Die Syphilis ist zurück: 2014 wurden in den USA knapp 20.000 Neuerkrankungen berichtet. Nach einem Rückgang der Syphilis-Fälle von 2008 bis 2012 nahmen die Raten zwischen 2012 und 2014 um 38% zu. Ein Anlass für die US Preventive Services Task Force (USPSTF) ihre Empfehlungen für ein Syphilis-Screening zu aktualisieren [1]. Sie empfiehlt nun explizit das Screening für Männer, die Sex mit Männern haben (MSM).
„Die Empfehlungen sind auf alle Fälle sinnvoll“, bewertet Prof. Dr. Norbert Brockmeyer die aktualisierte Fassung der USPSTF, die auf dem Evidenz Report von Dr. Amy Cantor und ihren Kollegen basiert. „Wir sehen auch bei uns in Deutschland erhöhte Syphilis-Raten“, sagt Brockmeyer, ärztlicher Leiter des Zentrum für Sexuelle Gesundheit und Medizin in Bochum und Präsident der Deutschen Gesellschaft für sexuell übertragbare Krankheiten (DSTIG). 2015 gab es in Deutschland rund 6.800 Neuinfektionen, im Vergleich zum Vorjahr ein Anstieg um 14%. Dabei war schon 2014 mit 5.722 ein neuer Höchstwert erreicht worden.
US Task Force: Screening für MSM und nach individuellem Risikoverhalten
Dr. Katherine K. Hsu vom Massachusetts Department of Public Health in Boston und ihre Kollegen betonen in den Empfehlungen, speziell die Patienten zu screenen, die ein erhöhtes Infektionsrisiko aufweisen. MSM, machen einen wachsenden Anteil von männlichen primären und sekundären Syphilis-Fällen aus, so die USPSTF. Die Task Force empfiehlt deshalb explizit das Screening für MSM.

Prof. Dr. Norbert Brockmeyer
„Individuelles Risikoverhalten, wie eine bestimmte Anzahl von Sexualpartnern, die Häufigkeit des Partnerwechsels und wie häufig ungeschützter Sex praktiziert wird, kann ebenfalls zu erhöhten Raten beitragen“, schreiben Hsu und ihre Kollegen. Die Autoren berichten auch, dass das Erkrankungsalter sinkt: Seit 2006 sind die Syphilis-Raten bei Männern in den Altersgruppen 20 bis 24 Jahre und 25 bis 29 Jahre am höchsten und haben damit die Altersgruppe 35 bis 39 Jahre abgelöst.
Einen starken Anstieg der Syphilis unter MSM gibt es auch in Deutschland. „Die Syphilis hat sich v.a. unter Männern, die Sex mit Männern haben, in den letzten zehn Jahren erheblich ausgebreitet – entsprechend einer Verdreifachung der Inzidenz“, teilt die Deutsche STI-Gesellschaft mit. Das bestätigt auch das Robert Koch-Institut: „Der beobachtete Anstieg fand 2014 fast ausschließlich bei Männern und hier insbesondere in der Gruppe der Männer, die Sex mit Männern haben, statt. Meldungen von Personen mit wahrscheinlich auf heterosexuellem Weg erworbenen Syphilis-Infektionen verblieben demgegenüber auf dem Niveau von 2013. Aufgrund des niedrigen Frauenanteils liegt das Hauptaugenmerk bei der epidemiologischen Analyse der Syphilis-Infektionen in Deutschland aktuell bei Männern und hier bei MSM.“
2012 lag die Syphilis-Inzidenz bei Männern mit 10,2 Fällen pro 100.000 Einwohner 14-mal höher als bei Frauen mit 0,7 Fällen pro 100.000 Einwohner. Das RKI weist aber darauf hin, dass die Anzahl von Infektionen bei Frauen seit Einführung des Infektionsschutzgesetzes 2001 nahezu konstant sei und ausreichende Aufmerksamkeit in den Bereichen Prävention, Diagnostik und Behandlung verdiene. Gleiches gelte für von Männern auf heterosexuellem Weg erworbene Syphilis-Infektionen.
Leitlinie STI/STD : Explizite Empfehlungen für konkrete Konstellationen
Singuläre Empfehlungen zur Syphilis-Diagnostik wie in den USA gibt es hierzulande nicht. Wie und wer auf Syphilis gescreent werden soll, findet sich in der im Sommer 2015 erstellten AWMF-S1 Leitlinie STI/STD Beratung, Diagnostik und Therapie. Sie orientiert sich an konkreten Konstellationen. So sollte bei Patienten mit häufig wechselnden heterosexuellen Kontakten (10 und mehr im Jahr) und heterosexuellen Kontakten zu Partnern aus Regionen mit hoher STI-Prävalenz eine HIV-Serologie, eine Syphilis-Serologie und eine Chlamydien- und Gonorrhoe-Diagnostik erfolgen.
