New Orleans – Etwa jede zweite Frau mit Gestationsdiabetes (GDM) entwickelt in der Folgezeit, meist in der ersten Dekade nach der Entbindung, einen manifesten Typ-2-Diabetes. Doch das muss nicht sein, betonte Prof. Dr. Thomas A. Buchanan, Direktor der Abteilung Endokrinologie und Diabetes an der Universitätsklinik Los Angeles, Kalifornien, USA, beim Kongress der American Diabetes Association (ADA) in New Orleans [1]. „Ich bin der sehr starken Überzeugung, dass es möglich ist, bei diesen Frauen den Diabetes zu verhindern. Doch das ist nicht so einfach“, räumte der Internist und Gynäkologe ein. In einer Session beim Kongress widmete er sich ausschließlich dem Outcome der Mütter nach Gestationsdiabetes.
Die derzeit empfohlenen Strategien zur Prävention des Typ-2-Diabetes nach GDM sind: regelmäßige Kontrollen und die Empfehlung, den Lebensstil radikal zu ändern mit Ernährungsumstellung, mehr Bewegung und dauerhafter Gewichtsabnahme (Reduktion des Fettgewebes), wie Buchanan mehrfach betonte. Genügt dies nicht, hilft offenbar Metformin und nach neuesten Daten auch viel Kaffee.
Wie oft kontrollieren – und was?

Dr. Helmut Kleinwechter
Für das Monitoring der jungen Mütter mit erhöhtem Diabetesrisiko gibt es unterschiedliche Algorithmen. So riet Buchanan zur Beobachtung des HbA1c-Wertes in kurzen Zeitintervallen. Steige der Wert allmählich an, so müsse genauer nachgeschaut werden.
Dr. Helmut Kleinwechter, niedergelassener Diabetologe in Kiel, plädierte im Gespräch mit Medscape für ein etwas entspannteres Vorgehen: Demnach genügen leitliniengerecht orale Glukosetoleranztests (oGTT) 6 bis 12 Wochen nach der Entbindung und anschließend in 1-, 2- und schließlich 3-jährlichen Abständen je nach Risiko.
Welche jungen Mütter sind besonders diabetesgefährdet?
Besonders im Auge behalten sollte man laut Kleinwechter Patientinnen, deren Gestationsdiabetes durch folgende Merkmale gekennzeichnet ist:
Adipositas mit einem Body-Mass-Index über 30 kg/m²,
Diagnose des Gestationsdiabetes schon vor der 24. Schwangerschaftswoche,
Nüchternblutzuckerwert über 110 mg/dl (6,1 mmol/l) und/oder 1-h-Wert über 200 mg/dl (11,1 mmol/l) beim oGTT während der Schwangerschaft,
asiatische oder lateinamerikanische Abstammung der Patientin,
Stilldauer unter 3 Monaten,
Verhütung mit Depotgestagenen während der Stillzeit,
Autoantikörper gegen Insulin bildende Zellen (Gefahr eines Typ-1-Diabetes).
Buchanan fand in einer eigenen Studie mit GDM-Patientinnen ebenfalls einige Marker, die mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit eines inzidenten Typ-2-Diabetes nach der Entbindung assoziiert waren. Dazu gehören:
rasche und deutliche Wiederzunahme an Gewicht nach der Geburt des Kindes,
Anstieg der Insulinresistenz,
Anstieg des C-reaktiven Proteins,
Abfall von Adiponektin.
„Adipositas und Gewichtszunahme tragen zu einer sinkenden Betazellkompensation und steigenden Blutzuckerspiegeln bei“, erläuterte Buchanan beim Kongress. „Die Glukosespiegel steigen anfangs langsam an und summieren sich allmählich zu einem manifesten Diabetes auf.“
Glitazone nach GDM sind out, auch wenn Diät und Sport nicht genügen
Gelingt die Reduktion des Fettgewebes durch Lebensstilmaßnahmen nicht, droht ein Typ-2-Diabetes. Um dies doch noch zu verhindern, hatten Buchanan und sein Team in der TRIPOD- und der PIPOD-Studie bei ehemaligen GDM-Patientinnen Thiazolidindione (Troglitazon, später Pioglitazon) eingesetzt. Damit ließ sich die Inzidenz des Typ-2-Diabetes in dieser Hochrisikopopulation durchaus reduzieren.
„Mit Thiazolidindionen wurde dies bislang nur in Buchanans Team versucht“, stellt Kleinwechter auf Nachfrage von Medscape klar. „Nachdem aber Troglitazon wegen der Assoziation mit Leberschäden vom Markt genommen werden musste und nachdem deutlich wurde, dass Pioglitazon mit Gewichtszunahme und einer Abnahme der Knochendichte verbunden ist, werden diese Medikamente heute für ansonsten gesunde junge Mütter nach Gestationsdiabetes nicht mehr empfohlen.“ Auch Sulfonylharnstoffe sind für diese Population eher ungeeignet, sind sich Buchanan und Kleinwechter einig, allein schon wegen der drohenden Gewichtszunahme.
