Chicago –Die Immuntherapie gehört in der Onkologie zu den besonders vielversprechenden Ansätzen. Bei Tumoren, bei denen zum Teil seit Jahrzehnten keine Erfolge zu verzeichnen waren, gibt es damit erste ermutigende Ergebnisse. Einige besonders interessante Studien – beim fortgeschrittenen Blasen- und Magenkarzinom sowie beim kleinzelligen Lungenkrebs – sind beim Jahreskongress der ASCO (American Society of Clinical Oncology) in Chicago vorgestellt worden [1].
„Beim fortgeschrittenen Blasenkrebs haben wir quasi seit einer Dekade keine therapeutischen Fortschritte gesehen“, sagte ASCO-Experte Dr. Charles Ryan, University of California, San Francisco, bei einer Pressekonferenz. „Nahezu die Hälfte der Patienten kommt für die einzig bewiesene lebensverlängernde Therapie, Cisplatin, nicht infrage, weil sie zu gebrechlich sind“, ergänzte Prof. Dr. Arjun Vasant Balar vom New York University Langone Medical Center. Er war Leiter einer einarmigen Phase-2-Studie, in der eine neue Anti-PD-L1-Immuntherapie, Atezolizumab (Tecentriq®, Genentech), bei genau dieser Patientengruppe getestet wurde.
Tatsächlich kam es unter dem Checkpoint-Inhibitor Atezolizumab bei rund einem Viertel der 119 Patienten zu einer Regression des Tumors. Atezolizumab löst eine „Bremse“ des Immunsystems, die verhindert, dass dieses die Tumorzellen attackiert. Die mediane Überlebenszeit betrug 14,8 Monate. Unter den üblichen Carboplatin-basierten Therapien, die eingesetzt werden, wenn Cisplatin nicht in Frage kommt, betragen die Überlebenszeiten nur 9 bis 10 Monate. Bei 21 der 28 Patienten (75%), die auf Atezolizumab ansprachen, hält die Response nach einem medianen Follow-up von 14,4 Monaten derzeit noch an, berichtete Balar.
Die Immuntherapie sei gut vertragen worden, nur 10 bis 15% der Behandelten hatten schwerere Nebenwirkungen – typischerweise Hypothyreoidismus, Leberfunktionsstörungen, Hautausschläge und Diarrhoen. Nur 6% brachen die Therapie aufgrund der Toxizität ab. Unter einer Carboplatin-basierten Chemotherapie betragen die Abbruchquoten rund 20%.
Aufgrund der ermutigenden Ergebnisse wird Atezolizumab nun in weiteren randomisierten Studien – als adjuvante Therapie beim frühen Blasenkrebs und in fortgeschrittenen Tumorstadien – untersucht. Und auch andere Checkpoint-Inhibitoren sind beim Blasenkrebs im Studientest. Ryan kommentierte: „Die Tatsache, dass diese Art der Behandlung auch für ältere Patienten sicher ist, für die wir derzeit oft keine guten Alternativen haben, macht diese Ergebnisse besonders ermutigend.“
Magenkarzinom: Neuartiger Antikörper verlängert Überlebenszeit um fast fünf Monate
Einen neuartigen Antikörper, IMAB362, hat eine europäische Phase-2-Studie beim fortgeschrittenen Magenkarzinom getestet. Die Patienten erhielten IMAB362 zusätzlich zur Standard-Chemotherapie EOX (Epirubicin, Oxaliplatin, Capecitabin). Dr. Salah-Eddin Al-Batran vom Institut für klinische Krebsforschung am Nordwest-Krankenhaus in Frankfurt am Main stellte die sehr vielversprechenden Ergebnisse in Chicago vor: Die mediane Überlebenszeit verlängerte sich um nahezu 5 Monate.
IMAB362 ist gegen das Protein Claudin18.2 gerichtet. Es findet sich laut Al-Batran bei rund der Hälfte der Patienten mit Magenkrebs und auch bei vielen anderen Tumorarten, etwa Pankreas-, Lungen-, Speiseröhren- und Ovarkarzinomen. „Dieses einzigartige neue Target findet sich außer in der Magenschleimhaut in keinem gesunden Gewebe, was die Nebenwirkungen der Therapie minimiert“, betonte er. Der Antikörper bindet an Claudin18.2, das für die Kommunikation der Tumorzellen eine Rolle spielt, und löst dann nach Angaben des Onkologen den Zelltod aus.
