Ärztetag streitet mit Herstellern über teure (Krebs-)Medikamente: Gesetzgeber soll AMNOG überarbeiten

Christian Beneker

Interessenkonflikte

27. Mai 2016

Die Preisbildung bei neuen Arzneimitteln – als Beispiel die neuen Onkologika – war ein heißer Diskussionspunkt beim Ärztetag. Was die Hauptgeschäftsführerin des Verbandes der Forschenden Arzneimittelhersteller (vfa) Birgit Fischer dem Plenum des 119. Ärztetages in Hamburg zu diesem Thema zu sagen hatte, trieb manchem Delegierten die Zornesröte ins Gesicht. Fischer solle sich „ihre Opferhaltung sparen", schimpfte etwa Dr. Günther Jonitz. „Das Geschäftsprinzip der Hersteller ist der Markt, nicht die Patienten." Jonitz sprach in diesem Zusammenhang vom „Geschäft mit der Not".

Die Legende von der Kostenexplosion

Fischer indessen sieht die Politik der Hersteller missverstanden. „Innovationen werden Fesseln angelegt, wenn bei neuen Medikamenten immer nur auf die ökonomischen Schranken verwiesen wird", hatte Fischer zuvor in ihrem Gastbeitrag kritisiert [1]. Und im Hinblick auf die tatsächliche oder vermeintliche Kostenexplosion bei neuen Onkologika forderte die Geschäftsführerin: „Die Ärzteschaft soll für medizinischen Fortschritt eintreten". Stattdessen wachse „eine Anfälligkeit für schlechte Botschaften". Man müsse „der Legendenbildung der Kostenexplosion entgegentreten". Zwar seien manche Onkologika teuer aber andere Arzneimittel seien zu generischen Produkten geworden und senkten im Gegenzug die Gesamtausgaben.

 
Die Ärzteschaft soll für medizinischen Fortschritt eintreten. Birgit Fischer
 

Zudem gehe es bei den teuren Medikamenten nur um patentgeschützte Arzneimittel. „Sie machen 6% der Gesamtausgaben für Medikamente aus", betonte Fischer. „Können solche Kosten wirklich beitragsrelevant sein?"

Der Vorwurf von „Mondpreisen" sei damit ein „totes Pferd". Die Arzneimittelpreise lägen seit dem Arneimittel-Markt-Neu-Ordnungs-Gesetz (AMNOG) von 2011 auf europäischem Niveau, so Fischer. Das AMNOG habe „geliefert", resümierte sie. „Es wird bis Ende 2016 rund 1,3 Milliarden Euro eingespart haben, und im nächsten Jahr werden es über 2 Milliarden sein". Kritiker agierten oft mit Zahlen, die älter seien als 5 Jahre – also aus der Zeit vor dem AMNOG.

 
Das AMNOG wird bis Ende 2016 rund 1,3 Milliarden Euro eingespart haben, und im nächsten Jahr werden es über 2 Milliarden sein. Birgit Fischer
 

Nutzen evidenzbasiert nachweisen

Das sahen die Delegierten und auch der ärztliche Referent zum Thema, Prof. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (AKdÄ), vollkommen anders. „Trotz inzwischen höherer Einsparungen durch das AMNOG wird das ursprünglich angestrebte Ziel in Höhe von 2,4 Milliarden Euro bei Weitem nicht erreicht", heißt es in einer vom Ärztetag angenommenen Entschließung zum Thema [2]. „Die Ausgaben für Arzneimittel im GKV-Bereich steigen jährlich weiter um vier bis fünf Prozent. Bei einigen Arzneimitteln – vor allem in der Onkologie – liegen die jährlichen Therapiekosten pro Patient bei 80.000 Euro und höher."

 
Trotz höherer Einsparungen durch das AMNOG wird das angestrebte Ziel in Höhe von 2,4 Milliarden Euro bei Weitem nicht erreicht. Prof. Wolf-Dieter Ludwig
 

Der Ärztetag sprach deshalb von einer Preisexplosion, vor allem bei den neuen Onkologika – nicht nur in Deutschland. Weltweit seien die Ausgaben für Onkologika seit 2008 von rund 48 Milliarden US Dollar im Jahr 2008 bis 2013 auf 65 Milliarden gestiegen und würden bis 2018 auf 85 bis 115 Milliarden Dollar steigen, referierte Ludwig [3]. Zahlen aus dem Jahr 2009 belegten, dass Deutschland nach Luxemburg unter allen europäischen Ländern für die Behandlung von Krebspatienten – umgerechnet auf alle Bürger – mit 118 Euro pro Bürger und Jahr das meiste Geld ausgebe.

Um den Anstieg der Kosten in den Griff zu bekommen, will Ludwig nicht allein auf den Markt setzen, sondern „die Erstattungsfähigkeit beziehungsweise die Preissetzung für neue onkologische Arzneimittel stärker am evidenzbasierten Nachweis des patientenrelevanten Nutzens ausrichten", wie er sagte. Allerdings müssten zugleich die patientenrelevanten Endpunkte besser untersucht werden. Da Deutschland der größte Arzneimittelmarkt in Europa ist, werde die neue Strategie „europaweit eine positive Signalwirkung" entfalten.

 
Die derzeit freie, am Markt orientierte Preisfestlegung für Arzneimittel im ersten Jahr … muss abgeschafft werden. Prof. Wolf-Dieter Ludwig
 

Delegierte fordern bessere Informationen

So folgte denn auch das Ärzteparlament dem Referenten und fordert in einer Entschließung vom Gesetzgeber: „Die derzeit freie, ausschließlich am Markt orientierte Preisfestlegung für Arzneimittel im ersten Jahr nach der Markteinführung durch den pharmazeutischen Unternehmer muss abgeschafft werden“. Sie gefährde die Patienten. Der Gesetzgeber solle das AMNOG überarbeiten und neue Regeln zur Preisbildung von innovativen Arzneimitteln aufstellen.
Die nutzenbewerteten Arzneimittel sollen ab Markteinführung für das gesamte Anwendungsgebiet wirtschaftlich verordnet werden können, forderten die Ärzte. „Denn wir als Ärzte können nicht über unsere Regresse die zukünftigen Preissteigerungen tragen", hatte ein Redner in der Diskussion gesagt.

 
Wir als Ärzte können nicht über unsere Regresse die zukünftigen Preissteigerungen tragen. Diskussionsbeitrag beim Ärztetag
 

Schließlich – auch das forderten die Delegierten – sollen die Erkenntnisse aus der Nutzenbewertung den Ärzten schneller und leichter verständlich an die Hand gegeben werden, um Therapieentscheidungen besser begründen zu können.

In ihrem Schlusswort zur Diskussion sagte Fischer unbeeindruckt von den Anwürfen der Delegierten: „Auch die Hersteller wollen eine gute Versorgung, ob Sie es glauben oder nicht. Deshalb müssen wir über die Versorgung sprechen und nicht dauernd über die Regulierung".

 

REFERENZEN:

1. Vortragsfolien Birgit Fischer, Hauptgeschäftsführerin vfa, 119. Deutscher Ärztetag, 24. bis 27. Mai 2016, Hamburg

2. Arzneimittelpreisbildung im Spannungsfeld zwischen Patientennutzen und marktwirtschaftlich orientierter Unternehmenskultur, Entschließungsantrag II-01, 119. Deutscher Ärztetag, 24. bis 27. Mai 2016, Hamburg

3. Vortragsfolien Prof. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der AKdÄ, 119. Deutscher Ärztetag, 24. bis 27. Mai 2016, Hamburg

Kommentar

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