Nach Liraglutid nun Semaglutid: Zwei GLP-1-Agonisten senken in Endpunktstudien die kardiovaskuläre Ereignisrate

Aude Lecrubier, Lisa Nainggolan

Interessenkonflikte

11. Mai 2016

Es ist etwas mehr als einen Monat her, da gab Novo Nordisk bekannt, dass der GLP-1-Agonist Liraglutid (Victoza®) in der LEADER-Studie schwere kardiovaskuläre Ereignisse signifikant reduziert hat. Nun hat das Unternehmen erneut positive Ergebnisse, diesmal zu Semaglutid. Der GLP-1-Agonist wird nur einmal wöchentlich subkutan gespritzt und ist bislang noch nirgends zugelassen.

Die Studie SUSTAIN-6, die zum klinischen Entwicklungsprogramm von Semaglutid gehört, habe „ihren primären Endpunkt, die Nichtunterlegenheit von Semaglutid hinsichtlich schwerer kardiovaskulärer Ereignisse gegenüber Placebo, erreicht“, teilt der Hersteller mit. Außerdem sei es zu einer „statistisch signifikanten Reduktion des kardiovaskulären Risikos“ gekommen.

SUSTAIN-6 untersuchte langfristig kardiovaskuläre Endpunkte und andere Sicherheits-Endpunkte von 0,5 mg und 1,0 mg Semaglutid s.c. einmal wöchentlich im Vergleich zu Placebo. 3.300 Patienten mit Typ-2-Diabetes bekamen Semaglutid oder Placebo über 104 Wochen zusätzlich zur Standardtherapie.

Während der Studie kam es zu 250 schweren kardiovaskulären Ereignissen. Die primären Endpunkte der Studie waren kardiovaskulärer Tod, nicht tödlicher Herzinfarkt und nicht tödlicher Schlaganfall.

Das Sicherheitsprofil von Semaglutid in SUSTAIN-6 „hat den Erwartungen entsprochen und war konsistent mit früheren klinischen Studien mit Semaglutid“, heißt es von Novo Nordisk.

Die vollständigen Ergebnisse von SUSTAIN-6 sollen bei einer der nächsten Konferenzen präsentiert werden, aber wohl noch nicht bei der Jahrestagung der American Diabetes Association (ADA) in New Orleans im Juni, wie ein Sprecher von Novo Nordisk gegenüber Medscape mitteilte. Das sei „nicht realistisch“.

Allerdings wird das Unternehmen beim ADA die Resultate der LEADER-Studie präsentieren. LEADER ist die erste Studie, die für einen GLP-1-Agonisten einen kardiovaskulären Nutzen bei Patienten mit Typ-2-Diabetes und hohem Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse gezeigt hat. Liraglutid ist ein GLP-1-Agonist, der täglich subkutan verabreicht wird. Er ist schon geraume Zeit zur Behandlung des Typ-2-Diabetes auf dem Markt und wurde kürzlich in höherer Dosis für die Therapie der Adipositas (als Saxenda®) zugelassen.

GLP-1-Agonisten und ihre Wirkung auf das Herz-Kreislauf-System

Wie lassen sich die günstigen Effekte von Semaglutid und Liraglutid auf das Herz-Kreislauf-System erklären? Dr. Boris Hansel, Endokrinologe, Diabetologe und Ernährungsspezialist am Krankenhaus Bichat der Universität Paris VII, verweist hier vor allem auf die Effekte der Wirkstoffe in punkto Gewichtsverlust: „Wir beobachten einen Effekt auf das Körpergewicht und damit auf die Gesamtheit der kardiometabolischen Faktoren… Abgesehen von seinem Off-Label-Einsatz bei Typ-1-Diabetes wird das Medikament in den USA und in Europa seit kurzem in einer Dosis von 3 mg auch zur Behandlung der Adipositas eingesetzt.“

Der Diabetologe ergänzt: „Im Gegensatz zu anderen Adipositasmedikamenten, für die die Gesundheitsbehörden keine Marktzulassung empfohlen haben, fiel die Meinung zu Liraglutid deutlich günstiger aus. Es bleibt die Frage nach dem Preis und in welchen Fällen es erstattet wird,“ ergänzt er jedoch.

