Kritik an Asylpaket II: Der Ärztetag fordert unter anderem die elektronische Gesundheitskarte für alle Flüchtlinge

Christian Beneker

Interessenkonflikte

1. Juni 2016

Hamburg – Der 119. Deutsche Ärztetag hat die Bundesregierung aufgefordert, das Asylpaket II zu verbessern [1]. Das Ziel: die Flüchtlinge im Land medizinisch besser zu versorgen. In 14 Anträgen zum Thema entfaltete das Ärzteparlament seinen Forderungskatalog für eine bessere Versorgung von Flüchtlingen im Land.

„Mit der Verabschiedung des Asylpakets II wurden gesetzliche Veränderungen geschaffen, die es schutzbedürftigen Geflüchteten, insbesondere denjenigen, die Opfer von Folter, Vergewaltigung und anderen schweren Menschenrechtsverletzungen sind, massiv erschweren, ihr Asylbegehren einzubringen und ihren Rechtanspruch auf professionelle Hilfe einzulösen“, heißt es in dem entsprechenden Antrag des Vorstandes.

Das Paket der Bundesregierung sieht vor, dass Flüchtlinge leichter abgeschoben werden können. Kranke sollen nur verschont werden, wenn sie rechtzeitig Atteste vorlegen. Die Liste der sicheren Drittstaaten wird erweitert, ebenso die Liste der Gründe für ein beschleunigtes Abschiebeverfahren.

Flüchtlinge sollen überall in Deutschland gleich gut versorgt werden

Der Ärztetag mahnte angesichts der schärferen Regeln mehr Augenmaß an. So sollten alle Flüchtlinge – auch die Kinder – unabhängig von ihrem Status die elektronische Gesundheitskarte (eGK) erhalten, forderten die Delegierten. Die extrabudgetäre Versorgung aus dem Steuersäckel solle erhalten bleiben. „Die Flüchtlinge brauchen eine bedarfsgerechte Versorgung und deshalb den Zugang zur Regelversorgung“, sagte Dr. Anne Bunte vom öffentlichen Gesundheitsamt Köln in ihrem Referat.

 
Die Flüchtlinge brauchen eine bedarfsgerechte Versorgung und deshalb den Zugang zur Regelversorgung. Dr. Anne Bunte
 

In Nordrhein-Westfalen ist die Karte seit dem 1. April dieses Jahres Usus, wie Medscape berichtete. Bisher steht sie tatsächlich nur in wenigen Ländern zur Verfügung, neben NRW etwa in Bremen oder Hamburg Die Delegierten kritisierten, dass andere Länder die Karte aus politischen Gründen nicht einführen wollen: Die Folgen für die Patienten seien erheblich, hieß es. Bislang mache es daher einen großen Unterschied, in welchem Bundesland geflüchtete Menschen unterkommen. Anträge zur Gewährung von Hilfsmitteln und Therapien für chronisch kranke, behinderte und seelisch erkrankte geflüchtete Menschen dauerten in manchen Bundesländern viele Monate bis hin zu 2 Jahren, hieß es.

Zudem forderten die Delegierten bessere Behandlungsmöglichkeiten für schwer kranke Flüchtlinge. Auch Folteropfer und Opfer anderer schwerer Menschenrechtsverletzungen dürften nicht abgeschoben werden. Es bedürfe einer qualifizierten Prüfung von Hinweisen auf das Vorliegen einer besonderen Schutzbedürftigkeit nach geltenden fachlichen Standards. Ein Ärztenetzwerk soll rascher Atteste erstellen können. Tatsächlich sei der häufigste Grund, eine Abschiebung auszusetzen eine gesundheitlicher, sagte Petra Albrecht, Vizepräsidentin der Ärztekammer Sachsen in ihrem Vortrag. „Das ist eine sehr hohe Verantwortung für die Gesundheitsämter.“

Besonders die psychisch erkrankten Flüchtlinge bräuchten mehr Schutz. Tatsächlich kommen posttraumatische Belastungsstörungen „bei 30 bis 40 Prozent aller Flüchtlinge, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen vor“, sagte Dr. Siegfried Rakette vom Münchner Ärztenetzwerk „Refudocs“ in seinem Vortrag. Das Asylpaket II erlaube medikamentös behandelbare Patienten ins Herkunftsland abzuschieben, kritisierte einer der Delegierten. Auch wenn im Herkunftsland Möglichkeiten zur Behandlung vorhanden seien, gäbe es wahrscheinlich nicht genügend davon und ob sie bezahlbar seien, werde nicht berücksichtigt.

 
Wir haben keine erhöhten Infektionen festgestellt, auch wenn Fälle von Tuberkulose sowie Hepatitis B und C gefunden wurden. Dr. Anne Bunte
 

Keine exotischen Infektionskrankheiten

Indessen hat sich eine große Befürchtung in der deutschen Bevölkerung nicht bewahrheitet – die Ansteckung etwa mit Tuberkulose. Es stehen keine exotischen Infektionskrankheiten im Vordergrund, sondern Infektionen, gegen die Impfungen und Basishygienemaßnahmen schützen. „Wir haben keine erhöhten Infektionen festgestellt, auch wenn Fälle von Tuberkulose sowie Hepatitis B und C gefunden wurden“, sagte Bunte. „Die Flüchtlinge bedeuten also keine erhöhte Infektionsgefährdung für die Allgemeinbevölkerung.“ In Sachsen habe die Angst vor Ansteckung auch einen positiven Nebeneffekt gehabt, sagte Peters: „Die Bevölkerung hat sich vermehrt impfen lassen.“

 
Wenn eine Flüchtlingsfamilie zu mir in die Praxis kommt, muss die Kostenübernahme geklärt sein. Denn die Behandlung der Flüchtlinge kostet mehr Zeit und Geduld. Marion Charlotte Renneberg
 

Mehr Geld für Flüchtlingsversorgung gefordert

Schließlich votierte der Ärztetag für eine bessere Finanzierung der medizinischen Hilfe für Flüchtlinge durch den öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD). In der Tat sind die Zahlen an neuen Patienten für den ÖGD erdrückend. Allein in Köln müssen 6.000 Menschen in 36 Unterkünften versorgt werden. In Sachsen zählten die Verantwortlichen allein im Jahr 2015 rund 62.000 Flüchtlinge im Land. „Eine adäquate ärztliche Personalausstattung in den Gesundheitsämtern, die Aufwertung des ÖGD in der medizinischen Aus- und Weiterbildung sowie eine angemessene Bezahlung der im ÖGD tätigen Ärztinnen und Ärzte sind dringend erforderlich“, heißt es in dem entsprechenden Vorstandsantrag.

Dies betreffe nicht nur den ÖGD sondern auch die Praxen der Niedergelassenen. „Wenn eine Flüchtlingsfamilie zu mir in die Praxis kommt, muss die Kostenübernahme geklärt sein“, sagte Marion Charlotte Renneberg, Hausärztin und Vizepräsidentin der ÄK Niedersachsen. „Denn die Behandlung der Flüchtlinge kostet mehr Zeit und Geduld.“

Den Zuwachs an Neubürgern könne man ohne zusätzliches Geld nicht versorgen, hieß es. „Wie könnten wir den Altbürgern eines Tages beibringen, dass sie mit den Neubürgern um medizinische Leistungen buhlen müssen?“

 

REFERENZEN:

1. 119. Deutscher Ärztetag, 24. bis 27. Mai 2016, Hamburg

 

Kommentar

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