Transparenzkodex legt erstmals Zahlungen der Pharmafirmen offen – Scheinlösung oder Schritt in die richtige Richtung?

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

29. Juni 2016

Die ersten Zahlen des Transparenzkodex liegen vor: 575 Millionen Euro haben 54 Pharmafirmen im Jahr 2015 an Ärzte, Fachkreisangehörige sowie medizinische Organisationen und Einrichtungen bezahlt. Das teilten die Mitgliedsunternehmen der Freiwilligen Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie (FSA) und der Verband forschender Arzneimittelhersteller (vfa) jetzt in ihrer Stellungnahme mit [1].

Für die Durchführung von klinischen Studien und Anwendungsbeobachtungen flossen 366 Mio. Euro, 119 Mio. Euro wurden für Vortragshonorare und Fortbildungen bezahlt und 90 Mio. Euro für das Sponsoring von Veranstaltungen, Spenden und Stiftungen.

Ende Juni veröffentlichen die Mitgliedsunternehmen von vfa und FSA die Zahlungen jeweils auf ihren Webseiten. „Wir wollen die Notwendigkeit der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Ärzten besser erklären. Die Mitgliedsunternehmen von vfa und FSA schaffen mit der Umsetzung des Kodex freiwillig weitreichende Transparenz der Leistungen“, erklärt vfa-Hauptgeschäftsführerin Birgit Fischer, dazu.

Dr. Christiane Fischer

„Ärzte, die was verstecken wollen, können was verstecken“, kritisiert Dr. Wolfgang Wodarg gegenüber Reuters. Der Gesundheitsexperte, Vorstandsmitglied bei Transparency International Deutschland e.V., geht davon aus, dass die veröffentlichten Zahlen nicht vollständig sein können.

Roland Stahl

© Lopata/axentis.de

Auch Dr. Christiane Fischer, Ärztin in Hamm und Geschäftsführerin von MEZIS – Initiative unbestechlicher Ärztinnen und Ärzte, ist skeptisch: „Wir sehen das in erster Linie als Imagekampagne für die Unternehmen und als Versuch, ein Antikorruptionsgesetz zu verhindern“, so Fischer gegenüber Medscape.

Als richtiges Zeichen wertet hingegen Roland Stahl, Sprecher der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), die Offensive von FSA und vfa:„Wir begrüßen diesen Schritt. Die Pharmaunternehmen müssen ein ureigenes Interesse an Transparenz haben. Allein schon deswegen, um den Generalverdacht von den Anwendungsbeobachtungen zu nehmen“, bekräftigt Stahl auf Nachfrage von Medscape.

Einverständnis der Ärzte ist Voraussetzung für die Veröffentlichung

Bei Spenden, Fortbildungsveranstaltungen sowie Dienstleistungs- und Beratungshonoraren wollen die Pharmafirmen die Ärzte namentlich nennen, die Zuwendungen von ihnen erhalten haben – vorausgesetzt, diese stimmen zu. Geschieht das nicht, werden die Zahlungen addiert und als Summe genannt. Von vorneherein nur als Summe veröffentlicht werden alle Zuwendungen aus dem Bereich „Forschung und Entwicklung“ – dazu gehören klinische Studien und die sogenannten Anwendungsbeobachtungen.

FSA und vfa teilen mit, dass Unternehmen die Leistungen an einzelne Ärzte individuell nachvollziehbar machten, sofern der Datenschutz dies erlaube und der Arzt einverstanden ist. Das sei bei jedem dritten Arzt der Fall, so Dr. Holger Diener, FSA-Geschäftsführer, auf der Seite Pharma-Fakten. Birgit Fischer findet das eine gute Zahl: „Das ist ein Prozess, der sich erst etablieren muss“, meint die vfa-Hauptgeschäftsführerin. Der erweiterte Kodex sei der Beginn einer neuen Entwicklung, der eine neue Kultur der Transparenz schaffen werde.

Im Kreuzfeuer: Anwendungsbeobachtungen

Besonders im Kreuzfeuer stehen die Anwendungsbeobachtungen. Starten Pharmafirmen eine Anwendungsbeobachtung, müssen sie dies der KBV und den Kassen melden. Das gemeinnützige Recherchebüro Correctiv hat mehr als 14.000 Meldungen der Jahre 2009 bis 2014 ausgewertet. Das Ergebnis: Jeder zehnte Arzt in Deutschland stehe auf der Gehaltsliste der Pharmaindustrie.