Für welche anderen Antidiabetika wurde ein kardiovaskulärer Nutzen gezeigt?

Abgesehen von Liraglutid und Semaglutid hat sich auch der SGLT2-Inhibitor Empagliflozin  (Jardiance®, Boehringer Ingelheim/Lilly) mit einer signifikanten Reduktion der kardiovaskulären Mortalität hervorgetan, und zwar in der beim EASD 2015 in Stockholm vorgestellten EMPA-REG-Studie.

Auch Pioglitazon (Actos®, Takeda Pharmaceuticals), das in den USA schon bald als Generikum erhältlich ist, hat einen kardiovaskulären Nutzen bewiesen – vor 10 Jahren in der Studie PROactive und unlängst in der IRIS-Studie bei insulinresistenten Patienten, die noch nicht an Diabetes leiden. Allerdings kann das Medikament das Risiko für Ödeme sowie Gewichtszunahme erhöhen. Es ist zudem mit einem erhöhten Risiko für Herzinsuffizienz assoziiert. Auch die Frage nach dem erhöhten Risiko für Blasenkrebs ist noch nicht endgültig geklärt. In Deutschland wird von der Verordnung von Pioglitazon abgeraten. Die GKV erstattet es nur noch in Ausnahmefällen


Semaglutid: Einreichung zur Zulassung noch in diesem Jahr

Novo Nordisk will die Formulierung von Semaglutid, die einmal wöchentlich gespritzt werden muss, im 4. Quartal 2016 in den USA und in Europa zur Zulassung einreichen.

„Das Potenzial für die Reduktion des kardiovaskulären Risikos bei Menschen mit Typ-2-Diabetes, das Semaglutid ausgehend von den SUSTAIN-6-Ergebnissen aufweist, hat uns sehr ermutigt. Und zusätzlich zum starken Wirksamkeitsprofil haben wir nun durch den Abschluss von SUSTAIN-6 auch das Sicherheitsprofil von Semaglutid etabliert“, sagte Mads Krogsgaard Thomsen, Executive Vice President und  Chief Science Officer von Novo Nordisk in der Pressemitteilung. „Mit den starken Ergebnissen  aus SUSTAIN-6 freuen wir uns schon darauf, Semaglutid zur Zulassung einzureichen.“

 
Wir beobachten einen Effekt auf das Körpergewicht und damit auf die Gesamtheit der kardiometabolischen Faktoren. Dr. Boris Hansel
 

Semaglutid bald auch als Tablette?

Semaglutid ist eine Substanz aus einer Reihe von einmal wöchentlich anzuwendenden GLP-1-Agonisten, die entweder schon erhältlich sind oder sich noch in der Entwicklung befinden. Wie das Unternehmen informiert, wird auch an der Entwicklung einer Tablette gearbeitet – ermutigende Phase-2-Resultate für diese Formulierung wurden kürzlich beim ENDO 2016 vorgestellt.

Außerdem entwickelt Novo Nordisk eine täglich zu verabreichende Spritze, die neben der Behandlung des Typ-2-Diabetes auch für das Gewichtsmanagement indiziert sein soll.

Kurzfristig noch keine Auswirkungen auf die therapeutische Praxis

Wird sich der Beweis des kardiovaskulären Nutzens von Liraglutid und Semaglutid auf die Praxis auswirken? „Heute noch nicht. Zu einem späteren Zeitpunkt wahrscheinlich schon. Wenn uns mehr Fakten zur Verfügung stehen“, meint Hansel. „Beim aktuellen Stand der Dinge denke ich nicht, dass das therapeutische Vorgehen verändert werden sollte. Wir müssen die Strategien verstärken, die wir für die kardiovaskuläre Prävention schon sehr gut kennen, nämlich die Gabe von Statinen, das Management des arteriellen Blutdruckes und die Ernährung nach mediterranem Vorbild. Da können wir uns eines günstigen Risiko-Nutzen-Verhältnisses sicher sein“, sagt der Diabetologe.

