Arzneimittelkriminalität: Illegale Online-Apotheken machen riesige Gewinne – Strafrechtler fordern schärfere Bekämpfung

Susanne Rytina

Interessenkonflikte

27. Juni 2016

Prof. Dr. Arndt Sinn

Früher verkauften kriminelle Banden Drogen, heute boomt der Handel mit gefälschten Medikamenten. „Arzneimittel sind das neue Kokain“, sagt Prof. Dr. Arndt Sinn, Direktor des Zentrum für Europäische und internationale Strafrechtsstudien (ZEIS) an der Universität Osnabrück, gegenüber Medscape. Der Jurist hat das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit 1,7 Millionen Euro geförderte Projekt ALPhA koordiniert. ALPhA steht für „Auswirkungen der Liberalisierung des Internethandels in Europa auf den Phänomenbereich Arzneimittelkriminalität“. Ziel des Projekts ist es, der Arzneimittelkriminalität schärfer und konsequenter begegnen. An der Universität Osnabrück fand nun die Abschlusskonferenz statt mit Juristen, Polizisten und Politikern aus Deutschland und der EU sowie Apothekern und Unternehmen der Pharmaindustrie [1].

„Weltweit ist jedes zweite im Internet gekaufte Medikament eine Fälschung“, benennt Sinn das Ausmaß auf Basis von OECD-Daten. Geschätzt wird zudem ein Umsatz von weltweit 75 Milliarden US-Dollar pro Jahr, der durch solche Fälschungen erzielt wird. Der Markt scheint immens zu sein, genau beziffern lässt er sich jedoch nicht.

45% der Deutschen haben schon einmal im Internet Medikamente gekauft, so Sinn. Die Käufer sind oft Menschen zwischen 50 und 60 Jahre. Medikamente, die häufig gefälscht werden, sind Potenzsteigerungsmittel, Appetitzügler, Haarwuchsmittel und Nahrungsergänzungsmittel. „In Zukunft wird der Anteil des Handels im Internet steigen. Der Markt wird damit auch attraktiver für kriminelle Banden“, betont Sinn.

Der Verkauf im Internet von Medikamenten ist zwar prinzipiell erlaubt und nicht rechtswidrig, wie der Europäische Gerichtshof schon 2003 befand. Doch viele Verbraucher erkennen nicht, wenn sie einer illegalen Online-Apotheke auf den Leim gehen. Warnsignale seien Hinweise wie: „Wir fragen nicht nach einem Rezept“ – oder wenn ein rezeptpflichtiges Mittel rezeptfrei angeboten wird. Im Netz tummeln sich natürlich auch viele seriöse Anbieter. Diese werben mit EU-Sicherheitslogos, manchmal allerdings nicht gut genug platziert, bemängelt der Jurist.

 
Arzneimittel sind das neue Kokain. Prof. Dr. Arndt Sinn
 

Wer sind die Täter?

Die Gewinnspannen in der Arzneimittelkriminalität sind enorm. So verdiente etwa eine Fälscher-Bande mit einem illegalen Apothekenhandel im Internet in zweieinhalb Jahren rund 21 Millionen Euro. 20 Personen wurden vor dem Landgericht Potsdam 2015 angeklagt. Das Unternehmen Bayer war damals vor dem Landgericht Potsdam als Nebenkläger aufgetreten, weil sein potenzsteigerndes Vardenafil (Levitra®) im großen Stil gefälscht wurde. Die Täter bekamen Haftstrafen bis zu 6 Jahren.

Die Osnabrücker Juristen haben Täterprofile analysiert: Die Fälscherbanden gehen hochspezialisiert vor. An der Spitze gibt es meist einen Kopf, der sich im kriminellen Umfeld Dienstleistungen organisiert und einkauft. Es gibt Webmaster, die die Seiten bauen, und Werbeträger, die Emails versenden und Werbungen schalten. Produziert und eingekauft wird die Ware in China oder Indien. 1 Kilogramm Sildenafil kostet dort in der Herstellung 50 Euro – erlöst werden könnten im Versand damit über 90.000 Euro, erläutert Strafrechtler Sinn.

Gehandelt werden gefälschte Medikamente mit oder ohne Wirkstoff. Die Verpackungen werden dabei hoch professionell nachgeahmt, kaum zu unterscheiden vom Original – ähnlich wie die Blüten beim illegalen Gelddrucken. Die Täter zählen zum Kreis der Wirtschaftskriminalität, physische Gewalt gehe von ihnen kaum aus, meint Sinn.

Das verhält sich bei der italienische Mafia anders: Diese überfällt im „Offline-Bereich“ der Arzneimittelkriminalität Arzneimittel-Transporter oder Kliniken, um die Diebesware dann im Ausland zu „waschen“ und sie danach in gute Absatzländer wie Skandinavien oder auch Deutschland einzuführen und zu verkaufen.

 
Weltweit ist jedes zweite im Internet gekaufte Medikament eine Fälschung. Prof. Dr. Arndt Sinn
 

Gefahren für den Verbraucher …

Gefährlich werde es für den Verbraucher, wenn es sich dabei um Medikamente handelt, deren Kühlkette durch den Raub unterbrochen wurde. Auch wenn der Verbraucher Fake-Medikamente erhalte, die keinen Wirkstoff enthalten, könne dies für ihn gefährlich werden – etwa im Falle von scheinbaren Blutdrucksenkern. Manchmal kommen auch illegale Präparate auf den Markt, die unbekannte Wirkstoffe enthalten, die ebenfalls den Patienten schaden könnten, erläutert Sinn.