Bei Frauen ist zusätzlich eine gynäkologische Untersuchung notwendig. Haben Frauen sexuellen Kontakt mit MSM sollten diese Untersuchungen alle 6 bis12 Monate vorgenommen werden. Bei Patienten mit Partnern, die mittels Injektionen oder intranasal Drogen konsumieren, sollte zusätzlich eine Hepatitis-C-Serologie durchgeführt werden.
Sexuell aktive MSM ohne Symptome einer STI sollten sich alle 6 bis 12 Monate auf HIV, Syphilis, Hepatitis A, B und C, Gonorrhoe, Chlamydien, Genitalherpes (HSV) und HPV testen lassen. Wer ein anamnetisch höheres Risiko aufweist – etwa viele Sexualpartner hat – sollte sich alle 3 bis 6 Monate testen lassen. „HIV-infizierte Männer sollten alle drei Monate auf Syphilis und andere sexuell übertragbaren Erkrankungen getestet werden“, betont Brockmeyer. Und auch sexuell aktive MSM, die zwar keine Symptome haben, aber Analverkehr ohne Kondome praktizieren, sollten alle 3 Monate gescreent werden.
Sexualverhalten offen ansprechen
Die USPSTF weist in ihrem Statement darauf hin, dass laut National Survey of Family Growth 2,4% der Jungen im Alter von 15 bis 19 Jahren und 5,6% der Männer im Alter von 20 bis 24 von Oralverkehr oder Analverkehr mit anderen Männern berichten. Gleichwohl, kritisiert die Task Force, werde Sexualität schon von Kinder- und Jugendärzten „viel zu selten thematisiert“.
„Das ist ein generelles Problem und auch ein altes Problem“, sagt Brockmeyer dazu. Eine besondere Schwierigkeit sieht er darin, dass speziell über die sexuelle Orientierung zu selten gesprochen wird.
Dabei könne sich aber jeder quasi an die eigene Nase fassen: „Das Sprechen über Sexualität gehört nun mal nicht zu unseren Vorlieben, es ist tabubehaftet und jeder hofft, dass der andere es anspricht oder ausspricht“. Da gebe es eine große Hemmschwelle, so Brockmeyer: „Auch deshalb gehen so viele Patienten erst spät zum Arzt, deshalb haben wir so viele Spätdiagnosen bei den sexuell übertragbaren Krankheiten.“
Wie bekommt man die Patienten dazu, sich testen zu lassen?
Brockmeyer erinnert an Zeiten, in denen eine Syphilistestung aufgrund der hohen Prävalenz so verbreitet war, dass praktisch jeder getestet wurde, der sich in einer dermatologischen Klinik vorstellte. Trotz seit Jahren steigender Neuinfektionen „wäre es aber keine gute Lösung wieder alle zu testen, die in die Klinik kommen. Die Frage ist deshalb, wie wir es schaffen, die Leute anzusprechen, und bei Symptomen oder auch nach Risikokontakten sich beraten und testen zu lassen“, sagt Brockmeyer.
Er betont, dass stärker auf Symptome und auf mögliche Infektionen geachtet werden müsse. Bei jungen Männern liegt der Anteil derer, die mit Chlamydien infiziert sind bei bis zu 19%. Bei den jungen Frauen sieht es nur wenig besser aus. Bei Tests im Rahmen von Schwangerschaften zeigen sich Infektionsraten mit Chlamydien von 6 bis 7%. „Wir müssen was sexuell übertragbare Erkrankungen angeht, neu denken. Wir müssen die Menschen dazu bringen, sich testen zu lassen. Und dazu müssen wir über Sexualität sprechen.“
REFERENZEN:
1. Hsu KK, et al: JAMA Pediatr. (online) 7. Juni 2016
Gonorrhoe & Co: Unterschätzt und mitunter schon vollständig gegen Antibiotika resistent
Hautausschläge nach ungeschütztem Sex – es muss nicht immer Syphilis sein
Andere sexuell übertragbare Infektionen bei HIV-Infizierten – screenen auch ohne Symptome?
Hat Zunahme von AIDS mit der Wechselwirkung von Syphilis und HIV zu tun?
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Diesen Artikel so zitieren: Immer mehr Syphilis-Fälle: US Task Force empfiehlt Screening nach individuellem Risikoverhalten - Medscape - 20. Jun 2016.
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