In der Studie erhielten 161 Patienten mit fortgeschrittenem Magenkrebs (und Claudin18.2-Nachweis) randomisiert den neuen Antikörper oder die Chemotherapie allein. Unter IMAB362 verlängerte sich die mediane Zeit bis zur Krankheitsprogression von 4,8 auf 7,9 Monate und die mediane Überlebenszeit von 8,4 auf 13,2 Monate. Die Patienten mit den höchsten Claudin18.2-Spiegeln erreichten unter dem Antikörper sogar mediane Überlebenszeiten von 16,7 Monaten.
Nach Angaben des Frankfurter Onkologen wurde die zusätzliche Immuntherapie gut vertragen, lediglich Erbrechen und Neutropenien kamen in der Kombinationsgruppe etwas häufiger vor. Im kommenden Jahr ist eine Phase-3-Studie des vom Unternehmen Ganymed Pharmaceuticals entwickelten Antikörpers geplant – und auch beim Pankreaskarziom soll IMAB362 in einer Phase-2-Studie getestet werden.
Antikörper-Konjugat beim kleinzelligen Lungenkrebs
Einen weiteren neuen immunologischen Ansatz haben US-Wissenschaftler – zum ersten Mal beim Menschen – in einer Studie mit Patienten mit refraktärem kleinzelligem Lungenkarzinom (SCLC) mit vielversprechendem Ergebnis getestet. Die Strategie kombiniert einen neuartigen anti-DLL-3-Antikörper mit einem sehr starken Zytostatikum (Pyrrolobenzodiazepin-Dimer),
Der Antikörper dient dazu, das Chemotherapeutikum direkt am Ort seiner zellzerstörenden Wirkung freizusetzen – für einen systemischen Einsatz wäre es zu toxisch. DLL-3 ist eine für den kleinzelligen Lungenkrebs spezifische Struktur, die sich bei etwa 2 Drittel der Patienten auf der Oberfläche der Tumorzellen findet. Das neue Konjugat aus Antikörper und Chemotherapeutikum trägt den Namen Rovalpituzumab Tesirin (Rova-T) und wird vom Unternehmen Stemcentrx Inc entwickelt.
Von 61 auswertbaren Studienteilnehmern – bei allen war die Erkrankung unter mindestens einer vorangegangenen Therapie progredient – kam es bei 15 zu einer Tumorremission, insgesamt 44 Patienten profitierten von der Behandlung mit zumindest einer Stabilisierung der Erkrankung. Auch hier war der Erfolg bei denjenigen mit den höchsten Spiegeln an DLL-3 am besten: Unter diesen 26 Patienten betrug die Response-Rate 39%, die mediane Überlebenszeit 5,8 Monate; 32% überlebten mindestens ein Jahr.
Studienleiter Prof. Dr. Charles M. Rudin, Memorial Sloan Kettering Cancer Center, New York, kommentierte dies: „Auch wenn diese Daten noch vorläufig sind, so scheint Rova-T doch die erste gezielte Therapie zu sein, die beim kleinzelligen Lungenkarzinom wirksam ist – und wir haben mit DLL-3 vielleicht den ersten prädiktiven Biomarker bei dieser Erkrankung identifiziert.“
Derzeit läuft eine einarmige Phase-2-Studie mit SCLC-Patienten, deren Krebs unter mindestens 2 vorhergehenden Therapien progredient war. Rova-T soll zudem in der Firstline beim kleinzelligen Lungenkrebs sowie bei anderen DLL-3-exprimierenden neuroendokrinen Tumoren getestet werden.
Die Einschätzung des ASCO-Experten Dr. Gregory Masters, Christiana Care Hospital in Newark, Delaware, auf der Pressekonferenz: „Diese Resultate sind ein gutes, frühes Zeichen des Erfolgs gegen einen Krebs, gegen den wir ganz dringend neue bessere Therapieoptionen benötigen.“
REFERENZEN:
1. American Society of Clinical Oncology (ASCO) 2016 Annual Meeting, 3. bis 7. Juni 2016, Chicago/USA
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Diesen Artikel so zitieren: Neue Immuntherapien: Erste Zeichen des Erfolgs bei kleinzelligem Lungenkrebs sowie bei Blasen- und Magenkarzinom - Medscape - 10. Jun 2016.
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