Ärzte sollen ihren Patienten künftig auch den Weg durch den Dschungel medizinischer Informationen im Internet weisen. Das wünscht sich Dr. Jan Böcken von der Bertelsmann Stiftung anlässlich des 2. Gesundheitsmonitors 2016 der Stiftung, der eben erschienen ist, im Gespräch mit Medscape [1]. Denn Böcken sieht den Arzt hier in einer Lotsenfunktion.
Allerdings: Die Studie zeigt, dass viele Ärztinnen und Ärzte diese Funktion weder ausfüllen können noch wollen. Im Gegenteil: Sie stehen Informationen aus dem Internet sehr kritisch gegenüber – und auch den Patienten, die mit Informationen aus dem Web in ihrem Sprechzimmer erscheinen.
Ärzte sehen informierte Patienten kritisch
„Hat sich die Medizin für den mündigen Patienten geöffnet?", fragt die Autorin der Monitor-Studie, Anja Bittner. Und die Antwort lautet: Nein, jedenfalls dann nicht, wenn der Patient seine Informationen aus dem Internet hat. So gab zwar ein Viertel der niedergelassenen Ärzte an, dass sich rund 30% ihrer täglichen Patientinnen und Patienten über das Internet vorinformiert haben. Die 4 häufigsten Themen, über die sich die Patienten informierten, sind laut Umfrage die Therapien, die Symptome, die Behandlungen allgemein und die Kassenleistungen.
Aber nur 47% der befragten Ärztinnen und Ärzte sehen in den (vor-)informierten Patienten eine Chance für eine positive Veränderung des Arzt-Patienten-Geschehens. 98% der Ärzte erklären zwar, dass sich der Trend zur Selbstrecherche medizinischer Fragen in den vergangenen 5 Jahren verstärkt habe. Aber nur 40% freuen sich über das Interesse der Patienten. Knapp 10% ärgern sich sogar, dass der Patient sich mit seiner Frage nicht zuerst an sie, sondern an „Doc. Internet" gewandt hat. Auch stimmten nur ein Viertel der Aussage zu, „dass die Selbstinformationen das Verständnis der Ausführungen erleichtert", so die Studie.
Nur etwa ein Drittel der Ärzte glaubt zudem, dass Patienten sich in Gesundheitsfragen durch Internetrecherche leichter entscheiden können, höhere Sicherheit erhalten (16%) oder nach einer Eigenrecherche eher in die Praxis kommen (20%).
Die meisten Mediziner bleiben also misstrauisch, wenn ein Patient seine Recherchen präsentiert. 45% der befragten Ärzte erklärten sogar, dass die Selbstinformation bei den Patienten eine unangemessen hohe Erwartungshaltung schaffe und die Patienten eher verwirre.
Vielen Ärzten ist die Netzinformation ihrer Patienten umso suspekter, je weniger sie sich selbst mit Patienteninformationen aus dem Internet befasst haben. Wer sich nach eigenem Bekunden nicht besonders gut mit Patienteninformationen auskannte, sah infolgedessen auch wenig Sinn in den Netzinformationen seiner Patienten.
Je positiver dagegen Ärzte auf die Gesundheitsinformationen ihrer Patienten reagieren, umso weniger haben sie das Gefühl, dass ihnen ihre Patienten misstrauen oder dass sie im Praxisablauf zeitlich überfordert werden. Eine positive Einstellung geht auch mit weniger Ärger über die Patienten einher. Der Beziehung zum Patienten dürfte es also mehr als gut tun, wenn sich die relativ wenig netzaffinen Ärzte konsequent mit den Gesundheitsangeboten im Internet vertraut machen.
Ärzte kennen einschlägige Portale nicht
Tatsächlich kennen die Ärzte aber die zuverlässigen Portale kaum. So rangieren laut der Studie `Wikipedia´, das Arztbewertungportal `jameda´ und die `Apotheken Umschau´ ganz oben auf der Bekanntheitsskala der Mediziner. Die qualitätsgesicherte (telefonische und) Online-Beratungsstelle Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) kennen aber nur 20% der Ärzte. Noch weniger bekannt sind die Adressen `patienten-information.de´ der Bundesärztekammer (BÄK) und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), `patientenberatung.de´ der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD) oder `gesundheitsinformation.de´ vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Sie alle haben die Informationen evidenzbasiert und laienverständlich aufgearbeitet. Trotzdem finden die Ärzte `Wikipedia´ doppelt so vertrauenswürdig wie die Seite `patientinformation.de´, „die von den Interessenvertretungen der Ärzte beauftragt und umgesetzt wird", wie es in der Studie heißt.
„Ärzte sollten deshalb selbst weit mehr Fortbildungen zum Thema machen", sagt Böcken zu Medscape. Denn der wesentliche Grund für Abneigung vieler Ärzte sei „Verunsicherung. Ärzte können nicht bewerten, was sie nicht kennen. Darum sollten sie sich über zuverlässige Online-Portale informieren, um sie auch den Patienten empfehlen zu können." Der „Push-Effekt", wie Böcker sagt, „muss nicht vom Patienten kommen, sondern vom Arzt."
Zwei wesentliche Punkte indessen ventiliert die Studie fast nicht: die – manchmal zweifelhafte – Qualität der Informationen, die der Patient aus dem Internet gefischt hat, und infolgedessen den Aufwand an Zeit, in der Sprechstunde die Spreu der Desinformation vom Weizen Qualitätsinformationen zu scheiden. Hier wären die Kassen gefragt, in diesem Fall die Barmer GEK, die den Monitor erstellt hat, um die sprechende Medizin besser zu honorieren.
Das sieht die Krankenkasse aber anders: „Investitionen der Ärzte in bessere Patienteninformationen sind nicht allein im Interesse der Patienten, sondern führen insbesondere auch bei den Ärzten selbst zu Zeitersparnis", sagt Thorsten Jacob, Pressesprecher der Barmer GEK gegenüber Medscape. „Die im EBM bereits bestehenden Vergütungsmöglichkeiten für die ärztliche Beratung und Erörterung sind deshalb aus unserer Sicht ausreichend."
REFERENZEN:
1. Bittner A: Gesundheitsminitor Newsletter 2/ 2016
© 2016 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Viele Ärzte sind genervt von Patienten, die sich im Internet informieren – was sind die Ursachen? - Medscape - 15. Jun 2016.
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