Metformin: bewährtes Medikament hier in der Grauzone
Stattdessen plädieren beide Experten für Metformin. Kleinwechter empfiehlt beispielsweise eine Dosis von 2 x täglich 850 mg für Frauen, die während der Schwangerschaft einen GDM und danach eine gestörte Glukosetoleranz haben.
„Schon im Diabetes Prevention Program, DPP, war aufgefallen, dass Frauen mit vorangegangenem GDM unter Metformin seltener einen manifesten Typ-2-Diabetes entwickeln“, berichtet der Kieler Experte auf Nachfrage. „Hier lag die Entbindung aber mindestens zehn Jahre zurück. Diejenigen GDM-Patientinnen mit der schlechtesten Risikokonstellation hatten zu diesem Zeitpunkt längst ‚ihren‘ Typ-2-Diabetes bekommen und waren vom DPP ausgeschlossen.“
Aussichtsreicher erscheine da eine unverzügliche Metformin-Behandlung junger Mütter nach GDM, falls und sobald sie nach der Entbindung wieder eine gestörte Glukosetoleranz im oGTT zeigen. „Zugelassen ist Metformin in dieser Indikation aber nicht und Studiendaten zur Metformingabe in diesem Zeitfenster gibt es noch nicht. Die Studien laufen noch“, betont Kleinwechter gegenüber Medscape.
Trotzdem, so sein Wunsch, sollte die Metformin-Behandlung ehemaliger GDM-Patientinnen, die postpartal wieder erhöhte Werte im oGTT zeigen, in die Anlage der Arzneimittelrichtlinie aufgenommen werden. Zudem sollte der Gemeinsame Bundesausschuss einen Zusatznutzen von Metformin für diese Indikation akzeptieren, damit die Behandlung erstattungsfähig wäre, so der Experte: „Das würde auch sozial benachteiligten jungen Müttern mit dieser Indikation helfen, die sich einen Heilversuch mit Metformin auf eigene Kosten nicht leisten können.“
Hilft Kaffee bei der Diabetesvorbeugung?
Eine von Dr. Stefanie N. Hinkle, Epidemiologin aus Rockville, USA, in Zusammenarbeit mit Dr. Cuilin Zhang, Rockville, USA, durchgeführte und beim ADA-Kongress vorgestellte Studie gab noch einen Hinweis auf eine Lifestyle-Maßnahme, die den Wünschen und Gewohnheiten vieler Frauen entgegenkommen dürfte und relativ preisgünstig ist: Eine prospektive Untersuchung auf Basis der Daten der Nurses Health Study zeigte eine signifikante Verringerung des inzidenten Typ-2-Diabetes bei Frauen, die in der Schwangerschaft einen GDM erlitten hatten, wenn sie langfristig einen exzessiven Kaffeekonsum pflegten.
Die Kaffeemenge, welche die etwa 4.400 ehemaligen GDM-Patientinnen zu sich nahmen, wurde im Studienverlauf alle 4 Jahre – zusammen mit anderen Ernährungsgewohnheiten – in einem Fragebogen erfasst. „Etwa zehn Prozent der Frauen tranken mindestens vier Tassen Kaffee pro Tag”, berichtete Hinkle. Das hatte offenbar Auswirkungen auf ihren Stoffwechsel: „Sie hatten ein um relativ 36 Prozent verringertes Risiko der Inzidenz eines manifesten Typ-2-Diabetes, verglichen mit Kaffee-abstinenten Studienteilnehmerinnen.“
Der Zusammenhang war und blieb signifikant, ob nun der Gesamtkaffeekonsum, das Trinken von koffeinhaltigem Kaffee oder die Koffeinmenge per se betrachtet wurden. Zudem war bei den starken Kaffeetrinkerinnen der HbA1c-Wert signifikant niedriger als bei den Kaffee-Abstinenzlerinnen.
Kleinwechter wies im Gespräch mit Medscape darauf hin, dass diese Daten zu einer anderen Studie passen: Dort wurde nachgewiesen, dass Kaffeekonsum im ersten Schwangerschafts-Trimenon das Diabetesrisiko von GDM-Patientinnen nach der Entbindung zumindest nicht erhöhte, tendenziell sogar leicht reduzierte.
REFERENZEN:
1. 76. Kongress der American Diabetes Association (ADA), 09.bis 14. Juni 2016, New Orleans/USA
© 2016 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: „Rezepte“ gegen Typ-2 nach Gestationsdiabetes: Sport und Diät, Gewichtsabnahme, Metformin, vielleicht Kaffee - Medscape - 22. Jun 2016.
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