Therapiestunden. Lubisch spricht hier allerdings von einer „Mogelpackung". Denn die Prophylaxestunden, die besonders bei chronisch Erkrankten zusätzlich in größeren Zeiträumen nach Ende der Therapie angeschlossen werden können, sollen nicht zusätzlich gewährt, sondern vom Kontingent der Therapiestunden abgezogen werden. Bereits beim Antrag einer Langzeittherapie sollen sie angegeben werden.

Munz verweist darauf, dass die Rezidivprophylaxe laut GKV VSG „ein eigener Leistungsbereich" sein sollte. Dieser Vorgabe sei der G-BA nicht gefolgt. Lubisch will sich damit nicht abfinden. „Wir schlagen vor, 15 Sitzungen außerhalb der Kontingente als Rezidivprophylaxe, damit der Therapie folgende Krisen nicht eskalieren." Andernfalls sei die Regelung eine „Nullnummer".

 
Wir wollten, dass die Berichtspflicht in der Gruppentherapie entfällt. Stattdessen müssen wir bei jedem Patienten eigens berichten. Das ist unverhältnismäßig aufwendig. Barbara Lubisch
 

Lubisch kritisiert auch die neuen Vorgaben zu den Gruppentherapien. Die vom GKV-VSG vorgesehene Förderung sei mangelhaft umgesetzt. „Wir wollten, dass die Berichtspflicht in der Gruppentherapie entfällt. Stattdessen müssen wir bei jedem Patienten eigens berichten. Das ist unverhältnismäßig aufwendig."

Honorare sind noch unklar

Ob es für die neu strukturierten Leistungen mehr Geld für die Psychotherapeuten gibt, sei noch unklar, erklärt Lubisch. „Die neue Richtlinie lohnt sich für uns erst dann, wenn es für die Sprechstunden mehr Geld geben würde als für die üblichen probatorischen Sitzungen.“ Immerhin müssten die Therapeuten für die Sprechstunden eine höhere Erreichbarkeit garantieren und zusätzliche strukturelle Anforderungen erfüllen, zum Beispiel Testmaterial vorhalten. Das kostet. Zur Zeit wird die probatorische Sitzung mit 64,81 Euro für mindestens 50 Minuten vergütet.

Schließlich kritisiert Lubisch die Regelung zur Strukturpauschale. Therapeuten, die besonders viele genehmigungspflichtige Therapien durchführen, erhalten diesen Zuschlag. Das Problem: Wenn Praxen besonders viele der neuen Sprechstunden abhalten oder Akutbehandlungen anbieten, fehlt ihnen die Zeit für die Langzeittherapien und damit der Vorteil der Zuschläge.

 

REFERENZEN:

1. Richtlinie Psychotherapie-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesauschusses über die Durchführung der Psychotherapie, Stand: 6. Januar 2016

 

Kommentar

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