Berlin – „Probleme mit dem Wundschluss am diabetischen Fuß haben wir immer wieder, solange die Patienten noch zu Fuß gehen können – aber genau das sollen sie ja möglichst lange.“ Das Dilemma zwischen Schonung einerseits und Mobilitätseinschränkung andererseits beschrieb Dr. Gerald Engels, niedergelassener Chirurg in Köln und Vorsitzender des dortigen „Netzwerks Diabetischer Fuß“, beim Diabeteskongress in Berlin [1]. Optimale Druckentlastung umfasst nach seinen Worten dabei nicht nur angepasstes Schuhwerk: „Viele Patienten profitieren von einem minimal-invasiven Eingriff, zum Beispiel einer Tenotomie.“
„Abrollen“ über die Zehenspitzen hat verheerende Folgen
Denn häufig ist nicht (nur) die Fußbekleidung an einer schlecht heilenden offenen Wunde Schuld, stellte Engels klar: Bei extremen Deformitäten kann der beste Schuh nichts ausrichten. So entwickeln Diabetespatienten mit Neuropathie oftmals Dysbalancen der Zehengelenke, die zur Hyperflexion mit oder ohne Torsion führen. Es entstehen die typischen Zehenfehlstellungen, z.B. Hammer-, Krallen- und Klauenzehen.

Dr. Gerald Engels
„Erstens gehen die Patienten auf Zehenanteilen, die eigentlich nicht zur Fußsohle gehören. Im Rahmen der Plantarisierung entsteht eine unphysiologische Belastung der Zehenspitzen“, erläuterte Engels. „Zweitens wird das proximale Interphalangealgelenk – PIP – dauerhaft angewinkelt und die Haut darüber fest angespannt, und diese Stelle drückt oben gegen jeden Schuh.“
Das Ausmaß des Problems wird durch Zahlen aus dem Diabetischem-Fuß-Syndrom-Register untermauert: In 60% der dort verzeichneten 10.000 Fälle von Wundbehandlung am diabetischen Fuß waren Zehen betroffen. Und jede vierte dieser Zehenläsionen ging auf die von Engels beschriebene Beuge-Torsions-Fehlstellung mit Plantarisierung zurück.
Im Gespräch mit Medscape betonte Engels, dass nicht nur Diabetespatienten dieses Problem haben. So treten zwar offene, langwierige Läsionen an den belasteten Hautpartien am ehesten bei Diabetikern mit Neuropathie auf; sie bemerken das Problem zu spät und haben eine gestörte Wundheilung. Aber geriatrische Patienten ohne Diabetes und Neuropathie leiden stattdessen bei Zehenfehlstellungen oftmals unter starken Schmerzen, auch dies erfordert eine Lösung.
Fehlstellung durch Tenotomie beheben
Neben der externen Druckentlastung durch adäquates Schuhwerk und orthopädische Einlagen plädiert Engels bei beiden Patientengruppen für eine „interne Druckentlastung“ mit Durchtrennung der die Fehlstellung verursachenden Sehnen: Zwar kann die Zehe dann nicht mehr aktiv gebeugt werden, jedenfalls wird aber die Fehlstellung innerhalb kürzester Zeit behoben.
Das Verfahren ist gut bei flexiblen Fehlstellungen einsetzbar. Der Chirurg erläuterte die Technik: „Mit einem Finger wird das PIP-Gelenk der Zehe nach unten gedrückt, mit dem Daumen das Zehenendgelenk nach oben gezogen. Mit der scharfen Seite einer Blutabnahme-Kanüle kann man dann die Sehne durchtrennen. Abschließend wird die Zehe überstreckt, damit ist die Fehlstellung aufgehoben.“
Komplikationen sind selten – und beherrschbar
Das Verfahren ist laut Engels sicher, denn die Nervenbahnen verlaufen lateral bzw. medial und werden bei korrekter Operationstechnik nicht tangiert. Auf Nachfrage von Medscape betonte er: „Die Komplikationsraten sind extrem gering.“ Vorrangig werden Transferläsionen beobachtet, wie sie auch nach Zehenamputation auftreten können – also eine Verlagerung des Problems auf die benachbarten Zehen. „Dieses Risiko kennen wir. Man kann dem vorbeugen, indem man die Beugesehnen der anderen Zehen gleich mit durchtrennt“, so Engels. Wenn das Verfahren zur Wundentlastung eingesetzt wird, erfolgt die Operation an den gefährdeten Zehen nach Wundschluss der initial betroffenen Zehe.
Eine weitere Komplikation sind Hautläsionen an der Spitze der nunmehr wieder durchgestreckten Zehe: „Häufig ist die zweite Zehe betroffen, sie ist bei vielen Menschen länger als die Großzehe“, so Engels. „Ist sie wieder gestreckt, wird dies relevant; dann benötigt der Patient eventuell längere Schuhe.“ Das geringste Problem bei der Tenotomie am Fuß sind laut Engels nosokomiale Infektionen, sie treten nur bei etwa 3% der Patienten auf, auch, wenn in der direkten Nachbarschaft eine Wunde vorliegt.
Die minimal-invasive Intervention erfolgt ambulant. Ob eine Betäubung nötig ist, hängt vom Grad der Neuropathie ab, wie Engels gegenüber Medscape erklärte: „Wenn der Patient Schmerz empfindet, bekommt er natürlich eine Lokalanästhesie.“ Die Verfahren zur minimalinvasiven Weichteilchirurgie sind im Buch „Das Diabetische Fußsyndrom – über die Entität zur Therapie“, erschienen im Springer Verlag 2014, ausführlich beschrieben.
REFERENZEN:
1. 51. Diabetes Kongress der Deutschen Diabetes Gesellschaft, 4. bis 7. Mai 2016, Berlin
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Diesen Artikel so zitieren: Nicht immer sind die Schuhe schuld: Tenotomie gegen schlecht heilende diabetische Fußwunden - Medscape - 9. Mai 2016.
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