Chicago – Die Präzisionsmedizin erobert zunehmend die Onkologie. „Sie wird langfristig zu einem Paradigmenwechsel führen. Wir behandeln Tumore dann nicht mehr nach ihrem Typ, also Darmkrebs, Brustkrebs oder Lungenkrebs, sondern wählen die Therapie entsprechend der gefundenen molekularen Veränderungen“, zeigte sich ASCO-Sprecher Prof. Dr. Sumanta Kumar Pal, klinischer Onkologe aus Duarte, Kalifornien, bei einer Pressekonferenz während des ASCO-Jahreskongresses in Chicago überzeugt [1].
Dort wurden erste, so Pal, „frühe, aber sehr ermutigende Resultate“ dieser neuen Strategie präsentiert. In der US-amerikanischen Phase-2a-Studie „My Pathway“ – einer sogenannten Multiple Basket Studie, in der Patienten mit fortgeschrittenen soliden Tumoren unterschiedlicher Lokalisation zusammengefasst wurden – erhielten bislang 129 Teilnehmer, die mit den zugelassenen Behandlungen als austherapiert galten, eine Therapie entsprechend ihrem molekularen Tumorprofil.
Zuvor hatten die Teilnehmer im Mittel 3 unterschiedliche Behandlungen erhalten, die Erkrankung war aber trotzdem progredient. Immerhin 29 der 129 Patienten mit 12 verschiedenen Tumorarten sprachen mit Remissionen auf die nach molekularen Kriterien ausgewählten Therapien an, die hierbei alle außerhalb ihrer in den USA zugelassenen Indikation angewendet wurden.
Im Einzelnen wurden die Teilnehmer von MyPathway auf 4 verschiedene bei unterschiedlichen Krebsarten vorkommende molekulare Veränderungen getestet, berichtete Studienautor Dr. John Hainsworth, Sarah Cannon Forschungsinstitut, Nashville, Tennessee, bei der Pressekonferenz:
HER2 (bei Brustkrebs zugelassene Therapie Trastuzumab plus Pertuzumab),
BRAF (beim Melanom zugelassene Therapie Vemurafenib)
Hedgehog (beim Basalzellkarzinom zugelassene Therapie Vismodegib)
EGFR (beim nicht kleinzelligen Lungenkrebs zugelassene Therapie Erlotinib)
Entsprechend der Testergebnisse erhielten die Patienten dann diejenige Behandlung, die der bei ihnen festgestellten Veränderung entsprach, aber außerhalb der von der FDA zugelassenen Indikation lag.
Besonders vielversprechend bei HER2-Veränderungen
So wurde z.B. eine HER2-Amplifikation/Überexprimierung bei 61 Patienten festgestellt, wie Hainsworth berichtete. Diese Patienten hatten fortgeschrittene kolorektale Karzinome (n = 20), Blasen- (n = 8) oder Gallengangkrebs (n = 6), nicht kleinzellige Bronchialkarzinome (n = 7), Pankreas- (n = 6) oder Kopf-/Hals-Tumoren (n = 3) oder andere Krebsarten (n = 11). Sie erhielten Trastuzumab plus Pertuzumab und immerhin 17 (28%) sprachen auf diese Behandlung mit einer kompletten oder partiellen Remission an. Bei 9 (15%) blieb die Erkrankung mehr als 120 Tage stabil. Damit, so der Onkologe, hatten 26 (43%) einen klinischen Nutzen von der aufgrund des molekularen Profils ausgewählten Behandlung.
Bei den HER2-Veränderungen seien die Ergebnisse am vielversprechendsten gewesen, betonte Hainsworth. Eine Response, definiert als eine mindestens 30%ige Reduktion des Tumors, wiesen 7 der 20 Patienten mit kolorektalem Karzinom, 3 von 8 mit Blasenkrebs und 3 von 5 mit Gallengangkrebs auf. Aufgrund dieser Ergebnisse würden in diesen Gruppen nun zusätzliche Patienten rekrutiert, berichtete er.
Auch die Lungenkrebs-Gruppe mit BRAF-Mutation wird aufgestockt. Unter den ersten 15 Patienten hatten 3 eine Remission gezeigt, bei 2 weiteren hatte sich die Erkrankung unter Verumafenib stabilisiert – was mindestens 4 Monate angedauert hatte. Insgesamt hatten über alle Tumorentitäten gesehen von 33 Patienten mit BRAF Mutation 8 auf die Behandlung mit Verumafenib eine Response gezeigt und bei 4 war die Krebserkrankung stabil geblieben.
Über die Hälfte profitierte mit Remissionen oder einer Stabilisierung
Über alle 129 bisherige Patienten von MyPathway gesehen, gab es unter den nach molekularen Prinzipien applizierten Therapien einmal eine Komplettremission, 28 partielle Remissionen, 40-mal blieb die Erkrankung stabil und 60-mal schritt sie weiter fort. Von den 29 Patienten, die ansprachen, kam es bei 14 nach median 6 Monaten zur erneuten Progression, aber bei 15 hält das Ansprechen über inzwischen mehr als 3 bis zu mehr als 11 Monate an.
Wie Hainsworth sagte, zeigt MyPathway, dass klinische Studien, in denen die Patienten – unabhängig von ihrem Tumortyp – aufgrund des molekularen Tumorprofils eine bestimmte Behandlung erhalten, für bestimmte Gruppen noch einen zusätzlichen Nutzen bringen können. „Wir haben bei Patienten mit zwölf verschiedenen Tumortypen eine Wirkung von gezielten Therapien außerhalb derer derzeitigen Indikation gesehen.“ Bei 4 Tumor-Kohorten – HER2 amplifizierten Kolorektal-, Blasen- und Gallengang-Karzinomen sowie beim NSCLC mit BRAF-Mutation sei dabei ein dauerhaftes Ansprechen beobachtet worden.
„Die Studie macht das unglaubliche Potenzial der Präzisionsmedizin deutlich, um neue Behandlungsansätze zu identifizieren“, sagte Pal. Die nicht randomisierte offene MyPathway-Studie soll weitergehen. Insgesamt ist die Rekrutierung von 500 Patienten geplant, hieß es in Chicago. Dabei sollen Gruppen, in denen sich kein Benefit zeigt, frühzeitig beendet, während Gruppen, in denen sich ein klinischer Benefit zeigt, aufgestockt werden sollen. Auch weitere neue gezielte Krebstherapien sollen dabei getestet werden. Etwa der MEK-Inhibitor Cobimetinib als Ergänzung zum Vemurafenib bei Patienten mit BRAF-Mutation. Und auch Wirkstoffe, die zusätzliche molekulare Veränderungen adressieren, sollen in der Studie getestet werden.
REFERENZEN:
1. American Society of Clinical Oncology (ASCO) 2016 Annual Meeting, 3. bis 7. Juni 2016, Chicago/USA
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Diesen Artikel so zitieren: Molekulare Kriterien statt Tumortyp bestimmen die Therapie – ermutigende erste Resultate mit austherapierten Patienten - Medscape - 7. Jun 2016.
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