Laut Correctiv hatten 2014 16.952 Ärztinnen und Ärzte an Anwendungsbeobachtungen teilgenommen, darunter rund 12.000 niedergelassene. Für jeden Patienten hätten die Ärzte 2014 im Schnitt 669 Euro Honorar erhalten. Im untersuchten Zeitraum 2009 bis 2014 wurden Anwendungsbeobachtungen an 1,7 Millionen Patienten geplant. „Insgesamt verteilte die Pharmaindustrie auf diese Weise rund 100 Millionen Euro an Deutschlands Ärzte – pro Jahr“, schreibt Correctiv-Reporter Markus Grill.

Vor Jahren schon wollte Transparency International Anwendungsbeobachtungen verbieten. „Der wissenschaftliche Nutzen von Anwendungsbeobachtungen für die Allgemeinheit ist gleich Null“, stellt Prof. Dr. Ulrich Keil, Epidemiologe und Mitglied der Arbeitsgruppe Gesundheitswesen bei Transparency in einer Stellungnahme fest. Er schreibt: „Der potentielle Schaden dieser schlechten Studien ist immens. Denn eine verlässliche öffentliche Registrierung sowie wissenschaftlich adäquate Veröffentlichungen der Ergebnisse sind nicht gegeben, geschweige denn Transparenz über Nebenwirkungsmeldungen aus diesen Studien.“

Weshalb kein Gesetz nach Vorbild des „Sunshine Act“?

Als größtes Problem des Transparenzkodex sieht MEZIS-Geschäftsführerin Christiane Fischer die Freiwilligkeit der Angaben seitens der Ärzte. „Das zweitgrößte Problem ist, dass ein unabhängiges Gremium als Kontrollinstanz fehlt, stattdessen sind Kläger und Richter identisch“, gibt sie zu bedenken.

 
Wir wollen die Notwendigkeit der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Ärzten besser erklären. Birgit Fischer
 

Zu den im Transparenzkodex ausgewiesenen 575 Millionen meint sie: „Es wird nicht weniger sein, man kann wohl – aufgrund der Freiwilligkeit der Angaben –eher davon ausgehen, dass es mehr gewesen sein wird.“ Das Problem sei auch, dass die Zahlen nicht kontrollierbar wären, da kein Gesamtdatensatz, sondern nur 54 Einzeldatensätze der jeweiligen Firmen zur Verfügung stünden. „Das sieht sich kaum jemand durch. Zur Transparenz ist das in der Form nicht geeignet.“

Die Bundesärztekammer hatte den Kodex im November vergangenen Jahres zwar als „Schritt in die richtige Richtung“ begrüßt (wie Medscape berichtete). „Die übergroße Mehrheit der Ärztinnen und Ärzte lässt sich nichts zu Schulden kommen und muss deshalb Transparenz nicht fürchten. Sie möchte auch nicht von den wenigen schwarzen Schafen in Misskredit gebracht werden“, teilte Samir Rabbata, Sprecher der Bundesärztekammer (BÄK), auf Anfrage mit.

Der Kodex ging der BÄK aber nicht weit genug. In einer gemeinsamen Stellungnahme mit der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) schreibt die BÄK: „Die BÄK und die AkdÄ kritisieren, dass nach dem FSA-Transparenzkodex die Angaben zu den Zuwendungen nicht auf einer zentralen Website abrufbar sein werden, so wie es beim US-amerikanischen `Open payments´-Programm möglich ist. Die Veröffentlichung der Zuwendungen sollte unabhängig von der Zustimmung des Empfängers erfolgen. Wenn Unternehmen gegen die Regeln des FSA-Tansparenzkodex verstoßen, sollten Geldstrafen fest definiert sein.“

 
Wir sehen das in erster Linie als Imagekampagne für die Unternehmen und als Versuch, ein Antikorruptionsgesetz zu verhindern. Dr. Christiane Fischer
 

Die Ärzteschaft, so die BÄK, befürworte schon seit Langem eine gesetzliche Regelung nach dem Vorbild des US-amerikanischen „Physicians Payment Sunshine Act“. Wollten Ärzte nicht genannt werden, sollten Pharma-Unternehmen auf die Zusammenarbeit mit ihnen verzichten, empfiehlt die BÄK.