… und Schäden für die Industrie

Geschädigte durch Arzneimittelkriminalität sind neben den Verbrauchern auch die Pharmafirmen. Ihnen entgeht nicht nur ein Geschäft. Die Hersteller bekommen Imageprobleme, wenn sie in der Öffentlichkeit unter Verdacht geraten, dass ein Medikament einem Patienten ernsthaft geschadet habe – wobei nicht immer bekannt werde, dass es sich um eine Fälschung gehandelt hat.

Auch in den konventionellen Großhandel, bei dem Apotheken regulär einkaufen, können solche illegale Medikamente gelangen: „Beim Re-Import von Medikamenten werden Umverpackungen vorgenommen. Und dies kann das Einfallstor für illegale Medikamente sein“, erklärt Sinn. Grund zur Panik gebe es jedoch nicht. „Der deutsche Markt ist noch sehr sicher“, betont Sinn.

 
Der deutsche Markt ist noch sehr sicher. Prof. Dr. Arndt Sinn
 

Ab 2019 werde es ein „Track-and-Trace-System“ innerhalb der EU geben. Dabei werden die Hersteller von Medikamenten verpflichtet, die Packung mit einem Matrix-Code zu versehen, der in eine Datenbank eingelesen wurde. Wenn dann die Apotheke die Medikamente beim Verkauf einscannt, werde diese Nummer mit dem Matrix-Code in der Datenbank verglichen. So kann man erkennen, dass es die Originalverpackung vom Hersteller ist.

Chaotische Rechtslage innerhalb der EU

Doch wie wird Arzneimittelkriminalität innerhalb der EU bestraft? „Die Rechtslage ist innerhalb der EU chaotisch“, sagt Sinn, der einen Vergleich innerhalb der 28 Mitgliedstaaten durchgeführt hat. „Wir haben kein gleiches Maß für strafbare Handlungen. Das Strafmaß ist von Land zu Land unterschiedlich. Hier müsste eine Harmonisierung innerhalb der Strafvollzugsordnung stattfinden“, fordert Sinn.

In Deutschland etwa sei für das Herstellen und Fälschen eine Höchststrafe von 3 Jahren vorgesehen. Kommen Gesundheitsgefährdungen von Verbrauchern dazu, erhöhe sich die Strafe um 2 oder 3 Jahre. Bei einer größeren Anzahl von geschädigten Verbrauchern steige das Strafmaß nochmals an.

„Andere Länder haben jedoch allein schon für das Fälschen ohne Gesundheitsbedrohung ein höheres Strafmaß als wir“, so Sinn. In Bulgarien hingegen, ein Extrembeispiel, existiere überhaupt kein Straftatbestand für Arzneimittelkriminalität. Im Vereinigten Königreich werde eher der Verstoß gegen Markenrecht bestraft als die Patientengefährdung. Dass das Strafmaß teils höher sei, wenn der Betrug verurteilt werde, als bei einer Gefährdung der Gesundheit, sei schlecht nachvollziehbar, meint Sinn.

 
Unser Arzneimittel-strafrecht ist neu zu überarbeiten und zu reformieren. Prof. Dr. Arndt Sinn
 

Fälscher in Deutschland haben laut dem Strafrechtler ein leichtes Spiel, weil ihre kriminelle Taten zu wenig verfolgt werden: „Das Arzneimittelstrafrecht ist für die Polizei, für die Staatsanwaltschaften und für die Justiz schwer verständlich, zu komplex und kaum durchdringbar. Unser Arzneimittelstrafrecht ist neu zu überarbeiten und zu reformieren“, empfiehlt Sinn. Politische Entscheidungsträger müssten hier die Weichen zur Verbesserung stellen.

Um die Polizeiarbeit zu unterstützen, hat das Fraunhofer Institut für Sichere Informationstechnologie in Darmstadt in Zusammenarbeit mit Juristen einen Webcrawler entwickelt: ein technisches Tool, das die Polizei bei ihrer Arbeit auf der Suche nach illegalen Internetapotheken unterstützen kann. Das Tool macht Vorarbeiten, stellt etwa Suchanfragen und findet verdächtige Webseiten, die dann die polizeilichen Ermittler näher untersuchen können.

Die Forscher sprachen zudem Handlungsempfehlungen aus. So soll eine Awareness-Kampagne Verbraucher über die illegalen Webseiten aufklären. Auch die internationale Zusammenarbeit von Polizei und Justiz in gemeinsamen Ermittlergruppen soll gestärkt werden. Polizei und Justiz sollten mit angemessenen Ressourcen ausgestattet werden. Außerdem empfehlen die Experten die Aus- und Weiterbildung für die Strafverfolgungsbehörden. Schulungen könnten dazu führen, dass die Online-Kriminalität als ein Gebiet aufgefasst werde, das mit entsprechender Expertise gut zu durchdringen sei. „Die komplexen Systeme können beleuchtet und die kriminellen Netzwerke zerschlagen werden“, betont Sinn.

 

REFERENZEN:

1. ALPhA-Abschlusskonferenz, 20. bis 21. Juni 2016, Osnabrück

 

Kommentar

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