Man ist, was man isst: Das Darm-Mikrobiom wird durch die Nahrung, aber auch Arzneien beeinflusst

Anke Brodmerkel

Interessenkonflikte

13. Mai 2016

Eine fett- oder zuckerreiche Ernährung mit wenigen Ballaststoffen scheint die Vielfalt der im Darm lebenden Bakterien einzuschränken. Das legen die Ergebnisse zweier großer Beobachtungsstudien nahe, über die Wissenschaftler in Science berichten. Bestimmte Medikamente und eine Reihe von Krankheiten haben den Untersuchungen der belgischen und niederländischen Forscher zufolge einen ähnlichen Effekt.

Anders als bislang oft angenommen wirkt sich die Art und Weise, wie ein Kind zur Welt kommt – ob es vaginal oder per Kaiserschnitt geboren wird – in seinem späteren Leben offenbar kaum auf die Zusammensetzung des Mikrobioms in seinem Darm aus. Auch die Entscheidung, ob ein Baby gestillt wird oder nicht, scheint keinen bleibenden Effekt auf sein intestinales Mikrobiom zu haben.

„Dass der Lebensstil und Medikamente einen maßgeblichen Einfluss auf die Zusammensetzung der Darmbakterien haben, wusste man zwar bereits“, sagt Prof. Dr. Daniel C. Baumgart von der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Gastroenterologie und Hepatologie der Berliner Charité, Campus Virchow Klinikum, im Gespräch mit Medscape. „Die molekulargenetischen Untersuchungen der jetzt veröffentlichten Studien haben das aber noch einmal bestätigt – und darüber hinaus einige neue Details ans Licht gebracht“, urteilt der Experte der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS).

Mehr als 600 Bakteriengattungen tummeln sich im Darm

 
Unsere Forschung hat uns eine enorme Menge neuer Einsichten in die Zusammensetzung des Mikrobioms bei normalen Menschen … geliefert. Dr. Jeroen Raes
 

Das Team um Dr. Jeroen Raes von der Katholischen Universität Leuven in Belgien hatte für seine Studie Stuhlproben von 1.106 Menschen aus Belgien und 1.135 Menschen aus den Niederlanden analysiert [1]. Die Daten, die die Forscher anhand dieser Proben gewonnen hatten, verglichen sie mit den Ergebnissen weiterer 3.948 Stuhlproben aus zahlreichen Ländern der Welt.

Dabei stellten Raes und seine Kollegen fest, dass 95% der Menschen eine Art Kern-Mikrobiom, bestehend aus 14 verschiedenen Bakteriengattungen, aufweisen. Insgesamt stießen die Wissenschaftler auf 664 unterschiedliche Gattungen – zugleich gehen sie aber davon aus, dass es sich bei den gefundenen Arten noch bei weitem nicht um alle dort lebenden Spezies handelt.

„Unsere Forschung hat uns eine enorme Menge neuer Einsichten in die Zusammensetzung des Mikrobioms bei normalen Menschen wie Ihnen und mir geliefert“, wird Raes in einer Mitteilung seines Instituts zitiert. Denn die meisten Untersuchungen von Stuhlproben seien bislang an erkrankten Menschen vorgenommen worden. Um Krankheiten anhand von Bakterien im Darm diagnostizieren und behandeln zu können, sei es jedoch notwendig zu wissen, wie das Mikrobiom bei gesunden Menschen aussehe, sagt Raes.

Insgesamt untersuchten die Forscher bei 69 verschiedenen Faktoren, wie sich diese auf die Bakterien-Zusammensetzung im Darm auswirkten. Den größten Einfluss hatte die Länge der Zeit, in der der Stuhl im Darm verweilt. Dies sei beispielsweise interessant zu wissen, wenn es darum gehe, das Mikrobiom von Parkinson-Patienten zu untersuchen, sagt Raes. Denn eine Parkinson-Erkrankung gehe in der Regel mit einer längeren Verweildauer des Stuhls im Darm einher.

Sind Kaffee, Tee und Rotwein gut für das intestinale Mikrobiom?

Einen bedeutenden Einfluss hatte zudem die Ernährung. Wie erwartet, wirkt sich eine einseitige, kalorienreiche Diät offenbar negativ auf die Vielfalt der Bakterien im Darm aus. Joghurt und Buttermilch, aber auch Kaffee, Tee und Rotwein scheinen die Diversität der Mikroben hingegen zu erhöhen. Der Zusammenhang könne jedoch auch zufälliger Art sein, gibt Raes zu bedenken. Die Schlussfolgerung, dass diese Genussmittel ein gesundes Mikrobiom begünstigen, kann nach Ansicht des Forschers aus seiner Studie nicht gezogen werden.

Darüber hinaus machten die Wissenschaftler auch einige überraschende Entdeckungen. Beispielsweise scheint eine bestimmte Gruppe von Bakterien (unklassifizierte Lachnospiraceae) eine Vorliebe für dunkle Schokolade zu haben – sie traten gehäuft bei Personen auf, die gerne dunkle Schokolade essen.

