Chicago – Sie sind sehr selten, aber dafür umso aggressiver – und bislang sind die Therapiemöglichkeiten begrenzt: Anaplastische Gliome machen nur 2% aller primären Hirntumore aus, treten jedoch oft schon im jungen Erwachsenenalter auf und haben eine schlechte Prognose. Nun sind beim Kongress der American Society of Clinical Oncology (ASCO) in Chicago die Interims-Ergebnisse einer großen europäischen Phase-3-Studie vorgestellt worden [1].
Sie markieren für eine Gruppe von Patienten, deren Prognose und Behandlungsmöglichkeiten bislang besonders schlecht waren – solche mit einem WHO Grad III Gliom ohne Deletion in den Chromosomen 1p/19q – einen deutlichen Fortschritt: Die (geschätzte) 5-Jahres-Überlebensrate stieg von 44% unter alleiniger Strahlentherapie (dem bisherigen Standard) durch eine adjuvante Chemotherapie mit Temozolomid (TemoMedac®, Temodal®, Schering Plough/MSD) auf 56%. Gleichzeitig wurde die Krankheitsprogression um mehr als 2 zusätzliche Jahre verzögert.
„Seit Dekaden ist das anaplastische Gliom bekannt dafür, dass es nicht nur schwierig zu behandeln, sondern auch schwierig in Studien zu untersuchen ist – eben weil es so selten ist“, kommentierte Dr. Brian Alexander, ASCO-Experte für Hirntumore, die Ergebnisse bei einer Pressekonferenz. „Aber dies macht diese Ergebnisse nur umso wichtiger.“ Und Studienleiter Prof. Dr. Martin J. van den Bent vom Erasmus MC Krebszentrum in Rotterdam, Niederlande, zeigte sich überzeugt: „Diese Ergebnisse sollten unsere Therapieoptionen erweitern und die Art und Weise verändern, wie wir Patienten mit diesen seltenen Hirntumoren behandeln.“
Bisher fehlten Daten zu dieser Therapie
Bislang, so van den Bent, hatten Ärzte keinerlei Daten, die die Anwendung einer solchen adjuvanten Chemotherapie bei diesen Patienten mit anaplastischem Gliom unterstützten. Diese Erkenntnislücke sollte die nun vorgestellte CATNON (Chemotherapy in Non-1p/19q Deleted Anaplastic Glioma) Intergroup Studie (EORTC 26053-22054) schließen. Sie hatte 4 Therapiearme, die 2 Fragen beantworten sollten:
1. Bessert eine gleichzeitig zur Strahlentherapie verabreichte Chemotherapie die Prognose?
2. Und: Kann eine adjuvante Chemotherapie nach Bestrahlung das Outcome bessern?
In den 4 Therapiearmen erhielten die Patienten entweder:
1. eine Strahlentherapie allein
2. oder gleichzeitig mit Temozolomid
3. oder eine Bestrahlung und anschließend für 12 Monate Temozolomid
4. oder eine Strahlentherapie und sowohl gleichzeitig als auch danach für 12 Monate Temozolomid.
Die Studie begann im Jahr 2007 und es wurden 8 Jahre lang (bis September 2015) insgesamt 751 Patienten randomisiert. 118 Zentren in 12 Ländern, auf 3 Kontinenten nahmen teil – auch in Heidelberg befand sich ein Studienzentrum. Primärer Endpunkt der Studie war eigentlich das Gesamtüberleben.
Doch im Oktober 2015 wurde nach einer geplanten Interimsanalyse empfohlen, die Daten zum adjuvanten Temozolomid vorzeitig freizugeben. Der Grund: Die Resultate waren zu diesem Zeitpunkt, zu dem erst 41% der Ereignisse eingetreten waren und das mediane Follow-up 27 Monate betrug, bereits hochsignifikant, wie van den Bent in Chicago berichtete. In der Auswertung verglichen wurden – jeweils zusammengefasst – die beiden ersten Gruppen, die entweder Temozolomid gar nicht oder nur begleitend zur Strahlentherapie erhalten hatten, versus die Gruppen 3 und 4, die damit adjuvant für 1 Jahr therapiert worden waren.
Relative Risikoreduktion von 35 Prozent
Die Hauptergebnisse: Beim eigentlichen primären Endpunkt, dem Gesamtüberleben, war der mediane Wert zum Zeitpunkt der Interimsanalyse natürlich nicht erreicht. Doch die Analyse ergab eine relative Risikoreduktion von rund 35% (HR: 0,645, p = 0,0014). Die mediane Zeit bis zur Krankheitsprogression war unter der 12-monatigen adjuvanten Temozolomid-Therapie mehr als verdoppelt (42,8 Monate im Vergleich zu 19 Monaten). Auch die aus diesen Daten errechnete Erhöhung des 5-Jahres-Überlebens von 44% auf 55% durch die adjuvante Chemotherapie mit Temozolomid überzeugte die Wissenschaftler.
Dabei sei die adjuvante Temozolomid-Gabe nicht nur hochsignifikant besser gewesen, berichtete van den Bent. Das orale Chemotherapeutikum sei auch sehr gut vertragen worden. Die meisten Komplikationen seien hämatologischer Natur gewesen – sie traten bei 5 bis 10% der Behandelten auf.
Ob es reicht, die Chemo- direkt nach der Strahlentherapie zu beginnen, oder ob die Erfolge noch größer sind, wenn auch während der Bestrahlung bereits Temozolomid gegeben wird, diese Frage können die derzeit vorliegenden Interimsdaten allerdings noch nicht beantworten, räumte der niederländische Onkologe ein. Die Daten dazu werden wohl erst im Jahr 2020 vorliegen.
Van den Bent zeigte sich in Chicago stolz und glücklich über die Ergebnisse der Phase-3-Studie: „Gerade, weil diese gefährlichen Tumore so selten sind, benötigen wir viele, viele Jahre für solch eine Studie – und umso schöner ist es, dass es uns gelungen ist, durch die getestete Therapie tatsächlich einen Fortschritt für diese Patienten zu erreichen.“
REFERENZEN:
1. American Society of Clinical Oncology (ASCO) 2016 Annual Meeting, 3. bis 7. Juni 2016, Chicago/USA
© 2016 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Phase-3-Studie bei aggressivem seltenem Hirntumor: Chemotherapie bessert bei bestimmten Patienten deutlich die Prognose - Medscape - 7. Jun 2016.
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