Der Ärztetag kritisiert Bonusverträge: Dilemma Profit – Patientenwohl

Christian Beneker

Interessenkonflikte

1. Juni 2016

Warum musste sich mancher Klinikarzt vor der Geschäftsführung seines Hauses rechtfertigen, wenn er einen Patienten nicht operiert, sondern konservativ behandelt? Warum wurden Patienten am Rücken operiert, obwohl sie eine psychiatrische Vorgeschichte hatten? Warum wurden ganze Abteilungen geschlossen, wenn der Chefarzt nicht genug Privatpatienten brachte? Die Antwort ist klar: Zuerst kam das Fressen, dann die Moral. Der Profit war wichtiger als die Genesung der Patienten.

Diese und viele andere Fragen haben die Delegierten des 119. Deutschen Ärztetages in Hamburg gestellt, nachdem sie das Referat von Prof. Dr. Hans-Fred Weiser, dem Präsidenten des Verbandes der Leitenden Krankenhausärzte Deutschlands e.V. (VLK) zum Thema Medizin und Ökonomie gehört hatten [1]. Sie wollten damit das Dilemma unzähliger Ärztinnen und Ärzte an deutschen Krankenhäusern beschreiben. Die lange Rednerliste zeigte, wie bedrängend das Problem unter Ärzten gesehen wird.

Fast alle leitenden Ärzte haben Bonusvereinbarungen

Und tatsächlich ist das Phänomen von Boni in den Arbeitsverträgen mit Klinikärzten inzwischen ein Flächenbrand. Weiser zitierte Zahlen einer Kienbaum-Studie aus dem Jahr 2011. „Der Anteil von Verträgen mit variablen Vergütungskomponenten und festgelegten monetären Anreizen ist für Führungs- und Fachkräfte von knapp fünf Prozent im Jahr 1995 auf über 97 Prozent im Jahr 2015 gestiegen.“ Viele Ärztinnen und Ärzte haben sich dabei offenbar auf mengenassoziierte Zielvereinbarungen eingelassen.

In der Tat: 103 Verträge hat die im Jahr 2013 von BÄK und VLK gegründete Koordinierungsstelle zu Zielvereinbarungen in Verträgen mit leitenden Krankenhausärzten geprüft – und förderte dabei klar ökonomisch geprägte Muster zutage: So mussten sich die Ärzte verpflichten, die Verweildauer der Patienten zu verkürzen, eine festgelegte Zahl von Case-Mix-Punkten zu erreichen, möglichst viele Fälle mit Profit zu produzieren oder ganz allgemein das operative Ergebnis des Hauses zu steigern.

Das Phänomen grassiert auch bei anderen Ärzten: „Bereits 2011 zeigte eine Kienbaum-Studie, dass 19 Prozent der Oberärzte, 15 Prozent der Fachärzte, ja sogar 6 Prozent der Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung mengenassoziierte Bonusregeln in ihren Verträgen aufwiesen“, so Weiser.

Berufsordnung wird übergangen

Seit die DRGs eingeführt wurden, habe sich die „Denke" in den Klinken verändert, hieß es zur Begründung. „Gerade junge Kolleginnen und Kollegen wachsen in eine überökonomisierte Medizin hinein“, so Weiser am Rande der Veranstaltung zu Medscape.

 
Wir müssen den ethischen Gehalt unseres Berufes auch in Taten darstellen und nicht nur Appelle in die Landschaft pusten. Dr. Eckart Rolshoven
 

Für viele Klinikträger ist die Berufsordnung ihrer Ärzte dabei offenbar Makulatur. „Die Krankenhausträger und Geschäftsführungen müssen wissen, dass jede Krankenhausärztin und jeder Krankenhausarzt als Mitglied eines freien Berufes eine Berufsordnung unterworfen ist, die vorschreibt, dass jede Entscheidung im Rahmen der Patientenbehandlung nicht nach ökonomischen Vorgaben getroffen werden darf“, sagte Weiser. Allerdings: Auch die Ärzte unterschreiben.

Was tun?

Zunächst: Der unauflösliche Zusammenhang von Medizin und Profit bleibe gegeben, aber sei kein Verhängnis, betonte Weiser. Er orientiert sich an der Faustregel des Tübinger Medizinethikers Prof. Dr. Urban Wiesing: Betriebswirtschaftliches Denken darf die Versorgung wirtschaftlich und effektiv machen. Aber „der Rubikon ist überschritten, wenn ökonomisches Denken zur Erlössteigerung die medizinische Indikationsstellung beeinflusst." Allerdings müssen diese Kriterien Krankenhausleitungen nicht beeindrucken.

Nach Protesten von BÄK und VLK verbot der Gesetzgeber 2014 im neuen § 135c SGB V finanzielle Anreize, die etwa Indikationen, Mengenentwicklung oder Case-Mix-Volumina beeinflussen könnten. Sicher ein schärferes Schwert als Wiesings Definition. Aber ob es die Vertragsentwürfe für Klinikärzte wirklich humanisieren wird, ist offen.

Weise berichtete von unverändert harten Sitten: „Wir liegen in innigem Streit mit Asklepios Hamburg, wegen ihrer rüden Methoden“, so Weiser zu Medscape. „Mir hat einer der ehemaligen Geschäftsführer gesagt, mit dem ich eine ruhige und sachliche Diskussion führen wollte: Wenn Chefärzte bei uns nicht spuren, werden sie entsorgt!“ In den kommenden Sitzungen der Koordinierungsstelle werde man sehen, ob sich die Vertragsentwürfe ändern.

„Ethische Haltung in Taten darstellen“

Die Delegierten des Ärztetages zeigten darauf wenig Hoffnung. Das dokumentieren auch die beiden Entschließungsanträge des Gremiums zum Thema. Der eine forderte unter anderem die Abschaffung der DRGs. Und der andere lobte den Deutschen Ethikrat dafür, dass er jüngst das Patientenwohl in den Mittelpunkt der Krankenhausbehandlung stellte und besseres Geld für die Ärzte forderte.

Allerdings sahen viele Delegierte das Problem auch selbstkritisch und empfahlen, im Zweifel den Rücken zu strecken. „Wir müssen den ethischen Gehalt unseres Berufes auch in Taten darstellen und nicht nur Appelle in die Landschaft pusten“, sagte etwa Dr. Eckart Rolshoven aus dem Saarland. „Wir müssen den aufrechten Gang wieder lernen", rief Dr. Gräfin Anne Vitzthum von Eckstädt aus Baden-Württemberg.

Und Weiser konkretisierte: „Man kann auch mal einen Vertrag nicht unterschreiben – auch wenn man dann arbeitslos wird. Wir sollten da klare Kante zeigen! Die Arbeitsmarktlage für Ärzte ist gut. Wir können den Kollegen dann helfen, eine neue, adäquate Stelle zu finden, wo es diese Probleme nicht gibt.“

 

REFERENZEN:

1. 119. Deutscher Ärztetag, 24. bis 27. Mai 2016, Hamburg

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....