Für aussagekräftiger halten Raes und seine Kollegen allerdings die Beobachtung, dass manche Medikamente die Zusammensetzung des Mikrobioms beeinflussen. Unter diesen Arzneien befanden sich nicht nur Antibiotika und Abführmittel, sondern unter anderem auch Antihistaminika, Medikamente gegen Sodbrennen, Statine, orale Kontrazeptiva sowie Hormone, die in den Wechseljahren verabreicht werden. Aufgrund ihrer Ergebnisse vermuten die Wissenschaftler, dass der Einfluss zwischen Mikroben und Arzneien wechselseitig ist – dass die Darmbakterien also zumindest mitbeeinflussen, wie ein Mensch auf ein bestimmtes Medikament reagiert.

 
Aber es gibt eine gute Korrelation zwischen der Diversität und der Gesundheit: Eine größere Diversität ist besser. Dr. Alexandra Zhernakova
 

Größere Diversität ist besser

Dass sich die Ernährung und Arzneimittel auf das Mikrobiom des Darms auswirken, konnte auch das Team um Dr. Alexandra Zhernakova von der Universität Groningen in den Niederlanden beobachten [2]. Sie und ihre Kollegen hatten die Stuhlproben von 1.135 Probanden analysiert und versucht, die Zusammensetzung der Mikroben mit 126 verschiedenen Faktoren in Verbindung zu bringen.

Viele der von Raes und seinem Team gefundenen Zusammenhänge konnten Zhernakova und ihre Kollegen bestätigen. Insgesamt hätten sie 60 Ernährungsfaktoren gefunden, die die Vielfalt der Bakterien beeinflussen, sagt Zhernakova laut einer Mittteilung ihrer Universität. Welche Bedeutung die Zusammensetzung des Mikrobioms habe, sei bislang schwer zu sagen. „Aber es gibt eine gute Korrelation zwischen der Diversität und der Gesundheit: Eine größere Diversität ist besser“, betont Zhernakova.

Ein Protein als Biomarker für ein gutes Miteinander der Bakterien

Darüber hinaus entdeckten die niederländischen Forscher ein Protein namens Chromogranin A, das im Darm all jener Menschen vermehrt gebildet wird, deren Mikrobiom sich aus weniger Bakteriengattungen zusammensetzt als bei der Mehrheit der Bevölkerung. Bislang ist Chromogranin A vor allem als ein Serummarker für neuroendokrine Tumore bekannt. Zhernakova geht jetzt davon aus, dass das Protein auch als ein Biomarker anderer Art zum Einsatz kommen könnte: Liegt es im Darm in hohen Konzentrationen vor, liefert das einen Hinweis darauf, dass das Miteinander der Bakterien dort gestört ist.

 
Ob die gefundenen Assoziationen tatsächlich funktionell relevant sind und eine praktische klinische Bedeutung erlangen, lässt sich nur in prospektiven Studien herausfinden. Prof. Dr. Daniel C. Baumgart
 

Trotz vieler neuer Ergebnisse betonen beide Forscherteams, dass weitaus mehr Fragen noch offen seien. Denn ihre Studien zeigen, dass alle von ihnen untersuchte Faktoren zusammen weniger als 20% der Variationen zwischen den verschiedenen Stuhlproben erklären können. Auch ist bei vielen Faktoren unklar, ob sie tatsächlich eine Ursache oder eher eine Auswirkung der beobachteten Variationen sind – oder ob es sich vielleicht sogar nur um zufällige Assoziationen handelt.

„Von den jetzigen Erkenntnissen, ohne Beweise für eine Kausalität, können wir in den kommenden Jahren sicherlich nicht unmittelbar neue Therapien ableiten“, sagt auch der Charité-Mediziner Baumgart. „Ob die gefundenen Assoziationen tatsächlich funktionell relevant sind und eine praktische klinische Bedeutung erlangen, lässt sich nur in prospektiven Studien herausfinden, die jede gefundene Assoziation im Detail untersuchen.“

So weit ist die Forschung jedoch noch nicht. Zwar planen beide Teams bereits jetzt Follow-up-Studien. Zum einen wollen sie mithilfe der gleichen Probanden untersuchen, inwieweit die Bakteriengemeinschaft in deren Darm über einen längeren Zeitraum hinweg stabil bleibt. Zum anderen sollen noch größere Kohorten – Raes etwa denkt an 40.000 Stuhlproben – dabei helfen, das Ökosystem des Darms und dessen Einfluss auf die Gesundheit des Menschen noch besser zu verstehen.

Dass solche Studien wichtig sind, glaubt auch Baumgart: „Die Erforschung des Mikrobioms“, sagt er, „wird unser Verständnis von entzündlichen, metabolischen und onkologischen Erkrankungen eines Tages bedeutend erweitern“.

 

REFERENZEN:

1. Falony G, et al: Science 2016;352(6285):560-564

2. Zhernakowa A, et al: Science 2016;352(6285):565-569

 

Kommentar

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