Wie die New York Times jetzt berichtet hatte, entscheiden sich immer mehr amerikanische Männer, bei denen ein early stage PCA (Prostatakarzinom) diagnostiziert wurde, für die Active Surveillance (AS). Noch vor wenigen Jahren hätten nur 10 bis 15% der Patienten die AS gewählt. Mittlerweile seien es 40 bis 50%, so die NYT weiter.

Prof. Dr. OIiver Hakenberg
Rund 70.000 Männer erkranken pro Jahr in Deutschland am PCA – nicht wenige lehnen eine Operation oder Strahlentherapie ab. „Den Trend zur Active Surveillance gibt es auch in Deutschland, mehr und mehr Patienten wollen das“, bestätigt Prof. Dr. OIiver Hakenberg, Direktor der Klinik und Poliklinik für Urologie am Universitätsklinikum Rostock und Generalsekretär der DGU, im Gespräch mit Medscape. „Unter den Männern mit Niedrig-Risiko-Karzinom sind es 15 Prozent der Patienten. Es gilt aber auch: Je jünger ein PCA-Patient ist, desto seltener tendiert er zur Active Surveillance“, erklärt Hakenberg.
Die Deutsche Gesellschaft für Urologie sehe den Trend durchaus positiv: „Wir empfehlen Active Surveillance als gleichwertige Therapieoption und finden den Ansatz unterstützenswert. Allerdings fehlen klare Langzeitdaten: „Unsere bisherigen Daten dazu reichen maximal über fünf bis sechs Jahre.“
Wie sicher ist eine Progression vorhersagbar?
Die Philosophie der Active Surveillance ist, dass PCAs mit geringem Volumen und niedriger Malignität (< 1,3 ml Volumen, Gleason 6, maximal 2 Biopsate bei 12-facher Random Biopsie weisen einen Tumoranteil von höchstens 50% auf und ein PSA-Wert < 10) keine krebsbedingte Mortalität verursachen. Die Patienten werden überwacht und bei Progressionsbeginn therapiert. Die Behandlung sollte dabei so effektiv sein, als hätte sie bereits zu Beginn der AS begonnen. Bei Gleason-Score 6, so die zugrunde liegende Überlegung, sind die karzinogenen Signalwege – die typisch für ein aggressives Karzinom sind, - noch nicht aktiviert.
Dass der Progress eines Early-stage-PCAs sicher erkennbar ist, ziehen Arbeiten wie die von Cooper aus 2015 in Zweifel, die zeigt, dass der Tumor nicht kontinuierlich wächst, sondern schon sehr früh innerhalb der Prostata zu streuen beginnt. Auf dem Hamburger Urologenkongress wies Prof. Dr. Christian-Georg Stief, Direktor der Urologischen Klinik I und Poliklinik der LMU München, darauf hin, dass sich Berichte mehrten, nach denen sich Metastasen von verstorbenen Patienten molekulargenetisch auch auf solche Herde innerhalb der Prostata zurückführen ließen, die primär als Gleason 6 Karzinome identifiziert wurden. Und auch Katja Lellig und ihre Kollegen wiesen 2015 an 308 AS-Patienten nach, dass 40% von diesen „understaged“ waren: 40% der Patienten also, die vermeintlich perfekte Kandidaten für eine AS gewesen wären, wiesen tatsächlich deutlich höhere Gleason-Werte auf.
Nachbiopsie schon nach sechs statt nach 18 Monaten
„Bei der Active Surveillance wurde ein Fehler gemacht – es wurde erst nach 18 Monaten nachbiopsiert. Jetzt wird frühzeitig nachbiopsiert, bereits nach sechs Monaten“, erklärt Hakenberg. Damit werde versucht, eine mögliche Progression möglichst schnell zu erfassen um keine Zeit zu verlieren.
Die PREFERE-Studie – die AS, Operation, Radiotherapie und Brachytherapie zur Behandlung eines lokal begrenzten Prostatakarzinoms miteinander vergleicht – hat bereits einige Erkenntnisse zur AS geliefert. Demnach verbessert die Zweitbefundung die diagnostische Treffsicherheit und nützt so dem Patienten. In 20% der Fälle ändert sich die pathologische Diagnose „Das ist schon sehr bedeutsam. Es sollte überlegt werden, ob nicht grundsätzlich eine zweite Pathologie sinnvoll ist. Das gäbe deutlich mehr Sicherheit – auch in Bezug auf die Entscheidung für oder gegen eine Active Surveillance“, betont Hakenberg.
„Es gibt kritische Stimmen, die sagen: Wird drei Jahre mit einer Therapie gewartet, sind die Ergebnisse tendenziell schlechter.“ Hakenberg rät, mit dem Patienten darüber offen zu sprechen und ihm zu sagen, dass ein geringes Risiko besteht, dass die Behandlungsergebnisse nach 3 Jahren AS möglicherweise nicht so gut sind, als wäre sofort operiert worden. „Ich persönlich halte das Risiko für gering.“
Dass andererseits die Lebensqualität nicht nachhaltig beeinträchtigt ist, wenn sich der Patient für eine invasive Therapie statt für AS entscheidet, zeigen die Daten der HAROW-Studie. Bei den kurativen Optionen bestehen die im Vergleich zur AS niedrigeren Werte für die Lebensqualität der OP und RT-Patienten nur im ersten Studienjahr. Erklärbar ist das mit dem Eingriff und der anschließenden Rekonvaleszenzphase.
Einen Active-Surveillance-Hype mit Ausmaßen wie in den USA, fürchtet Hakenberg hierzulande nicht: „Ich glaube nicht, dass man in Deutschland jemals auf 40 Prozent AS kommen wird, ich denke, man wird hier vernünftiger damit umgehen als in den USA.“
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Diesen Artikel so zitieren: Niedrig-Risiko-Prostatakarzinom: Mehr und mehr Männer in den USA entscheiden sich für Active Surveillance - Medscape - 13. Jun 2016.
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