 
In der Praxis werden viele Ärzte von vornherein zu einer dualen Therapie mit einem Wirkstoff greifen, der keine Hypoglykämien verursacht, sei es ein DPP4-Hemmer oder ein GLP-1-Agonist. Dr. Boris Hansel
 

Die aktuellen Empfehlungen der Gesundheitsbehörden „sind eindeutig“, betont Hansel. Sie empfehlen für die Erstlinientherapie Metformin und in der Zweitlinie die Kombination aus Metformin und Sulfonylharnstoff. Auf andere Wirkstoffe kann z.B. bei einem signifikanten Hypoglykämierisiko oder einer Unverträglichkeit gegenüber Metformin oder Sulfonylharnstoffen ausgewichen werden.

Aber: „In der Praxis werden viele Ärzte von vornherein zu einer dualen Therapie mit einem Wirkstoff greifen, der keine Hypoglykämien verursacht, sei es ein DPP4-Hemmer oder ein GLP-1-Agonist. Die Wahl wird von der Wirkweise und der zu erwartenden Wirksamkeit abhängen. Wenn der HbA1c-Wert sehr weit vom Ziel (mehr als 1%) entfernt ist, kann man gleich mit einem GLP-1-Agonisten beginnen. Und wenn man einen HbA1c nah am Ziel hat, wird man sich für einen DPP-4-Hemmer entscheiden“, sagt Hansel mit Blick auf die  unterschiedliche Blutzucker senkende Wirkung der beiden Substanzklassen.

Das klinische Entwicklungsprogramm SUSTAIN

SUSTAIN-6 ist der Abschluss eines globalen klinischen Entwicklungsprogramms der Phase 3 für die Semaglutid-Spritze. Es besteht aus 6 Studien mit mehr als 7.000 Patienten mit Typ-2-Diabetes:SUSTAIN-1: 30-wöchige Wirksamkeits- und Sicherheitsstudie, Semaglutid versus Placebo, 388 medikamenten-naive Patienten mit Typ-2-Diabetes, Veröffentlichung der Ergebnisse im Juli 2005

SUSTAIN-2: 56-wöchige Wirksamkeits- und Sicherheitsstudie, Semaglutid versus Sitagliptin (Januvia®, Merck; 1-mal täglich), als Add-on zu Metformin und/oder einem Thiazolidindion, 1.231 Personen mit Typ-2-Diabetes. Veröffentlichung der Ergebnisse im Dezember 2015

SUSTAIN-3: 56-wöchige Wirksamkeits- und Sicherheitsstudie, Semaglutid versus 2,0 mg Exenatid (Bydureon®, AstraZeneca) 1-mal wöchentlich, als Add-on zu 1 oder 2 oralen Antidiabetika, 813 Personen mit Typ-2-Diabetes. Veröffentlichung der Ergebnisse im September 2015

SUSTAIN-4: 30-wöchige Wirksamkeits- und Sicherheitsstudie, Semaglutid versus Insulin glargin 1-mal täglich, als Add-on zu Metformin mit oder ohne Sulfonylharnstoff, 1.089 insulinnaive Patienten mit Typ-2-Diabetes, Veröffentlichung der Ergebnisse im November 2015

SUSTAIN 5: 30-wöchige Wirksamkeits- und Sicherheitsstudie, Semaglutid versus Placebo, als Add-on zu Basalinsulin allein oder Basalinsulin in Kombination mit Metformin, 397 Patienten mit Typ-2-Diabetes, Veröffentlichung der Ergebnisse im Februar 2016

SUSTAIN-6: 104-wöchige Nichtunterlegenheitsstudie, Semaglutid (0,5 oder 1,0 mg) versus Placebo 1-mal wöchentlich, fast 3.300 Patienten mit Typ-2-Diabetes, die eine Standardtherapie erhielten, Ergebnisse noch nicht veröffentlicht


Dieser Artikel wurde von Nadine Eckert aus www.medscape.fr übersetzt und adaptiert.

 

REFERENZEN:

1. Pressemitteilung von Novo Nordisk 28. April 2016

 

Kommentar

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