Stahl sieht in der Freiwilligkeit der Angaben kein Problem: „Ich bin überzeugt davon, dass die allermeisten teilnehmenden Ärzte ein Interesse daran haben, diese Transparenz herzustellen und freiwillig mitmachen.“ Sanktionen gegen Ärzte, die nicht mitmachen, hält Stahl für keine gute Idee: „Das Prinzip der Freiwilligkeit sollte hier zählen. Schließlich geht es um Akzeptanz, nicht um Zwang bei den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten.“

Wie die BÄK wünscht sich auch Christiane Fischer ein Gesetz nach dem Vorbild des Physician Payment Sunshine Act in den USA. „Den Sunshine Act könnte man eins zu eins übernehmen. Dabei werden alle Zahlungen individuell offen gelegt, das ist wirkliche Transparenz.“ In den USA werden alle Zahlungen an Ärzte in der Datenbank „Dollar for Docs“ aufgeführt, die das gemeinnützige Recherchebüro ProPublica veröffentlicht.

Die Crux: Zu wenig unabhängige Forschung und zu wenig reguliert

 
Der wissenschaftliche Nutzen von Anwendungs-beobachtungen für die Allgemeinheit ist gleich Null. Prof. Dr. Ulrich Keil
 

Als Riesenproblem sieht Christiane Fischer, dass es zu wenig unabhängige Forschung gibt und der Staat die Forschung nicht stärker reguliert. „Wir haben eine ungute Forschungslandschaft. Denn die Entscheidung, woran geforscht wird, wird nicht aufgrund des medizinischen Bedarfs getroffen, sondern aufgrund der erwarteten Absatzchancen am Markt“, so Fischer.

Wäre Forschung hingegen am Bedarf orientiert, hätte es schon längst einen Ebola-Impfstoff gegeben. Für die Tuberkulose gilt ähnliches. „1,5 Millionen Menschen leiden an Tuberkulose, wir brauchen dringend neue, moderne Medikamente. Medikamente, mit denen nicht mehr sechs Monate behandelt werden muss.“ Standard ist aber immer noch eine Behandlungsdauer von 6 Monaten und Rifampicin, das aus dem Jahr 1964 stammt. Die – unwirksame – TB-Impfung ist sogar noch älter, sie stammt aus 1964. Stattdessen würden oft Medikamente gegen Krankheiten entwickelt, für die es schon genug bewährte Mittel gäbe, oft sind diese Medikamente nicht besser, sondern nur erheblich teurer, so Christiane Fischer.

Schon kleine Geschenke beeinflussen das Verschreibungsverhalten

 
Das Prinzip der Freiwilligkeit sollte hier zählen. Schließlich geht es um Akzeptanz, nicht um Zwang bei den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten. Roland Stahl
 

Dass Ärzte sich in ihrem Verschreibungsverhalten auch unterbewusst beeinflussen lassen, zeigt jetzt eine Studie im JAMA Internal Medicine [2]. Dr. Colette DeJong vom Center for Healthcare Value der University of California in San Francisco und ihre Kollegen hatten mehr als 63.500 Zahlungen an knapp 280.000 Ärzte analysiert. Sie stellten fest, dass die Mediziner nicht nur häufiger die Präparate von Herstellern verschrieben, von denen sie zum Essen eingeladen worden waren. Es zeigte sich auch ein Zusammenhang zwischen den Kosten der Mahlzeit und der Häufigkeit der Verschreibung.

Offensichtlich beeinflussten bereits kleinere Summen – in den USA sind Geschenke und Essenseinladungen bis 100 Dollar erlaubt – das Verschreibungsverhalten, konstatiert DeJong. Sie schlussfolgert: „Unsere Ergebnisse untermauern die Wichtigkeit permanenter Anstrengungen zu noch mehr Transparenz in den USA und Europa. Obwohl es laut Leitlinien Ärzten erlaubt ist, Geschenke und Einladungen bis hundert Dollar anzunehmen, legen unsere Ergebnisse doch nahe, dass selbst Geldleistungen von weniger als zwanzig Dollar dazu führen, dass anders verschrieben wird. Auch die Auswirkung solch kleiner Beiträge sollte beachtet und in die Transparenzinitiativen miteinbezogen werden.“

 

REFERENZEN:

1. Pressemitteilung: „Forschende Pharma-Unternehmen setzen Transparenzkodex um”, 20. Juni 2016

2. DeJong C, et al: JAMA Internal Medicine (online) 20. Juni 2016

 

Kommentar

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