Immuntherapie schlägt erstmals Standard-Chemotherapie bei r/r-ALL-Patienten: Längeres Überleben durch Antikörper

Dr. Susanne Heinzl

Interessenkonflikte

16. Juni 2016

Kopenhagen – Blinatumomab, ein bispezifisches T-Zell-verstärkendes Antikörperkonstrukt, verlängerte das Überleben von vorbehandelten Patienten mit akuter lymphatischer Leukämie im Vergleich zu Standard-Chemotherapie von 4 auf 7,7 Monate. Die Patienten litten unter Philadelphia-Chromosom negativer (Ph-), rezidivierter oder refraktärer B-Vorläufer akuter lymphatischer Leukämie (r/r ALL). „Dies ist die erste Studie, in der mit einer Immuntherapie ein verbessertes Überleben im Vergleich zu Standard-Chemotherapie bei Patienten mit r/r ALL nachgewiesen werden konnte“, so Prof. Dr. Max Topp, Universitätsklinik Würzburg, bei der Vorstellung der Ergebnisse der TOWER-Studie beim 21. Jahreskongress der European Hematology Association in Kopenhagen [1].

„Die heute gezeigten Daten bekräftigen nicht nur das Potenzial einer Immuntherapie, die auf T-Zell verstärkenden bispezifischen Antikörperkonstrukten basiert, sondern bestätigen auch die Wirksamkeit von Blinatumomab für diese bereits stark vortherapierten Patienten“, so der Hämatoonkologe. „Blinatumomab bei ALL ist eine Erfolgsgeschichte“, kommentierte er bei einer Pressekonferenz der EHA.

Prof. Dr. Anton Hagenbeek, Abteilung für Hämatologie am Academic Medical Center der Universität Amsterdam, wies bei dieser Pressekonferenz darauf hin, dass „erstmals bei diesen Patienten mit einer Monotherapie, die tolerabel ist, das Überleben verlängert werden konnte.“

Prof. Dr. Max Topp

ALL hat schlechte Prognose

Die akute lymphatische Leukämie ist eine seltene, rasch fortschreitende Krebserkrankung des Blutes und des Knochenmarks. Bei Erwachsenen handelt es in etwa 75% der Fälle um eine B-Vorläufer ALL, davon sind 75 bis 80% Philadelphia-Chromosom negativ (Ph-). Etwa die Hälfte der von dieser Erkrankung betroffenen Erwachsenen hat eine refraktäre Erkrankung oder erleidet ein Rezidiv.

Erwachsene Patienten mit einer Ph-, rezidivierten oder refraktären B-Vorläufer ALL sind oft jung: Zum Zeitpunkt der Diagnose sind sie im Median zwischen 34 und 39 Jahre alt. Die Prognose für Patienten mit r/r ALL ist schlecht, mit einer Standardtherapie kann bei 20 bis 30% ein komplettes Ansprechen und ein medianes Überleben von 3 bis 6 Monaten erreicht werden.

Mit dem bispezifischen Antikörperkonstrukt Blinatumomab steht seit November 2015 eine neue Therapieform zur Verfügung, die endogene T-Zellen durch Verbindung von CD3 im T-Zellrezeptor (TCR)-Komplex mit CD19 auf gutartigen und malignen B-Zellen aktiviert. Grundlage der Zulassung war der Nachweis von Wirksamkeit und Verträglichkeit in einer ebenfalls von Topp geleiteten Phase-2-Studie (211-Studie), in die 189 Erwachsene mit r/r ALL aufgenommen worden waren. In dieser einarmigen Studie wurden nach 2 Zyklen Blinatumomab eine Ansprechrate von 43% und ein medianes Gesamtüberleben von 6,1 Monaten erreicht.

Phase-3-Studie zeigt Überlebensverlängerung durch Blinatumomab

 
Dies ist die erste Studie, in der mit einer Immuntherapie ein verbessertes Überleben im Vergleich zu Standard-Chemotherapie bei Patienten mit r/r ALL nachgewiesen werden konnte. Prof. Dr. Max Topp
 

Beim EHA-Kongress stellte Topp nun die Daten der ersten Interimsanalyse der offenen, randomisierten Phase-3-Studie TOWER vor, in der Wirksamkeit und Verträglichkeit von Blinatumomab (n = 271) und Standard-Chemotherapie (n = 134) bei Patienten mit r/r ALL verglichen wurden. Blinatumomab wurde zur Induktion kontinuierlich über zweimal 4 Wochen mit einer zweiwöchigen Pause dazwischen infundiert, in der Erhaltungstherapie erhielten die remittierten Patienten die kontinuierlichen Infusionen mit achtwöchigen Pausen bis zur Progression.

Aufgrund der bei einer vordefinierten Interimsanalyse nachgewiesenen Wirksamkeit empfahl das Datenüberwachungskomitees eine vorzeitige Beendigung der Studie. Die Patienten waren im Median 37 Jahre alte, rund 40% waren Frauen. Etwa 35% hatten eine Stammzelltransplantation erhalten.

 
Erstmals konnte bei diesen Patienten mit einer Monotherapie, die tolerabel ist, das Überleben verlängert werden. Prof. Dr. Anton Hagenbeek
 

Die Ansprechrate in der Induktionsphase betrug mit Blinatumomab 44%, mit der Vergleichstherapie 25% (p < 0,001), ein komplettes Ansprechen erreichten 34 bzw. 16% (p < 0,001) der Patienten. Der primäre Endpunkt, das Gesamtüberleben, war unter Blinatumomab mit 7,7 Monaten signifikant länger als unter der Standardtherapie mit 4,0 Monaten (Hazard-Ratio 0,71, p = 0,012). Auch in nahezu allen Subgruppen wirkte der Antikörper besser als die Vergleichstherapie.

Neutropenien und Infektionen waren unter Blinatumomab seltener als mit der Standardtherapie, neurotoxische Reaktionen traten ähnlich häufig auf. Bei 5 Patienten unter Blinatumomab kam es zu einem Zytokin-Release-Syndrom, das aber aufgrund der Applikationsform des Antikörpers als kontinuierliche Infusion gut behandelbar war.

 

REFERENZEN:

1. 21. Jahreskongress der European Hematology Association (EHA), 9. bis 12. Juni 2016, Kopenhagen

 

Kommentar

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